Münchhausen-Stellvertreter-SyndromMutter verletzt ihr Baby absichtlich – Mediziner warnt "Sie will Aufmerksamkeit!“

Ein erst 17 Monate altes Mädchen aus Italien hat immer wieder untypische und schwere Hautverletzungen am ganzen Körper. Ihre 29-jährige Mutter bringt sie jedes Mal in ein Krankenhaus – ohne, dass eine Diagnose festgestellt werden kann. Bis in einer Klinik in Mailand der wahre Grund für die Symptome herauskommt: Die Frau sprühte ihr kleines Mädchen immer wieder absichtlich mit Deo ein. Im Raum steht das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom als Erklärung für das Verhalten der Mutter.
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Im Gespräch mit RTL erklärt Arzt und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht, was dahintersteckt und ob sich ein Kleinkind von diesem Missbrauch erholen kann.
"Sie ist völlig gefangen in der Idee als tolle, fürsorgliche Mutter dazustehen“

Ganz bewusst verletzte die 29-Jährige ihrer kleine Tochter. Das sei leider sehr typisch für das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, sagt Dr. Specht. „Die Mutter macht das Kind krank oder produziert Symptome beim Kind, die zu langwierigen medizinischen Abklärungen führen.“ Und zwar aus einem ganz absurden Grund: Sie möchte Aufmerksamkeit.
Auch wenn es hart klingt, solche Menschen lieben es so sehr im Mittelpunkt zu stehen, dass das Leid des Kindes in den Hintergrund rückt. „Sie sehen sich dann in der fürsorglichen Rolle, weil sie dann von ihrer ganzen Umwelt, einschließlich der gesamten medizinischen Umwelt, so bewundert werden, wie toll sie das auf sich nehmen, sich um ihr armes, krankes Kind zu kümmern“, erklärt Dr. Specht,
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Der Allgemeinmediziner betont auch, dass hierbei eine psychiatrische Erkrankung der Mutter vorliegt, obwohl „sie es absolut willentlich tun. Das ist nicht im Sinne eines Wahns. Sie wissen sehr wohl, was sie tun, aber sie verdrängen es.“
Das merke man auch an der Aussage der 29-jährigen Mutter bei ihrer Festnahme, als sie der Polizei sagt: „Jetzt kommt raus, dass ich es war [...]. Ich habe nicht gedacht, dass ich ihr weh tue.“ Die Frau versucht offenbar, diese Gedanken abzuspalten, erklärt Dr. Specht. „Diese Überlegung ‘Ich tue dem Kind weh’, kommt bei ihr gar nicht vor. Das ist ausgeklammert. Sie ist völlig gefangen, in der Idee als tolle, fürsorgliche Mutter dazustehen.“
"Es ist nicht das Ziel, das Kind zu töten"
Das Traurige daran: Die Dunkelziffer an Menschen mit dem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom sei sicher sehr hoch, betont Dr. Specht. Betroffenen kann selten frühzeitig geholfen werden, da es häufig schwer ist, diese Krankheit zu erkennen, weil die „psychiatrisch Erkrankten unglaublich manipulativ und konspirativ mit sich selbst sein können und einfach raffiniert andere Menschen täuschen“, sagt der Allgemeinmediziner. Daher kann der Missbrauch Jahre andauern.
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„Es kann bis zum Tod gehen. Aber solche Menschen wollen das Kind auf gar keinen Fall umbringen, weil dann wäre die Beschäftigung mit dem Kind und die Idee als tolle, fürsorgliche Mutter dazustehen weg. Dann ist sie die trauernde Hinterbliebene. Das möchte sie gar nicht sein“, erklärt Dr. Specht. „Sie nehmen den Tod zwar in Kauf, aber in Wirklichkeit ist ihnen das gar nicht bewusst und es ist auch nicht das Ziel, das Kind zu töten.“
Die Wahrscheinlichkeit für seelische Schäden beim Kind ist erhöht
Ob sich das 17 Monate alte Mädchen jemals von dem Missbrauch erholen wird, hänge davon ab, wie es jetzt mit ihr weitergeht, erklärt Dr. Specht. „Wenn das Kind Glück hat, heilen die körperlichen Schäden ab und sie kommt in eine gute Familie. Die Rückfallquote ist sehr groß. Man kann sie schlecht zur Mutter zurückgeben.“
Auch wenn das Kind danach eine schöne Kindheit hat, sei die Wahrscheinlichkeit von seelischen Schäden groß: „Leider ist das so, dass die psychiatrischen Erkrankungen im Laufe des Lebens, bei Kindern, die Opfer des Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms waren, erhöht ist.“
In diesem Fall aus Italien sei es jetzt vor allem wichtig, dass das 17 Monate alte Mädchen wahre Liebe und Fürsorge bekomme.
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