Schrecklicher Fall aus Italien

22 Jahre von Bruder eingesperrt - Nachbarin widerspricht: "Ich habe sie häufig draußen gesehen"

Eine Frau aus der italienischen Gemeinde Casalciprano soll 22 Jahre lang von ihrem Bruder in einem winzigen Raum des Hauses eingesperrt worden sein. 1995 hatte der Mann seine Schwester nach dem Tod ihres Mannes bei sich aufgenommen, seitdem lebte sie bei ihm und seiner Frau. Nur kurze Zeit später änderte sich ihr Leben dort und wurde zur Hölle auf Erden: Das Paar fesselte die Witwe und stellte sicher, dass niemand ihre Hilferufe hören konnte. RTL-Reporter Udo Gümpel hat sich im Dorf umgehört und mit einer Nachbarin gesprochen, die behauptet, das Opfer häufig draußen gesehen zu haben.

Kein Arzt-Besuch: Opfer verlor in 22 Jahren alle Zähne

La stanza ricavata di fianco ad una legnaia, priva di riscaldamento, all'interno della quale viveva segregata una donna di 67 anni ridotta in schiavitù per 22 anni dal fratello e dalla cognata, Campobasso, 12 Settembre 2022. ANSA/UFFICIO STAMPA CARABINIERI

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In Italien hatte ein Bruder seine Schwester 22 Jahre im Keller eingesperrt.
CARABINIERI, picture alliance / ANSA / UFFICIO STAMPA CARABINIERI

Die mittlerweile 67-jährige Frau erzählte, dass sie seit Jahren gefoltert und ihrer Freiheit beraubt worden ist. Die Witwe soll unter schlimmen Bedingungen gelebt haben. Sie habe sich weder richtig waschen noch frische Sachen anziehen dürfen. Nach ihrer Befreiung ist die Witwe in eine geschützte Einrichtung gekommen, wo sie gesundheitlich betreut wird. Die Frau habe 22 Jahre lang keinen Arzt besucht und habe auch mittlerweile alle Zähne verloren. Sie habe noch nie Euro-Scheine in ihrem Leben gesehen. Nun werde sie darauf vorbereitet, selbstständig wieder leben zu können.

Nachbarin im Dorf
Eine Nachbarin spricht über den Bruder und die Schwägerin des Opfers.
RTL

Doch inwiefern die Frau wirklich eingesperrt worden ist und wer im Dorf darüber Bescheid wusste, ist noch unklar. Eine Nachbarin namens Mihaela erzählte im Interview mit RTL-Reporter Udo Gümpel: „Ich habe sie hier häufig draußen gesehen, also nicht jeden Tag. Sie wurde zu Ausflügen aufs Land mitgenommen, sie haben dort draußen, auf dem bewirtschafteten Land gemeinsam gegessen.“ Im Haus sei Mihaela auch schon gewesen, als die Eltern verstorben sind. „Das war eine normale Situation. Ich bin sehr erstaunt, über diesen Fall. Ich kann es einfach nicht glauben. Ich wohne dahinten“, sagte die geschockte Haushälterin. „Ich halte sie für anständige Leute. Deswegen glaube ich nicht diese Sachen, die man sagt. Wirklich, ich schließe das aus.“

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Bürgermeister Elio Castelli hatte Opfer auf Hochzeit im Dorf gesehen

RTL hat vor Ort recherchiert und nach weiteren Anwohnern gesucht, die vielleicht etwas wissen könnten. Doch viele halten sich verdeckt. Auf dem Weg begegnete RTL-Reporter Udo Gümpel dem Bürgermeister des Ortes. Elio Castelli habe von der Karabinieri über den Fall erfahren. „Auf die Frage, ob die Bürger hier den Fall kannten, kann ich nichts sagen. Mir war die Sache unbekannt“, sagte Castelli im Interview. „Andere sagen lieber nichts, weil die mediale Aufmerksamkeit sehr groß ist.“ Es gibt weder eine Anklageschrift noch Angeklagte. Die Ermittlungen seien noch in vollem Gange.

Bürgermeister Elio Castelli
Bürgermeister Elio Castelli kennt alle seine Bürger im Dorf Casalciprano.
RTL

Der Bürgermeister selbst kenne die Familie. In der kleinen Gemeinde würde er alle seine Bürger kennen. „Ich bin auch mehrere Mal bei ihnen zu Gast gewesen. Ich kann auch nicht behaupten, dass ich die Frau nicht angetroffen hätte, denn sie war im Haus“, erzählte Elio Castelli. Bei der Familie würde es sich um eine Bauernfamilie handeln. „Sie sind sehr einfach Menschen, sicher nicht daran gewöhnt, über Probleme der eigenen Familie zu sprechen, das kann dazu führen, dass sie sich verschließen“, so der Bürgermeister. „Und wenn es da ein Problem in der Familie gab, haben sie es nicht nach außen getragen, wir haben es nicht verstanden.“ Um Hilfe gebeten habe keiner von ihnen.

Das Opfer sei aber nicht immer zu Hause eingesperrt gewesen. Sie kam laut dem Bürgermeister auch raus. „Ich persönlich bin, zusammen mit anderen Einwohnern von Casalciprano, Gast der Hochzeit der Tochter ihres Bruders gewesen. Und die Frau war dabei, beim Hochzeitsfest“, erzählte der Bürgermeister. „Soweit ich weiß, war sie auch woanders. Sie ist also nicht zu Hause eingeschlossen gewesen. Eingesperrt bedeutet doch, dass sie niemals das Haus verlässt.“

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Leitender Ermittler über die mutmaßlichen Motive des Paares

Unser Reporter hat auch den leitenden Ermittler in dem Fall getroffen. Erdgard Pica geht ziemlich sicher davon aus, dass der Bruder und die Schwägerin die 400 Euro Witwenrente seit Jahrzehnten einkassiert haben. Es stimmt wohl auch, dass der Mann des Opfers damals plötzlich verstarb und die Witwe durch eine schwere Zeit ging. Deshalb habe der Bruder sie aufgenommen, doch daraus sei eine Gefangenschaft geworden. Sie verließ wohl das Haus, aber immer nur in Begleitung und nie alleine. Bei der Hochzeit von der Tochter des Bruders sei sie auch dabei gewesen. Pica habe sie in der Kirche gesehen, aber immer neben dem Bruder oder der Schwägerin.

RTL-Reporter Udo Gümpel
RTL-Reporter Udo Gümpel recherchiert im Dorf Casalciprano.
RTL

Über die mutmaßlichen Motive, warum der Mann seiner Schwester so etwas über Jahrzehnte angetan haben könnte, lasse sich noch wenig sagen. Das Opfer sei bei seiner Rettung aber sehr fit gewesen, sagt der leitende Ermittler. Die Frau sei sehr glaubwürdig gewesen. Die Fotos des winzigen Zimmers würden ebenfalls für sich sprechen, sagte Erdgard Pica im Interview.

Opfer rückte erst später mit der Wahrheit heraus

Nach den ersten Hinweisen hatten die Ermittler die Frau im Haus des Bruders besucht. Dabei habe sie sehr verschüchtert gewirkt. Probleme habe sie aber von sich gewesen. Alles sei in Ordnung gewesen, habe sie gesagt. Die Gemeinde sei auch informiert worden. Mitarbeiter des Sozialamtes seien im Haus gewesen, hätten aber zunächst nichts Auffälliges entdeckt. Sie fanden es dennoch ziemlich verdächtig und holten sie später erneut ab, damit sie auf der Wache eine Aussage machen konnte. Dort packte sie die Wahrheit aus und berichtete von der schrecklichen Tortur, die sie Jahrzehnte durchmachen musste. Jetzt müsse sie an einem psychologischen Programm teilnehmen, um wieder ihr eigenes Leben leben zu können. (gsc)