Henry Maske tippt auf klaren Sieger
Box-Showdown Usyk gegen Joshua: Ukrainer kämpft für sein ganzes Land
Es ist nicht weniger als der Boxkampf des Jahres. Oleksandr Usyk verteidigt am Samstagabend gegen Anthony Joshua im Rückkampf seine vier Schwergewichts-Gürtel. Ex-Weltmeister Henry Maske tippt auf ein vorzeitiges Ende des Kampfes (im Video). Für den Ukrainer Usyk geht es aber um noch viel mehr.
So vieles rückt in den Hintergrund

Nun ist es also angerichtet: In Dschidda, der Küstenstadt in Saudi-Arabien, steigt der Box-Kampf des Jahres („Rage on the Red Sea“). Doch das Sportswashing, das Einkaufen von Sport-Events, um vom eigenen Missachten der Menschenrechte abzulenken, ist diesmal nur ein ganz kleines Thema. Auch das Geld nicht (angeblich 50 Millionen Dollar pro Kämpfer). Und das soll was heißen im Preisboxen.
Dass es nicht nur ein großer Kampf zweier Schwergewichtler ist, sondern weit mehr, das wurde schon beim sogenannten Staredown klar. Nur kurz schaute Oleksandr Usyk seinen Herausforderer an, dann wandte er sich an die Kameras und sang ein ukrainisches Widerstandslied – in landestypischer Tracht gekleidet. Die Prioritäten sind klar abgesteckt im Jahr 2022.
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Dass der 35-Jährige am Samstag in den Ring steigt und um die wichtigsten Gürtel der Sportart kämpft, ist ungewöhnlich genug. Noch vor wenigen Monaten hatte er seine Boxhandschuhe in Waffen eingetauscht und sich bei der Armee in Kiew gemeldet. Statt WM-Vorbereitung hieß es plötzlich: Das Land vor dem russischen Angriffskrieg verteidigen. Blutiger Ernst. Keine Show mehr. Mit scharfer Waffe lief er über die Straßen der ukrainischen Hauptstadt und betete, dass er nicht erschossen werde. Die Bilder von Usyk und seinem Landsmann Vasiliy Lomachenko, der sich in Odessa zum Dienst gemeldet hatte, in Kampfmontur gingen um die Welt. „Boxen ist ein Kinderspiel im Vergleich zum Krieg. Krieg ist Überleben“, erklärte Usyk vor dem Showdown gegen Joshua.
"Die Menschen wollen, dass er kämpft"
Doch nach einigen Wochen machten die Kollegen und Soldaten deutlich: Usyk soll zurück in den Boxring. Kämpfen. Nicht an die Front. Das Land repräsentieren. Zeigen, dass die Ukraine auf die Weltbühne und Weltkarte gehört. Ein Recht hat, zu existieren. Auch die früheren Weltmeister Vitali und Wladimir Klitschko mühten sich darum, Usyk für das Ring-Comeback zu überzeugen.
Im März reiste er dann an der polnischen Grenze aus, um sich auf den anstehenden Kampf gegen „AJ“ vorzubereiten. "Die Menschen wollen, dass er kämpft und gewinnt. Er soll die ukrainische Flagge hochhalten", sagte sein Promoter Alexander Krassjuk: "Die ukrainische Hymne soll so in der ganzen Welt zu hören sein.“ So wie 2014 nach der völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim, als Natalia Klitschko live bei RTL die ukrainische Hymne für Schwager Wladimir sang, ein echter Gänsehaut-Moment.
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Diesmal wird dieser Moment wohl noch gewaltiger, noch wichtiger. Usyk will ein Zeichen setzen - gefühlt die ganze Ukraine wird wohl daran teilhaben. In der Ukraine ist der Kampf ihres Box-Idols kostenlos zu sehen. Usyk wurden die Rechte daran von den Ausrichtern in Saudi-Arabien geschenkt.
Usyk vs. Joshua: Henry Maske sieht einen klaren Favoriten

Emotional blicken also alle auf den Ukrainer. Sportlich ist der Fighter, der auf der Krim aufwuchs, ebenfalls Favorit. Im ersten Kampf im September 2021 hatte Usyk dem Box-Adonis Joshua eine überraschende Lehrstunde erteilt und deutlich nach Punkten gewonnen. Der Edel-Techniker Usyk war dem muskelbepackten Briten eigentlich in allen Dingen überlegen, entzog sich dessen K.o.-Faust immer und immer wieder. So entthronte Usyk „AJ“ und schnappte sich die Gürtel der Verbände IBF, WBA und WBO sowie IBO.
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Ex-Weltmeister Henry Maske sieht Usyk im Rückkampf als großen Favoriten. „Ich bin überzeugt, der zweite Kampf wird ein sehr deutlicher Sieg für Usyk werden. Joshua wird sich erneut die Zähne ausbeißen“, sagte Maske am RTL/ntv-Mikro.
Mit Blick auf den Fight hat er sogar einen K.o. des Ukrainers auf dem Zettel. “Ich schätze, dass der Kampf nicht über die volle Distanz gehen wird. Und dass Usyk das Ganze - möglicherweise im letzten Drittel des Kampfes - vorzeitig beendet.“
Wie geht's danach weiter?

Dabei müsste Joshua (22 Knockouts in 26 Kämpfen) selbst wohl seinen Gegner K.o. hauen, um eine Chance auf die Titel zu haben. Usyk hat all seine 19 Profikämpfe gewonnen, 13 davon durch K.o. Erst seit drei Jahren ist der frühere Cruisergewichtler im Schwergewicht zu Hause.
Wie es nach dem Showdown in Dschidda weitergeht, ist ungewiss. Eigentlich gibt es ja noch den legendären Tyson Fury, der nach seinem Sieg gegen Landsmann Dillian Whyte weiter den WBC-Gürtel hält und als linearer Champ (seit dem Sieg gegen Wladimir Klitschko) gilt. Problem: Im April verkündete er noch im Ring seinen Rücktritt – das muss bei Fury zwar nichts heißen (Stichwort: Promo). Immer wieder kokettierte er mit Comebacks, vergangene Woche – an seinem Geburtstag – hieß es dann aber erneut: Rücktritt. Das war’s. Aber wer weiß, die Aussicht auf ein Giganten-Duell gegen Usyk oder AJ (Battle of Britain) könnte den „Gypsy King“ womöglich doch nochmal locken. Denn es ginge um nichts weniger als alle, wirklich alle wichtigen Titel dieses Sports.
Doch selbst der 2,06-Meter-Riese Fury ist in dieser Story nur eine bunte Randgeschichte. Usyk treiben andere Dinge um, und das mit großer Hoffnung.
Nach dem Beginn des Krieges marschierten russische Soldaten selbst in das Haus des 35-Jährigen, nutzten es als Operationsbasis. Diese Zeiten sind aber vorbei, das Anwesen wird wieder aufgebaut. „Alles wird gut“, sagt Usyk.