Nach Messerattacke im Zug

Mehr als 20 Ermittlungsverfahren gegen Brokstedt-Verdächtigen Ibrahim A.

Der mutmaßliche Täter Ibrahim A. soll am vergangenen Mittwoch zwei Menschen im Regionalzug getötet haben.
Der mutmaßliche Täter Ibrahim A. soll am vergangenen Mittwoch zwei Menschen im Regionalzug getötet haben.
jwp, dpa, Jonas Walzberg

Eine Woche nach der tödlichen Messerattacke von Brokstedt trauert der kleine Ort in Schleswig-Holstein weiter um die zwei Toten: Ann-Marie (17) und Danny (19). Daneben wächst die Kritik an der Hamburger Justiz. Gab es mögliche Versäumnisse im Umgang mit dem mutmaßlichen Täter Ibrahim A.? Und wie kann man so eine schreckliche Tat künftig verhindern? Jetzt kommt raus: Gegen Ibrahim A. liefen sogar noch mehr Ermittlungsverfahren.

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Ibrahim A. wurde wegen Körperverletzung auffällig

Bereits mehrfach ist der staatenlose Palästinenser Ibrahim A. mit verschiedenen Straftaten auffällig geworden – unter anderem wegen Körperverletzung.

Allein in Nordrhein-Westfalen sind mehr als 20 Ermittlungsverfahren gegen den Mann eingeleitet worden, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Bonn am Dienstag bestätigt. Ein schwerer Tatvorwurf war demnach eine gefährliche Körperverletzung. Ibrahim A. soll einen Mann mit einer Kette geschlagen haben. Ein weiterer Vorwurf soll der Verdacht auf Vergewaltigung gewesen sein. Aber diese beiden Verfahren seien wie viele weitere eingestellt worden. Rechtskräftig verurteilt wurde er in Nordrhein-Westfalen demnach in drei Fällen. Der „Spiegel“ hatte berichtet. Laut der „Süddeutschen Zeitung“ ging es um Körperverletzung, Diebstahl sowie Drogendelikte.

„Fehler im System“ - Wiedereingliederung von Ibrahim A. ist gescheitert

Für den Sozialwissenschaftler Bernd Maelicke habe die Resozialisierung bei Ibrahim A. nicht so stattgefunden, wie es von dem Gesetz vorgeschrieben wird.
Für den Sozialwissenschaftler Bernd Maelicke habe die Resozialisierung bei Ibrahim A. nicht so stattgefunden, wie es von dem Gesetz vorgeschrieben wird.
RTL Nord

Erst sechs Tage vor der furchtbaren Tat von Brokstedt sei er laut Hamburger Staatsanwaltschaft auf freien Fuß gekommen, obwohl bei ihm immer wieder Auffälligkeiten festgestellt worden waren. Wie kann das sein?

Resozialisierungsexperten Bernd Maelicke aus Kiel spricht von einem „Fehler im System“. „Wie kann so jemand ein Jahr in der U-Haft sitzen und dann ohne Vorbereitung entlassen werden“, fragt sich der Soziologe. Das Hamburger Resozialisierungsgesetz sieht eine Betreuung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft vor. Neben einem Deutschkurs hätte der mutmaßliche Täter auch eine Drogen- und Aggressionstherapie in der JVA Billwerder absolvieren müssen.

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Pannen bei Resozialisierung von Ibrahim A.? Das meint der Experte

Während der U-Haft habe es zwar eine psychiatrische Betreuung gegeben. Die hätte vor der Entlassung aber keine Fremd- oder Selbstgefährdung festgestellt, so die Justizbehörde. Die Opposition fordert nun Antworten. Richard Seelmaecker (CDU): "Die Problematik scheint insbesondere bei der psychologischen bzw. psychiatrischen Begutachtung zu liegen, wenn es denn eine solche überhaupt gegeben hat. Ich habe den Verdacht, dass ehrlich gesagt nur eine Einschätzung vorgenommen worden ist und gar kein fundiertes Gutachten."

„Auch in der Anstalt muss man sozial integriert sein. Und gerade so einer in diesem Alter, der kein Deutsch spricht, den darf man nicht völlig alleine lassen. Der verwahrlost in der Anstalt. Um den muss man sich kümmern“, führt Maelicke weiter aus. Doch genau diese Wiedereingliederung in die Gesellschaft habe bei dem mutmaßlichen Täter so nicht stattgefunden, wie es eigentlich von dem Resozialisierungsgesetz vorgeschrieben wird.

Zustand der verletzten Personen ist stabil

Bei einer Andacht wurden rund 200 Kerzen für die Opfer der Messerattacke in Brokstedt niedergelegt.
Bei einer Andacht wurden rund 200 Kerzen für die Opfer der Messerattacke in Brokstedt niedergelegt.
ahe pil, dpa, Axel Heimken

Immer mehr Blumen und Kerzen liegen am Bahnsteig in Brokstedt. Die Fotos der beiden Verstorbenen - der 17-jährigen Ann-Marie und des 19-jährigen Danny - zeigen den schmerzlichen Verlust der Familien und Freunde. Die anderen Opfer der Messerattacke sind mittlerweile außer Lebensgefahr. Drei Personen werden weiterhin im Krankenhaus behandelt. Der Zustand eines 62-Jährigen und einer 54-Jährigen aus Schleswig-Holstein sowie einer 27-Jährigen aus Hamburg sei aber stabil. Die drei Verletzten seien bei Bewusstsein. Zwei weitere männliche Verletzte (beide 22 Jahre alt) aus Schleswig-Holstein konnten bereits das Krankenhaus verlassen. Am Freitagabend haben hunderte Menschen mit einer Andacht in der Brokstedter Kirche den Opfern gedacht.

Zwei Tote bei Messerattacke in Regionalzug

Es ist Mittwochnachmittag, als mehrere Notrufe bei der Polizei eingehen. Im kleinen Ort Brokstedt in Schleswig-Holstein soll der 33-jährige Ibrahim A. mit einem Messer in einem Regionalzug auf andere Reisende losgegangen sein. Bei dem Messerangriff kam ein 19-Jähriger und eine 17-Jährige ums Leben - nach RTL-Informationen waren die beiden Opfer ein frisch verliebtes Paar.

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Der mutmaßliche Angreifer Ibrahim A. sitzt seit Donnerstagabend in der Justizvollzugsanstalt Neumünster. Die Kriminalpolizei ermittelt mit Hochdruck. Mittlerweile seien nahezu 120 Zeugen erfasst und befragt worden. Diese Zahl könne sich nach Abschluss der Befragungen noch ändern. (lmi)