Russland-Ukraine-Konflikt
Öl, Nato-Beitritt, Chinas Rolle: 3 Kehrtwenden im Ukraine-Krieg & was dahinterstecken kann

Die Ukraine deutet mögliche Zugeständnisse an, der "Krieg" erreicht China und die USA stoppen russische Öl-Importe: Drei Ereignisse, deren nähere Betrachtung lohnt.
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Russland-Ukraine-Krieg - drei (kleine) Kehrtwenden im Fokus
Tag 14, die russischen Angriffe auf die Ukraine reißen nicht ab. Die Ereignisse überschlagen sich, die Gedanken eifern dem Geschehen hinterher, das viele Nuancen kennt, aber nur wenig Zeit, um sie vollends zu erfassen. Am Dienstag waren gleich drei Ereignisse zu beobachten, die sich als (kleine) Kehrtwenden im Kriegschaos lesen lassen – und auf die ein näherer Blick lohnt:
1. USA stoppen Importe von russischem Öl: Biden unter Druck des Kongresses
Während in der EU noch über ein Energieembaro gestritten wird, preschen die USA vor – und verhängen ein Importverbot für russisches Öl. "Das bedeutet, dass russisches Öl in US-Häfen nicht mehr angenommen wird und die Amerikaner der Kriegsmaschinerie Putins einen weiteren schweren Schlag versetzen werden", sagteUS-Präsident Biden am Dienstag.
Die Botschaft: Die USA sind bereit, Kosten im Kampf für die Freiheit zu tragen. Allzu begeistert dürfte Biden zu diesem "schweren Schlag" aber nicht ausgeholt haben.
Der Import-Stopp wurde vom Weißen Haus zunächst abgelehnt, später zu einer Option und erst jetzt, nach knapp zwei Wochen Krieg, beschlossene Sache. Dass sich Biden erst zu dieser Entscheidung durchringen musste, hat mehrere Gründe.
Zwar sind EU-Länder wie Deutschland erheblich stärker auf russische Energieimporte angewiesen als die USA – die Einfuhren von Rohöl und Erdölprodukte aus Russland machen nur knapp acht Prozent aller US-Importe in dieser Kategorie aus –, doch schon jetzt bekommen die US-Bürger die Kosten des Krieges zu spüren. Die Öl- und Benzinpreise steigen, das Embargo dürfte einen weiteren Anstieg zur Folge haben.
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Ein Reizthema, ausgerechnet vor den Kongresswahlen im November, bei denen die Demokraten ihre Mehrheiten in Senat und Abgeordnetenhaus verteidigen wollen. "Die heutige Entscheidung ist nicht ohne Kosten hier zu Hause", sagte Biden, versicherte aber: "Ich werde alles tun, was ich kann, um Putins Preiserhöhung hier zu Hause zu minimieren."
Darüber hinaus konnte die US-Regierung den Druck aus dem Kongress nicht ignorieren. Republikaner und Demokraten arbeiteten an Gesetzen, um den Öl-Fluss aus Russland zu unterbinden. Insofern ist Biden, bei aller Skepsis, dem womöglich Unausweichlichen nur zuvorgekommen – und zumindest innenpolitisch vorgeprescht.
2. Präsident Selenskyj: Ukraine drängt nicht mehr auf Nato-Mitgliedschaft - Suche nach Dialog
Hat er seinen "Traum" aufgegeben? Zumindest dringt die Ukraine nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht länger auf eine Nato-Mitgliedschaft. Er habe seine Haltung zu dieser Frage "schon vor einiger Zeit abgemildert", da das Verteidigungsbündnis offenbar nicht bereit sei, "die Ukraine zu akzeptieren", sagte er in einem am Montagabend ausgestrahlten Interview des US-Senders ABC.
Selenskyjs Partei "Diener des Volkes" (Sluha Narodu) äußerte sich am Dienstag ähnlich. Es sei daher an der Zeit, bis zur Aufnahme in die Nato über konkrete Garantien zu sprechen: "Garantiestaaten könnten die USA, die Türkei und die Nachbarstaaten der Ukraine werden", hieß es in einer Mitteilung. Zudem müsse Russland zweifelsfrei bestätigen, dass es die ukrainische Staatlichkeit anerkenne "und garantiert, dass es unseren Staat nicht bedrohen wird".
Das ist bemerkenswert. Einerseits, weil das Ziel des Nato-Beitritts in der ukrainischen Verfassung verankert ist. Andererseits, da die angestrebte Mitgliedschaft nach Angaben Russlands einer der Hauptgründe für die Invasion ist. Kreml-Chef Wladimir Putin verlangt einen "neutralen" Status für die Ukraine.
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Über eine mögliche Neutralität seines Landes lässt sich zumindest sprechen, signalisierte nun der außenpolitische Berater von Selenskyj, Ihor Tschowka. "Solche Fragen ließen sich in Verhandlungen diskutieren, das ist durchaus möglich", sagte er am Dienstagabend den ARD-"Tagesthemen". Versehen mit einer Bedingung: "Aber solche Verhandlungen und eine mögliche Übereinkunft können erst zustande kommen, wenn die Kriegshandlungen aufgehört haben."
Die Ukraine formuliert also mögliche Zugeständnisse an Moskau, offensichtlich in der Hoffnung, die Angriffe zu stoppen und eine diplomatische Lösung zu fördern. Zuletzt hatten die Verhandlungen beider Länder kaum Verbesserungen gebracht, Russland setzte seinen Angriffskrieg fort, wenngleich nach den Gesprächen von positiven Signalen die Rede war.
Gesprächsbereit zeigten sich Selenskyj und seine Partei auch bei der Frage nach dem zukünftigen Status der Separatistengebiete im Donbass sowie der russisch besetzten Krim. Selenskyj sagte, es könne einen Kompromiss geben. Wichtig sei für ihn, "wie die Menschen in diesen Gebieten leben werden und Teil der Ukraine sein wollen". Diese Frage sei "komplexer als nur die Anerkennung dieser Gebiete".
Nicht in Frage komme allerdings, dass die Ukraine die Unabhängigkeit der Gebiete anerkenne, wie es Russland fordert. "Ich spreche von Sicherheitsgarantien", sagte er. Wenn es "um diese zeitweilig besetzten Gebiete" gehe, die nur von Russland anerkannt würden, "können wir diskutieren und einen Kompromiss über die Zukunft dieser Gebiete finden".
Russland hatte kurz vor dem Einmarsch in die Ukraine die von pro-russischen Rebellen ausgerufenen "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine anerkannt. Putin verlangt, dass auch Kiew deren Unabhängigkeit anerkennt.
Die ukrainische Regierung lehne "Ultimaten" ab, betonte Präsident Selenskyj. Er rief Kreml-Chef Putin auf, einen Dialog zu beginnen, "anstatt in einer Blase zu leben", sagte er.
3. Chinas Position: Vermittler zwischen Moskau und Kiew - dieses Mal wirklich?
Welche Position vertritt Peking? Eine belastbare Antwort ist auch an Tag 14 des russischen Angriffskriegs kaum zu geben. China übt sich seit Langem in einer oftmals phrasenhaften Vieldeutigkeit zur Invasion. Zuletzt ließ sich allerdings eine unheilvolle Tendenz erkennen: China enthielt sich, als die UN-Vollversammlung die "Aggression gegen die Ukraine" mit großer Mehrheit verurteilte, Aussagen des Außenministers vom Montag zur "felsenfesten Freundschaft" mit Russland schmälerten die westlichen Hoffnungen zusätzlich, Peking könne mit seinem Einfluss vermittelnd auf den Aggressor einwirken.
Insofern sind die jüngsten Äußerungen von Präsident Xi Jinping womöglich ein kleiner Lichtblick, wenngleich man sich nicht von diesem blenden lassen sollte.
Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Chinas Präsident Xi Jinping haben am Dienstag eine enge Zusammenarbeit für ein schnelles Kriegsende vereinbart. In einer Videokonferenz einigten sie sich darauf, in vollem Umfang alle Verhandlungen zu unterstützen, die auf eine diplomatische Lösung des Konflikts gerichtet seien, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin mitteilte. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen war es das erste Mal, dass die drei Staats- und Regierungschefs zu einer Videokonferenz zusammengekommen sind.
Zwar hatte sich Peking schon am Montag als Vermittler zwischen Moskau und Kiew angeboten, zugleich aber "die umfassende kooperative Partnerschaft" zu Russland betont. Auch Staatschef Xi Jinping hielt nach dem Treffen mit Scholz und Macron an der doppeldeutigen Kommunikation fest. Eine Formulierung ließ aber zumindest aufhorchen.
"Wir möchten zu maximaler Zurückhaltung aufrufen, um eine große humanitäre Krise zu verhindern", sagte Xi Jinping nach Angaben des chinesischen Senders CCTV. Er nannte die Lage in der Ukraine demnach "zutiefst beunruhigend". China sei "betrübt darüber, dass es auf dem europäischen Kontinent erneut Krieg gibt".
Auch die chinesischen Staatsmedien verfolgen einen Schlingerkurs: Von einer "Invasion" ist in der Berichterstattung zwar noch immer nicht die Rede, doch fällt das Wort "Krieg" jedoch immer häufiger. Zu Beginn des russischen Einmarschs übernahm das Regime noch die russische Lesart einer "Militäroperation". Geht China damit auf Distanz zu Russland, wenn auch in Trippelschritten?
Davon ist zu diesem Zeitpunkt nicht auszugehen. Allerdings scheint das Land auch zunehmend um die eigene Wirtschaft besorgt zu sein. "Die betreffenden Sanktionen haben Auswirkungen weltweit auf Finanzen, Energie, Transport sowie Lieferkettenstabilität und ziehen die unter der Pandemie leidende Weltwirtschaft zum Nachteil aller herunter", sagte Xi Jinping laut chinesischem Staatsfernsehen.
Peking vollzieht im Umgang mit dem Ukraine-Krieg bislang einen Seiltanz: "Das Land ist wirtschaftlich eng mit Russland und der Ukraine verbunden, definiert territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit als grundsätzliche Leitplanken", sagte der Politologe und Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck am Montag zum stern. "Argumentativ ist China daher in der Defensive und vermeidet eine klare Verurteilung der Verletzung ihrer Grundsätze durch Russland."
Druck auf China würde nur den Zusammengang mit Russland beschleunigen, meinte der Experte. Das Gegenteil sei erforderlich: "Der Westen sollte China ersuchen, alles dafür zu tun, was in seiner Macht steht, um Einfluss auf die russische Führung zu nehmen." China habe in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen, dass sich in vielen Bereichen eine "zunehmend westliche Front" bilde. Peking dürfte daher nicht zur Vermittlung geneigt sein, wenn der Westen eine konfrontative Haltung einnehme.
Macron und Scholz haben den Versuch unternommen, China in den Prozess einzubinden. Den chinesischen Seiltanz konnten sie nicht beenden, Präsident Xi Jinping aber zumindest erneut die Aussage abringen, eine diplomatische Lösung suchen zu wollen – und sich nicht vollends auf die Seite Russlands zu schlagen.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst bei stern.de.
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