„Bei uns wird jede Mail ausgedruckt”
Warum Deutschlands Behörden so unfassbar kompliziert sind
Wenn eine E-Mail eingeht, wird sie ausgedruckt – willkommen in Deutschland 2025!
Renate arbeitet in einer deutschen Behörde, genauer gesagt im Grundbuchamt. Ihren richtigen Namen will sie nicht nennen, denn was sie sagt, könnte man ihr übel nehmen. Es ist ein Einblick in ein System, das sich selbst lahmlegt. Und doch ist das der bürokratische Alltag in einem Land, das sich selbst als Fortschrittsstandort versteht.
Faxland Deutschland – stehen geblieben in der Zeit vor dem Internet
„Wenn bei uns in der Poststelle eine E-Mail eingeht, dann wird diese ausgedruckt und die kriegen wir dann in Papierform bei uns ins Grundbuchamt.“ Dort wird dann geprüft, ob der Absender identisch ist mit dem Eigentümer. Falls ja, bekommt dieser einen Brief – mit der Bitte, den Antrag bitte nochmal schriftlich, also postalisch, zu stellen. „Und erst dann können wir starten“, so Renate.
Warum das so ist? „Wir haben halt gesetzliche und rechtliche Vorgaben, das wir halt aufgrund von E-Mail-Verkehr nichts tun dürfen. Also wir würden gern, aber wir dürfen nicht.”
Was sie erzählt, wirkt wie eine Zeitreise in die Zeit vor dem Internet. Doch die bittere Wahrheit ist: Es ist Alltag in einer Bundesbehörde. „Wenn man dann noch mitteilt: ja, Sie können auch gern ein Fax schicken... Ja, wer hat denn heutzutage noch ein Fax?”
Für Renate ist das bittere Realität. Und irgendwie auch ein Systemfehler. „Ob wir zufrieden sind? Wir kennen es ja gar nicht anders.”
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1 Milliarde Arbeitsstunden – jedes Jahr
Was das für die deutsche Wirtschaft bedeutet, kann Martin Werding beziffern. Der Professor und Wirtschaftsweise erklärt: „Wir haben im vergangenen Jahr in Deutschland insgesamt 1 Milliarde Arbeitsstunden für Bürokratie aufgewendet in der Wirtschaft.”
Das seien knapp zwei Prozent des gesamten Arbeitsvolumens. Viel dramatischer aber sei: „Die wahren Kosten überbordender Bürokratie sehen wir im Grunde gar nicht, weil sie dazu führen, dass bestimmte Dinge nicht passieren.”
Das heißt: Firmen, die in Deutschland investieren oder Tochtergesellschaften gründen wollen, würden oft zurückschrecken. Nicht wegen des Geldes, sondern wegen Papier.
Was macht eigentlich die Regierung?
Und die Regierung? Die verspricht, was alle Vorgänger-Regierungen auch schon versprochen haben. Diesmal soll jedoch alles anders werden. Zuständig für die Entbürokratisierung ist Karsten Wildberger, Chef des neuen Digitalministeriums. Auf Nachfrage nennt er einen groben Zeitplan: „Der erste Meilenstein (..) ist, dass es uns gelingt, vielleicht ganz konkret einen zentralen Dienst beim Bund anzubieten.”
Doch selbst das werde noch dauern. „Anfang 2026 werden wir dafür einen wichtigen Meilenstein erreicht haben.”
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Bis heute sind erst rund ein Drittel der Verwaltungsleistungen in Deutschland digitalisiert. Setzt sich der aktuelle Rhythmus fort, ist die vollständige Digitalisierung der Verwaltung frühestens 2030 erreichbar.
Während die Regierung von Meilensteinen spricht und die Wirtschaft an ihrer Effizient leidet, sitzt Renate erstmal weiter im Grundbuchamt. Mit einem Stapel Papier auf dem Tisch. Und wartet auf einen Antrag. Per Post oder Fax.
Die ganze Reportage könnt ihr euch auch auf dem RTL-YouTube-Kanal anschauen.