Wir erklären, was wirklich dran istForscher sprechen von „Durchbruch” – Wunderwaffe gegen Krebs in Ziegenmist gefunden?

Wir alle warten auf DEN Durchbruch gegen Krebs.
Aktuell könnte man meinen, dass genau das den Wissenschaftlern aus Magdeburg jetzt gelungen ist. Doch wie sind die Forschungsergebnisse wirklich zu bewerten? Darüber haben wir uns mit Arzt und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht unterhalten.
Durchbruch gegen Krebs? Neue Substanz gilt als „hochwirksam” gegen bösartige Zellen
Die Medien zitieren derzeit eine neue Pressemitteilung der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und titeln etwa „Deutschen Forschern gelingt ‚Durchbruch‘ im Kampf gegen Krebs”. In Millionen von Menschen, die an Krebs erkrankt sind, dürfte das Hoffnung aufflackern lassen – zu Recht?
Bevor wir diese Frage klären, schauen wir uns an, worum es bei der Neuentdeckung aus Magdeburg überhaupt geht.
Wie es in der Pressemitteilung der Otto-von-Guericke-Universität heißt, sei es dem Team um Seniorprofessor Dr. Dieter Schinzer gelungen, einen Wirkstoff mit Namen Disorazol Z1 künstlich nachzubauen. Dieser Wirkstoff sei weltweit verbreitet und komme häufig in organischen Abfällen wie beispielsweise Ziegenmist vor. „Die Substanz ist extrem aktiv“, erklärt Dr. Schnizer in der Veröffentlichung. Bedeutet: Sie habe „die Fähigkeit, die Teilung von menschlichen und tierischen Zellen hochwirksam zu verhindern und Zellen zu zerstören” – und das schon in geringsten Mengen.
Besonders im Kampf gegen Krebs ist diese Eigenschaft Gold wert. Denn das Problem bei bösartigem Krebs ist, dass seine Zellen immer weiter wachsen und sich durch Zellteilung vermehren. Krebsmittel wie Chemotherapien wirken gegen diese Zellteilung. Aber sie wirken nicht nur auf bösartige, sondern eben auch auf gutartige, sich teilende Zellen im Körper, wie etwa Darmzellen und haben daher die zahlreichen bekannten Nebenwirkungen.
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Dr. Specht über „Durchbruch” gegen Krebs: „Ob das eines Tages mal die tolle Therapie wird, steht in den Sternen”

Was unterscheidet den neuen Stoff von bisherigen Mitteln gegen Krebs und handelt es sich wirklich um einen Durchbruch, auf den Krebspatienten jetzt ihre Hoffnung stützen sollten?
Dr. Christoph Specht erklärt im RTL-Interview, dass es sich bei der neuen Substanz um eine chemotherapeutische Substanz handle, die in niedrigster Dosierung wirkt. „Wir hätten gerne Stoffe, die nur die Tumorzellen angreifen und alles andere nicht, das wäre toll.” Doch das könne – genau wie bisherige Krebsmedikamente – auch die neue Substanz nicht.
Der einzige Unterschied zu bisherigen Mitteln: „Es ist eine neue Substanz und sie ist in kleinsten Mengen hocheffektiv.“
Bisher handele es sich lediglich um einen chemischen Durchbruch, der darin besteht, dass es den Chemikern gelungen ist, die Natursubstanz – das Molekül – synthetisch – also künstlich – nachzubauen. „Man kann die Substanz jetzt im Labor herstellen. Das ist der Durchbruch, einen anderen Durchbruch gibt es noch nicht“, erklärt Dr. Specht. Bisher haben wir „es hier mit einem rein chemischen Durchbruch zu tun. Es ist ein Durchbruch im Bereich der Chemie, aber es ist noch kein Durchbruch im Bereich der Medizin – also am Patienten.“
Er wolle den Erfolg der Wissenschaftler keinesfalls kleinreden und betont: Es ist „eine ganz tolle Sache, was die hinbekommen haben.“ Aber: „Ob das eines Tages mal die tolle Therapie gegen Krebs wird, steht in den Sternen.“
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Bis zum medizinischen Durchbruch gegen Krebs ist es noch ein langer Weg
Was muss noch passieren, damit die neu entwickelte Substanz wirklich zum medizinischen Durchbruch wird?
Man wolle die Substanz in Zukunft so verändern, dass sie wirklich nur die bösen Krebszellen zerstört, erklärt der Medizin-Experte. Dafür soll ein ebenfalls künstlich hergestellter Antikörper entwickelt werden, der das Molekül zielgerichtet zur Krebszelle befördert.
Vereinfacht erklärt Dr. Specht das Vorhaben der Wissenschaftler wie folgt: „Man hat das Molekül, das ist die Sprengstoffladung sozusagen. Und man hat einen LKW, das ist der Antikörper. Der LKW bleibt aber nur da stehen, weil der eine Art Navigationssystem hat, wo eine Tumorzelle ist. Da bleibt der LKW stehen, kippt das Molekül ab, und das Molekül als Bombe zerstört die Tumorzelle.“
Wenn den Wissenschaftlern DAS in Zukunft gelingen würde, dann würde man von einem medizinischen Durchbruch sprechen, erklärt der Mediziner.
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Damit die Neuentdeckung aus Magdeburg tatsächlich bei Krebspatienten eingesetzt werden kann, muss es den Wissenschaftlern also erst einmal gelingen, den besagten Antikörper zu entwickeln und dann muss sich das Medikament auch noch als effektiv und ohne große Nebenwirkungen herausstellen.
Bis die Neuentdeckung aus Magdeburg tatsächlich bei Krebspatienten eingesetzt werden könnte, vergehen laut Dr. Specht mindestens noch zehn bis 20 Jahre.