Fünfkämpferin Schleu spricht über ihr Pferde-Drama bei Olympia

„Bin mir keiner Tierquälerei bewusst“

Ihre dramatischen Olympia-Bilder gingen um die Welt. Annika Schleu erlebte beim Modernen Fünfkampf ein Pferde-Drama, in dem sie eine der Hauptrollen spielte. Auch Tage danach ist die Athletin noch von den Ereignissen überwältigt. Die 31-Jährige verteidigt nun in einem Interview ihr Verhalten, von dem heftigen Hass im Netz ist sie geschockt.

Von der "heftigen Bewertung" überrascht

Die Szenen und Reaktionen nach dem dramatischen Wettbewerb in Tokio setzen Annika Schleu weiter zu. „Die vergangene Tage waren für mich in mehrfacher Hinsicht schockierend. Der Hass, der mit in den sozialen Medien begegnet ist, hat allerdings die Enttäuschung über die verpasste Medaille überlagert“, sagte Schleu im Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“.

Bei ihrem Ritt mit dem zugelosten Pferd „Saint Boy“ blockierte das Pferd total, in Tränen aufgelöst kämpfte die Gold-Hoffnung vergeblich gegen das Tier – auch mit Gerte und Sporen. Ihr großer Medaillentraum – geplatzt! Der umstrittene Umgang mit dem Pferd und die Rufe ihrer Trainerin Kim Raisner („Hau mal richtig drauf“) lösten umgehend einen Shitstorm aus.

„Natürlich macht das etwas mit mir. Das fühlt sich nicht schön an“, sagte die Fünfkämpferin über ihr Gefühlsleben. Die unappetitlichen Nachrichten kamen für sie wie ein Schock. Sie habe nicht daran gedacht, dass alles aufgenommen werde. Erst als sie vom Pferd abgestiegen ist, habe sie gewusst, dass „das keine schönen Bilder“ sind. Mit der „heftigen Bewertung“ von außen habe sie nicht gerechnet.

PETA fordert: Kein Pferdesport im Fünfkampf

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Hass-Nachrichten zogen Schleu Boden unter den Füßen weg

Ihre Smartwatch habe direkt pausenlos vibriert. „Ich dachte, es sei meine Familie. Aber es waren Nachrichten, ich sah erste Emojis und derart verletzende Satzfetzen, dass es mir den Boden unter den Füßen weggezogen hat.“

Den im Raum stehenden Vorwurf der Tierquälerei will sie nicht stehen lassen. Sie wehrt sich dagegen vehement. „Es gibt Menschen, die empfinden Reitsport prinzipiell als Tierquälerei. Wenn jemand diese Einstellung hat, sei dies sein gutes Recht“, sagte Schleu und stellte klar: “Schwierig finde ich diejenigen, die gar nichts gegen Reitsport haben, sich auskennen und jetzt so tun, als hätte ich etwas Böses getan. Ich habe das Pferd nicht extrem hart behandelt. Ich hatte eine Gerte dabei, die vorher kontrolliert wurde. Genauso wie die Sporen. Ich bin mir wirklich keiner Tierquälerei bewusst.“

Schleu schilderte erstmals detailliert die Szenen, die um die Welt gingen. „Ich konnte das nicht sofort einschätzen. Das ist ja wohl der Grund für die Dramatik der Bilder“, sagte die Olympionikin zum bockenden Pferd. „Ich habe relativ schnell angefangen zu weinen. Ich war so angespannt, weil mir bewusst wurde, dass der Wettkampf vorbei sein könnte, bevor mein Reiten überhaupt angefangen hat.“ Die Sekunden hätte sich für sie dann viel länger angefühlt, es sei eine „ausweglose, schwierige Situation für das Pferd und für mich“ gewesen. Dabei hatte sie nach eigener Aussage im Kopf: „Das hat wahrscheinlich keinen Sinn.“

RTL-Expertin: Sie hatte keine Chance

Social-Media-Profile deakiviert

Dennoch versuchte sie es weiter. Schleu gibt einen Erklärungsversuch dafür. Und der geht so: Sie sei in einem Zwiespalt gewesen. Es sei eben „verdammt schwierig abzuwägen“, ob es keinen Sinn mehr mache oder noch einen kleinen „Anschubser“ brauche. Ein weiteres Problem: Früher sei Schleu stets für ihre Zurückhaltung im Umgang mit den Pferden kritisiert worden. Ihr sei nahe gelegt worden, konsequenter und bestimmter zu sein. „Nun werde ich für etwas beschuldigt, das total im Gegensatz zu dem steht, wie ich sonst bin.“ Mit etwas Abstand sagt sie nun selbst: „Ich hätte ein bisschen ruhiger und besonnener reagieren können. Hätte eventuell früher sagen können, okay, es hat einfach keinen Wert.“

Ihre Trainerin Kim Raisner wurde kurz nach dem Wettkampf vom Weltverband ausgeschlossen. Sie soll das Pferd mit der Faust geschlagen haben. Die entsprechende Szene sei an ihr vorbeigegangen, erklärt Schleu. „Dass sie von außen mit der Hand eingegriffen haben soll, habe ich überhaupt nicht mitbekommen. Auf ihre Zurufe habe ich reagiert und zurückgerufen: Mache ich ja! Aber in dem Maß, wie ich es für richtig hielt.“

Doch der Hass im Netz prasselte unaufhörlich auf sie ein und hörte auch erstmal nicht auf. Schleu reagierte und deaktivierte ihre Accounts in den sogenannten sozialen Netzwerken – vielleicht für immer. „Ich will mich nicht diesem Hass aussetzen müssen. Sollte ich meine Profile je wieder aktivieren, dann wohl nie mehr zugänglich für jeden. Ich befürchte bloß, wenn man einmal so etwas erlebt hat wie ich, ist es sehr schwer, sich davon zu erholen.“ (msc)