Allein in Deutschland Hunderttausende Betroffene

Experten zu Long Covid: „Die eine Pille wird es nie geben“

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Experten mit neuen Informationen zu Long-Covid in Deutschland.
Mindful Media

Die Corona-Inzidenzen steigen wieder, die Angst vor einer Sommerwelle geht um - und das diffuse Krankheitsbild Long Covid schürt die Unsicherheit vieler noch. Auch nach über zwei Jahren Corona ist das Wissen zu Long Covid noch lückenhaft. Experten blicken aktuell auf die Krankheit und erklären den Stand der Dinge für Long Covid-Patienten in Deutschland.
Lese-Tipp: Mediziner Dr. Christoph Specht klärt auf – Long Covid - wann Sie bei welchen Symptomen zum Arzt gehen sollten

Long Covid: Allein in Deutschland hunderttausende Betroffene

ARCHIV - 27.01.2021, Mecklenburg-Vorpommern, Heiligendamm: Jördis Frommhold, Chefärztin, steht vor der Median-Klinik. (zu dpa "Genesen, aber nicht gesund · Long Covid weiter im Fokus") Foto: Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Median-Klinik - Chefärztin Jördis Frommhold ist Expertin für Long Covid.
bwu cul, dpa, Bernd Wüstneck

Aus dem Corona-Expertenrat der Bundesregierung heißt es, laut Studien entwickle die Mehrheit derer, die mit schwerem Covid-19-Verlauf auf Intensivstationen behandelt wurden, Langzeitkomplikationen. Auch nach milder Infektion erfüllten zehn Prozent die Post-Covid-Kriterien.

Jördis Frommhold, Lungenfachärztin und Chefärztin der Median Klinik Heiligendamm, geht von hunderttausenden Long-Covid-Betroffenen in Deutschland aus. Konsens in Expertenkreisen herrscht zur Annahme, dass vollständiger Impfschutz das Risiko für Langzeitfolgen nach einer Corona-Infektion klar verringert.

Dennoch: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verwies kürzlich via Twitter auf Basis britischer Daten darauf, dass auch viele Geimpfte in der Omikron-Welle von Long Covid betroffen seien. Trotzdem wäre die Zahl ohne Impfung viel höher, machte er deutlich.

Long Covid: Experte Christoph Kleinschnitz erklärt „riesigen Symptomkorb“

Christoph Kleinschnitz, Direktor der neurologischen Klinik an der Uniklinik Essen, berichtet im Gespräch mit der dpa von einem „riesigen Symptomkorb“. Im klinischen Alltag habe er über 500 Long-Covid-Patienten gesehen, die Daten von über 170 flossen in eine jüngst zur Veröffentlichung eingereichte Studie ein.

Die häufigsten Symptome:

  • pathologische, als „Fatigue“ bezeichnete Müdigkeit.

  • Beeinträchtigungen der Leistungs- und Merkfähigkeit, der Konzentration

  • „Gehirnnebel“ (Brain Fog)

  • Wortfindungsstörungen

  • kognitive Einschränkungen werden häufig beklagt

  • Schwäche, Atemnot oder Kurzatmigkeit und andauernder Husten

Laut den Experten fehlt es größtenteils noch an Spezialkliniken und Reha-Kliniken für Long Covid Patienten.

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Long Covid-Therapie - Experte: „Die eine Pille“ wird es nie geben

Was aber ist zur Therapie bekannt? Am besten begegne man der Erkrankung mit einem Konzept, das verschiedene Disziplinen der Medizin und Psychologie einschließe, so Kleinschnitz. „Die eine Pille gegen Long Covid, die wird es aus meiner Sicht nie geben.“ Der erste Schritt sei „zuhören, ernst nehmen, gründlich untersuchen“.

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Betroffene dürften sich nicht zurückziehen und sollten so gut es geht im Alltag bleiben, sich aber keineswegs überfordern. Long Covid sei oft auch ein Problem der Leistungsgesellschaft, sagt Expertin Frommhold in diesem Kontext. Mediziner versuchen, die individuellen Symptome der Betroffenen zu lindern. So können bestimmte Atemtechniken Atemnot oder Kurzatmigkeit lindern, Physiotherapie kann bei Muskelschwäche Abhilfe schaffen.

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Long Covid-Experte: Auch im psychologischen und psychotherapeutischen Bereich ansetzen

Bei den meisten ihm bekannten Patienten seien die Beschwerden nach sechs, spätestens neun Monaten deutlich verbessert oder sogar weg, sagt Kleinschnitz. Einige hätten aber auch viel länger mit Symptomen zu kämpfen. Er weist aber auch darauf hin, dass aus seiner Sicht bei vielen Patienten zunächst im psychologischen und psychotherapeutischen Bereich anzusetzen sei, bevor teils strapaziöse und sehr teure medizinische Therapieverfahren gewählt würden.

Das möchte er nicht falsch verstanden wissen: „Das bedeutet nicht, dass sich die Leute ihre Symptome einbilden oder simulieren.“ Symptomatik und Leidensdruck seien klar da. „Wir glauben nur, dass die Genese meistens bei sehr langwierigen Fällen weniger eine organische als eher eine seelisch-psychologische ist.“

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Long Covid-Ausblick: „Kriegen wir als Gesellschaft innerhalb der nächsten fünf, zehn Jahre gut in den Griff“

Nach Einschätzung des Experten-Gremiums ist es wahrscheinlich, dass die mit Long Covid verbundenen Beschwerden die Gesellschaft und das Gesundheitssystem langfristig belasten. Neurologe Kleinschnitz zeigt sich aber vorsichtig optimistisch. Er geht davon aus, dass mindestens 80 Prozent der Betroffenen sich innerhalb eines „überschaubaren Zeitraums“ erholten. „Long Covid muss ernstgenommen und angegangen werden. Aber wir kriegen das als Gesellschaft innerhalb der nächsten fünf, zehn Jahre gut in den Griff.“ (dpa/mjä)