Alle in der ersten Kita wollten Kollegin loswerdenMordprozess gegen Erzieherin: Greta (†3) soll nicht das erste Opfer von Sandra M. gewesen sein

17.11.2020, Nordrhein-Westfalen, Mönchengladbach: Die Angeklagte sitzt in einem Gerichtssaal des Landgerichts. Im Mordfall Greta (3) hat der Prozess gegen eine Kita-Erzieherin begonnen. Die Erzieherin soll im April 2020 in einer Kita in Viersen am Niederrhein einem kleinen Mädchen während des Mittagsschlafs den Brustkorb bis zum Atemstillstand zusammengedrückt haben. Die Angeklagte soll in mehreren Einrichtungen immer wieder anvertrauten Kindern den Brustkorb fest zusammengepresst und sie damit in Lebensgefahr gebracht haben. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Mordfall Greta - Prozessbeginn gegen Erzieherin
ve cul, dpa, Rolf Vennenbernd

Ein Jahr lang hat Sandra M. in einer Kita in Krefeld gearbeitet und dort im Rahmen ihrer Ausbildung zur Erzieherin ihr Anerkennungsjahr absolviert. Ihre damaligen Kita-Kolleginnen haben nun vor dem Landgericht Mönchengladbach ausgesagt – und die Angeklagte schwer belastet: Gefühllos, starr und gekünstelt – so sei Sandra M. zu den Kindern im Alltag gewesen. Vertrauen hatte man nicht zu der heute 25 Jahre alten Angeklagten gehabt. Sandra M. wird vorgeworfen, die drei Jahre alte Greta im April in einer Kita in Viersen im Schlaf heimtückisch ermordet zu haben. Sie war aber offenbar nicht das einzige Opfer

Leiterin über Fähigkeiten von Sandra M.: „Das ging gar nicht!“

Ruhig, aber bestimmt – so wirkt Heike B. als sie vor dem Landgericht Mönchengladbach aussagt. Die 51 Jahre alte Leiterin trägt eine gepflegte Kurzhaarfrisur, ist füllig und schaut immer wieder über den Rand ihrer Brille zum Richter. In ihrer Laufbahn hat sie wohl schon viele junge Erzieherinnen kennengelernt – eine davon war Sandra M.

Im August 2017 begann die 25-Jährige ihr Anerkennungsjahr in der Kita, die Heike B. leitet. Beliebt machte sich Sandra M. aber ganz offenbar nicht. „Sie konnte keine Beziehung zu den Kindern aufbauen und es fiel ihr schwer, ihre Bedürfnisse zu erkennen“, erklärt Heike B. Während Heike B. spricht, macht sich die Angeklagte gedankenversunken Notizen auf ein Blatt Papier. Es muss unangenehm sein, nur Schlechtes über die eigenen beruflichen Fähigkeiten zu hören.

Was die Mutter der getöteten Greta nun fordert – in unserem Video.

„Kein Feingefühl, keine Empathie“

„Erzieher müssen Kinder gut beobachten und entscheiden, wann sie eingreifen“, erklärt Heike B. vor Gericht. Sandra M. habe im Alltag aber vieles offenbar nicht deuten können, sei überfordert gewesen. Vielen Situationen stand Sandra M. offenbar völlig ohnmächtig gegenüber. Sie fand nach Heike B.s Schilderungen kein Maß für eine angemessene Reaktion, konnte die Kinder nicht trösten, aufbauen oder in ihre Freude miteinstimmen.

Recht früh sei den Erziehern in der Kita klargeworden, dass sie Sandra M. nicht mit den Kindern alleine lassen können. Immer wieder habe es mit Sandra M. „Krisengespräche“ gegeben. Die heute 25-Jährige habe sich dabei einsichtig gezeigt, die Kritik angenommen – aber sie habe sie nie umsetzen können. Sandra M. betonte dennoch immer, dass der Erzieherinnen-Beruf ihr „Traumjob“ sei.

Die Kollegen in der Kita rieten Sandra M., den Job zu wechseln – für so unfähig hielten sie sie offenbar. „Sie war oft von oben herab und nicht auf einer Ebene mit den Kindern“, erklärt eine weitere Erzieherin vor Gericht. Während ihre ehemalige Kollegin spricht, schüttelt Sandra M. immer wieder trotzig den Kopf auf der Anklagebank. Als könne sie kaum glauben, was man hier über sie sagt. Trotz ihrer schlechten Noten fand sie immer wieder einen Job als Erzieherin.

Viersen
Sandra M. soll mehrere Kinder misshandelt haben.
Privat
Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Greta war wohl nicht das einzige Opfer von Sandra M.

Im August 2018 endete das Anerkennungsjahr von Sandra M. in der Kita in Krefeld. Sie bekam die Note „mangelhaft“. Trotzdem fand Sandra M. danach immer wieder eine Anstellung als Erzieherin. Zuletzt arbeitete sie in einer Kita in Viersen. Dort soll sie im April die drei Jahre alte Greta im Schlaf getötet haben. Es war der letzte Arbeitstag von Sandra M., auch dort war die Leiterin nicht zufrieden mit der 25- Jährigen.

Bei dem Prozess gegen Sandra M. am Landgericht Mönchengladbach werden nun alle Mitarbeiterinnen der Kitas verhört, in denen die Angeklagte gearbeitet hat. Die Staatsanwaltschaft wirft Sandra M. neben dem Mord an der kleinen Greta schließlich auch vor, in acht weiteren Fällen Schutzbefohlene misshandelt zu haben.

Misshandelte Sandra M. auch den kleinen Samuel in ihrer Obhut?

In der Kita in Krefeld soll es während Sandra M.s Anerkennungsjahr zu mehreren Zwischenfällen gekommen sein. Der kleine Samuel soll einmal im Schlafsaal gelegen haben – und kaum mehr ansprechbar gewesen sein. Zu dieser Zeit hat sich Sandra M. laut ihren Kolleginnen um den kleinen Jungen gekümmert und offenbar um Hilfe gebeten, als mit ihm plötzlich etwas nicht gestimmt habe.

Ihre Kolleginnen hätten daraufhin Samuel in einem seltsamen Zustand in seinem Bett vorgefunden: Er sei körperlich erschlafft gewesen, sein Kopf sei nach hinten gekippt, als sie ihn hochgehoben hätten. Bei einem anderen Vorfall kam sogar der Notarzt, um das Kind zu versorgen. An den genauen Ablauf könne man sich aber nach all den Jahren nicht mehr erinnern, betonen fast sämtliche Erzieherinnen der Kita im Zeugenstand.

Samuel war sprachlich unterentwickelt. Seine Mutter erzählt im Zeugenstand, dass ihr Sohn manchmal versucht habe, von einer Frau in der Kita zu sprechen. Doch viel mehr als „diese Frau, diese Frau“ habe er nicht sagen können. Ob diese Frau Sandra M. ist – das bleibt allerdings unklar. Das Kind ist bis heute in der Kita. Gesundheitliche Beschwerden seien, seitdem Sandra M. die Kita verlassen habe, nie wieder aufgetreten, betont eine Erzieherin.