Lehrerpräsident: Unterrichtsversorgung hat sich in allen Bundesländern verschlechtert

Problemfall Schule: Es fehlen bis zu 40.000 Lehrer und Lehrerinnen

ARCHIV - 21.08.2018, Schleswig-Holstein, Neumünster: Viertklässler einer Grundschule melden sich während des Unterrichts. Bildungsministerin   Prien erwartet zum Schulstart in Schleswig-Holstein am 10. August keine Welle von Lehrer-Krankschreibungen. (zu dpa "Prien befürchtet keine Welle von Lehrer-Krankschreibungen") Foto: Frank Molter/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Zum Schuljahresbeginn fehlen an den Schulen in Deutschland nach Einschätzung des Deutschen Lehrerverbands bis zu 40.000 Lehrerinnen und Lehrer.
dpa, Frank Molter

Warnungen vor einem dramatischen Lehrkräftemangel gibt es regelmäßig. Zum Beginn dieses Schuljahres malen Bildungsverbände aber ein besonders düsteres Bild, denn es knirscht an allen Ecken und Enden: Zum Schuljahresbeginn fehlen an den Schulen in Deutschland nach Einschätzung des Deutschen Lehrerverbands bis zu 40.000 Lehrerinnen und Lehrer.
Die Unterrichtsversorgung habe sich in allen Bundesländern verschlechtert, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger der Deutschen Presse-Agentur. „Bundesweit gehen wir von einer echten Lücke von mindestens 30.000, vielleicht sogar bis zu 40.000 unbesetzten Stellen aus.“

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„Unterrichtsausfall gleich zu Beginn des Schuljahres ist bereits Tatsache"

Die Situation, Stellen mit voll ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen, habe sich „im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich verschärft“, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern.

„Unterrichtsausfall gleich zu Beginn des Schuljahres ist bereits Tatsache, größere Lerngruppen, Zusammenstreichen von Förderangeboten, Kürzung der Stundentafel usw. sind an der Tagesordnung“, sagte Udo Beckmann, der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE).

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Aus einzelnen Ländern kommen schon Alarmmeldungen

Armin Weigel
Heinz-Peter Meidinger. Foto: Armin Weigel/dpa/Archivbild
deutsche presse agentur

In 11 der 16 Bundesländer hat das Schuljahr inzwischen begonnen. Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland folgen nächste Woche, in der Woche darauf geht's in Bayern und Baden-Württemberg wieder los. Traditionell sind die beiden Südländer bei den Sommerferien die letzten.

Aus einzelnen Ländern kamen bereits die ersten Alarmmeldungen: In Bayern hieß es schon kurz vor den Sommerferien, dass im neuen Schuljahr Unterrichtsangebote gestrichen werden müssten, um genug Pädagogen als Klassenleiter zu haben. In der Bundeshauptstadt Berlin begann das Schuljahr mit so vielen Schülern wie nie, bei gleichzeitig 875 fehlenden Lehrkräften. Aus Sachsen hieß es zum Schuljahresbeginn von Kultusminister Christian Piwarz (CDU): „Insgesamt bleibt die Lage bei der Unterrichtsversorgung angespannt“.

Lehrerverbandspräsident Meidinger (Foto) sagte, die bis zu 40.000 unbesetzten Lehrerstellen seien zwar eine Schätzung, da noch nicht in allen Ländern die Schule wieder begonnen habe. „Die bisher bekannten Zahlen sind aber dramatisch“, fügte er hinzu. Wie VBE-Chef Beckmann spricht auch Meidinger von Unterrichtsausfällen, gekürzten Stundenplänen, gestrichenen Zusatzangeboten bereits zum Schuljahresbeginn. In Deutschland gibt es mehr als 800.000 Lehrkräfte an Schulen und Berufsschulen.

Corona, mehr Schüler, Fachkräftemangel - die Lage an den Schulen spitzt sich zu

Es gibt zwar seit Jahren Klagen über fehlende Lehrkräfte. Die Lage scheint sich aber zuzuspitzen, weil sich inzwischen mehrere Probleme überlappen:

  • Der allgemeine Fachkräftemangel schlägt auch im Schulbereich durch. Der geschäftsführende Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), Kai Maaz, hatte im Juni von drohenden Verteilungskämpfen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gesprochen.

  • Obwohl Personalmangel herrscht, entscheiden sich laut Statistischem Bundesamt mehr Lehrerinnen und Lehrer für Teilzeit. Im Schuljahr 2020/2021 arbeiteten demnach knapp 40 Prozent nicht voll, die höchste Quote seit zehn Jahren.

  • Durch mehr Geburten und Zuwanderung steigen nach Angaben der Kultusministerkonferenz (KMK) die Schülerzahlen - es gibt momentan knapp elf Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland. Dazu kommen inzwischen mehr als 150.000 Schüler aus der Ukraine.

  • Politische Entscheidungen, wie der Ganztagsausbau, Vorgaben zu Inklusion oder Sprachförderung verstärken den Personalbedarf an den Schulen weiter.

  • Es drohen weiterhin Personalausfälle durch Krankheit und durch Isolationsvorschriften im Falle einer Corona-Infektion. Schwangere Lehrkräfte fallen ebenfalls aus, weil für sie nach Meidingers Angaben wegen Corona fast überall ein Beschäftigungsverbot gilt.

  • Das Angebot an Quer- und Seiteneinsteigern schrumpft. „Auch hier ist der Arbeitsmarkt mittlerweile oft leergefegt“, sagte GEW-Chefin Finnern.

Die KMK setzt „derzeit einen wesentlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Fachkräftegewinnung“, wie deren Präsidentin Karin Prien (CDU) auf Nachfrage erklärte. Als mögliche kurzfristige Maßnahmen zur „Sicherstellung der verlässlichen Unterrichtsversorgung“ nannte sie den Einsatz von Vertretungslehrern und „im Einzelfall auch eine Zusammenlegung von Schulklassen“. Sie fügte hinzu: Man müsse nicht nur in einzelnen Jahren oder Wahlperioden denken, sondern die Entwicklung der Bildung auf zehn, zwanzig Jahre in die Zukunft denken.

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