Ein Kommentar zu den AfD-Abschiebetickets
Es muss Schluss sein mit dem Wegsehen!
Es reicht!
Erst behauptet Alice Weidel schamlos in zwei Interviews, Adolf Hitler sei ein Linker gewesen, der neue Wahlslogan der Partei „Alice für Deutschland“ erinnert an eine verbotene Parole der SA und dann finden Menschen mit Migrationshintergrund im Raum Karlsruhe Post mit einem „Abschiebeticket“ im Briefkasten. Vor einigen Jahren wäre das genug gewesen, die deutsche Medienlandschaft, Politik und Gesellschaft für Wochen zu beschäftigen. Heute: normaler Wahlkampf. Das sollte uns wachrütteln.
Eine Drohung an alle, die Migrationshintergrund haben
Denn es ist mitnichten einfach Wahlkampf. Der AfD ist es gelungen, die Diskussionen in Deutschland so weit nach rechts zu verschieben, dass ihre Eklats, die üblen, rassistischen und menschenverachtenden Ausfälle anscheinend kaum noch Widerspruch auslösen. Die AfD ist rhetorisch an vielen Stellen da angekommen, wo die NPD (heute: Die Heimat) vor zehn bis zwanzig Jahren stand. Wäre die AfD auch in den Umfragen dort, wo die NPD bei der letzten Bundestagswahl stand (0,1 Prozent), könnte noch gesagt werden, dass das alles harmlos sei. Aber die AfD steht nicht bei 0,1 Prozent in den Umfragen. Die Partei hat laut aktueller Sonntagsfrage zwischen 18 und 20 Prozent Zustimmung! Das ist fast eine Verdoppelung seit 2021!
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Und Vertreter der AfD werfen jetzt „Abschiebetickets“ in Briefkästen. Sie behaupten zwar, dass es Zufall sei, dass sich bislang vor allem Menschen mit Migrationshintergrund melden, die diesen „Brief“ bekommen haben und diese „Wahlwerbung“ an alle gerichtet sei – doch so ganz glauben kann man und sollte man es nicht. Es ist eine Drohung – eine Drohung an alle Menschen, die Migrationshintergrund haben. Da ist es auch eher eine Scheinbehauptung, dass ja auf der Rückseite stünde, deutsche Staatsbürger wären nicht betroffen. Es ist der AfD egal, ob es sich um den Schutzsuchenden aus der Ukraine handelt, um die gut integrierte Krankenpflegerin aus Afghanistan oder den hochqualifizierten IT-Systemspezialisten aus Indien. Alice Weidel hat dann noch die Traute, im RTL-Interview mit Nikolaus Blome zu behaupten, die dringend benötigten ausländischen Fachkräfte kämen wegen der Sicherheitslage in Deutschland nicht hierher. Ihre eigenen Anhänger hat sie da wohl eher nicht im Blick. Und es gibt noch eine kleine Auffälligkeit am Rande: 1938 verteilte die NSDAP ähnliche „Tickets“ an jüdische Menschen in Deutschland.
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Fällt die Brandmauer?
Erschreckend auch: Scheinbar springen andere Parteien auf den Zug mit auf. So hat Ex-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner in einem mittlerweile gelöschten Post auf Instagram kürzlich geschrieben: „Für das, was Ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU.“ Einige Politiker äußerten Entsetzen, Julia Klöckner löschte den Post wieder. Doch einige sehen hier ein kräftiges Bröckeln der Brandmauer zur AfD.
Die AfD verfängt also. Und DAS ist das eigentlich Erschreckende.

Wo ist der wirklich große Aufschrei? Wo sind all die Menschen, die vergangenes Jahr gegen den Rechtsruck demonstrierten? Die millionenfach auf die Straße gingen? Haben wir die demokratische Gesellschaft aufgegeben? Haben wir uns damit abgefunden, was die Partei treibt? Dass wir nichts machen können, gegen Wähler, denen die AfD offensichtlich gar nicht weit genug rechts stehen kann? Mit ihren Eklats, ihren Skandalen, ihren Aussagen – die vor einigen Jahren bei anderen Parteien Entsetzen ausgelöst hätten? Es scheint so.
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Wir sind als Gesellschaft gefragt, uns klar zu positionieren
Wenn Christian Lindner eine Rasierschaumtorte ins Gesicht geworfen bekommt – was auch gar nicht geht – oder sich Klimaaktivisten auf Rollfelder festkleben oder zeitweise Straßen lahmlegen, wird wochenlang darüber geredet. Gegenmaßnahmen werden gefordert. Demonstranten zeitweise eingesperrt – in Bayern beispielsweise. Wenn die AfD – die aktuell zweitstärkste Partei – in privaten Briefkästen Menschen mit Migrationshintergrund damit droht, sie abzuschieben, ist das eine Randnotiz. Ein müdes Lächeln. Ein Ignorieren. Ein „Wir-sind-es-gewohnt”. Und das DARF es nicht sein. Erst recht nicht in Deutschland.
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Wir sind als Gesellschaft gefordert, nicht mehr wegzusehen. Endlich aufzustehen. Etwas zu sagen. Den Kampf gegen die Rechtsextremisten nicht aufzugeben. Ihre Aussagen nicht einfach stehenzulassen! Nur, weil wir uns daran gewöhnt haben, sind sie nicht weniger verachtenswert! Gegenhalten und unsere Demokratie schützen – nie war es wichtiger als heute.