Jetzt spricht der Landwirt, dem beide Beine amputiert wurden
„Ich war noch 25 Minuten bei Bewusstsein”

Er wollte bei der Ernte helfen - als der Mähdrescher Probleme macht, kommt es zur Katastrophe.
Etwas mehr als ein Jahr ist der tragische Unfall auf einem Feld in Hohen Luckow (Mecklenburg-Vorpommern) her. Auf einem Rollstuhl kommt der junge Landwirt am Mittwoch (25. September) in den Gerichtssaal des Amtsgerichts Rostock. Die kurze Hose gibt den Blick frei auf dunkelgraue Prothesen. Sie ersetzen die beiden Beine ab den Oberschenkeln. Ärzte hatten sie dem heute 26-Jährigen, der vom Mähdrescher geschluckt worden war, damals auf dem Feld abgenommen. Angeklagt ist jetzt ein Kollege des amputierten Landwirts. Der Vorwurf: fahrlässige Körperverletzung.
So passierte das Mähdrescher-Unglück von Hohen Luckow

Was war passiert? Der Mann und der heute ebenfalls 26 Jahre alte Geschädigte arbeiteten gemeinsam im Sommer 2023 bei der Ernte mit. Am 19. August wollten sie mit einer Erntehelferin einen Bereich mähen. Dann verstopft feuchtes Unkraut den Kornspeicher des Mähdreschers. „Hilft ja nichts, wir müssen in den Korntank”, sagte der Angeklagte damals nach übereinstimmenden Aussagen. Die Erntehelferin besorgte Schaufeln, mit denen man die Verstopfung beseitigen wollte. Im Inneren des Kornspeichers befinden sich bewegende Teile, etwa eine sich drehende Förderschnecke, die das Korn zur Verladung wieder nach außen bewegt. Der Angeklagte und das Unfallopfer sagten aus, ihnen sei klar gewesen, dass man die Störung nur beheben könne, wenn sich die Schnecken im Inneren bewegten. Ein Sicherungsmechanismus stoppt die Mechanik eigentlich, wenn niemand auf dem Fahrersitz sitzt. Allerdings befand sich genau dort die Erntehelferin. Die Katastrophe musste passieren.
Ein Anruf - dann nimmt das Schicksal auf dem Feld in Hohen Luckow seinen tragischen Lauf
Eigentlich wollten beide Männer über das Dach des Mähdreschers in den Korntank steigen. Der Angeklagte wurde allerdings durch einen Anruf abgehalten. Dem Verunfallten war nach eigener Aussage die Gefahr nicht bewusst. „Ich habe mir in diesem Moment keine großen Gedanken gemacht.” Bei dem Versuch, die Verstopfung mit einer Schaufel zu beseitigen, rutschte er ab und geriet in die Mechanik. Erst mit dem linken und dann mit beiden Füßen. Das Ganze habe sich binnen Sekunden abgespielt. Die anderen beiden stoppten daraufhin die Maschine. Doch es ist zu spät. „Ich war, nachdem ich in die Schnecke eingezogen wurde, noch 25 Minuten bei Bewusstsein”, erinnerte sich der Landwirt. Eine mehrstündige Notoperation noch im Mähdrescher bei Hitze, Dunkelheit und schwierigstem Zugang rettete den Mann. Ärzte und Blutkonserven wurden per Hubschrauber eingeflogen. Der Fall ging um die Welt.
Wie bestraft man so einen tragischen Fall?

Am Mittwoch musste das Gericht in Rostock entscheiden, wie es den angeklagten Kollegen des Opfers bestraft. „Hier haben zwei Menschen etwas getan, das brandgefährlich ist”, sagte der Staatsanwalt im Prozess. Der amputierte Landwirt wollte nicht, dass es im Nachhinein noch negative Konsequenzen für jemanden gebe. Das Verhältnis zum Beschuldigten sei weiterhin „gut” und habe sich durch den Unfall nicht verändert. „Also mir geht’s gut, psychisch auch”, sagte der junge Mann. „Ich hab’ auch jeden Tag damit zu tun, aber trotzdem geht das Leben ja weiter.” Er sei nicht in psychologischer Behandlung - nicht aktuell und nicht in der Vergangenheit. Er ist weiterhin im selben Landwirtschaftsbetrieb angestellt wie der ursprünglich Angeklagte und arbeitet seiner Aussage nach hauptsächlich im Büro. „Die Arbeit macht mir Spaß.”
Das 26-jährige Opfer zeigte trotz des gravierenden Unfalls keinen Groll dem Beschuldigten gegenüber. Der Staatsanwalt resümierte, man habe einen jungen Mann gehört, der einen tragischen Unfall hinter sich habe, aber sein Leben dennoch im Griff habe. Er blicke optimistisch in die Zukunft und habe auch zum Beschuldigten ein gutes Verhältnis. Der Richter stellt das Verfahren schließlich ein. (rsa/ dpa)