Zu wenig Hebammen in DeutschlandKreißsaal-Krise: Wer kümmert sich jetzt um mich und mein Baby?

Der zweite Strich ist da und langsam dämmert Ihnen: Ihr Leben wird sich schlagartig verändern. Denn herzlichen Glückwunsch, Sie sind schwanger! Was Sie vielleicht ebenfalls wissen: Jetzt heißt es, schnell eine Hebamme zu suchen und im besten Fall auch zu finden. Denn die Geburtshelferinnen und Betreuerinnen sind rar. Davon konnte sich auch RTL-Reporter Ralf Herrmann im Zuge der Reportage „Ralf, die Hebamme“ ein Bild machen.
Und auch die Situationen in den Kreißsälen spitzen sich immer mehr zu. Man hört von Schwangeren, die trotz starker Wehen von Kliniken abgewiesen werden, weil die Kreißsäle überfüllt sind und von immer mehr Geburtstationen, die schließen müssen. Doch woran liegt das?
Podcast ELTERNgespräch: #202 Ralf, die Hebamme
Was Hebammen-Praktikant und Journalist Ralf Herrmann über den Beruf der Hebamme und über das Leben gelernt hat, erzählt er zudem im Podcast „ELTERNgespräch“.
Darum gibt es so wenige Hebammen in Deutschland
Die Geburtenrate steigt. Was eigentlich eine durchaus positive Nachricht darstellt, wird in Anbetracht des Hebammenmangels und der immer weniger werdenden Kreißsäle zu einem echten Problem. Schließlich hat genau das unmittelbare Folgen für Schwangere, die gerne im Krankenhaus entbinden wollen. Die Geburt im Kreißsaal der eigenen Wahl ist nicht mehr überall gewährleistet. Warum steckt die Geburtshilfe in Deutschland in einer Krise? Woher rührt die Unterversorgung?
Einer der Hauptgründe sind die schlechten Arbeitsbedingungen der freiberuflichen Hebammen. Sie machen rund 80 Prozent der in Deutschland tätigen Hebammen aus. Viele von ihnen arbeiten als sogenannte Beleghebammen in den Kliniken und sind an rund 20 Prozent aller Geburten beteiligt – im Schichtsystem und in der Eins-zu-Eins-Betreuung. Für die Geburtshäuser sind sie günstiges Personal, denn Beleghebammen rechnen ihre Leistung mit der Krankenkasse direkt ab. Aber sie kämpfen mit schwierigen Bedingungen:
Sollte bei der Geburt etwas schief gehen, müssen sie haften. Die freiberuflichen Hebammen erwartet eine satte Berufshaftpflichtversicherungsprämie von etwa 7.600 Euro (seit Juli 2017), wenn sie direkt bei der Entbindung helfen. Ein teures Unterfangen, auf das sich immer weniger von ihnen einlassen wollen und können.
Vor allem wenn man bedenkt, dass sie ohnehin schon schlecht bezahlt werden (im Schnitt erhalten sie weniger als 10 Euro netto pro Stunde), aber trotzdem ein viel zu hohes Arbeitspensum bewältigen müssen. Zwar können sie Anspruch auf einen Zuschlag zur Zahlung der Haftpflichtversicherung erhalten, allerdings ist dieser an Bedingungen geknüpft, die viele von ihnen nicht eingehen wollen (unter anderem ist eine Mindestanzahl an Geburten pro Jahr vorgeschrieben).
Zu all dem kommen jetzt auch noch neue Forderungen vom Verband der Krankenkassen auf die Beleghebammen zu. Diese könnten, sofern sie durchgesetzt werden, das Aus für das Belegsystem bedeuten und die Geburtssituation in Deutschland weiter verschärfen.
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Drei bis vier Geburten gleichzeitig im Kreißsaal - mit nur einer Hebamme

Der Hebammen-Beruf gerät so immer weiter ins Abseits. Bewerberzahlen sinken zunehmend und die Zahl derer, die tatsächlich noch Geburtshilfe leisten wollen, geht immer weiter zurück. Parallel dazu gehen in den nächsten Jahren viele Geburtshelfer in Rente. Außerdem wollen sich viele Hebammen eher auf die Geburtsvorbereitung und die Wochenbettbetreuung konzentrieren. Wichtige Aufgaben, das steht außer Frage. Doch was bedeutet das für die Kreißsäle?
Die Geburtsstationen stehen selbst unter enormen finanziellen Druck. Immer wieder müssen sie sich die Frage stellen: Sind wir rentabel? Das Korsett ist eng geschnürt: Nur viele Geburten und möglichst wenig Personalkosten können ihre Existenz sichern. So laufen oftmals drei bis vier Geburten gleichzeitig im Kreißsaal ab – mit nur einer Hebamme. Dass immer weniger von ihnen dazu bereit sind, ist nur zu gut verständlich.
Das Ideal einer Eins-zu-Betreuung, das in Ländern wie Großbritannien oder Norwegen tatsächlich praktiziert wird, ist hierzulande in weite Ferne gerückt. Zwar ist die Zahl der fest angestellten Hebammen in Kliniken in den letzten Jahren gestiegen, allerdings arbeiten etwa drei Viertel von ihnen in Teilzeit. Kleine Geburtsstationen können sich nicht genügend Festangestellte leisten und die, die gerne welche einstellen würden, finden wiederum keine. So mussten sich in den letzten Jahren viele kleine Geburtsstationen dem wirtschaftlichen Druck ergeben – und weitere werden folgen. Das wiederum erhöht den Druck auf die Geburtsstationen in den Ballungsräumen und Großstädten, die jetzt auch vermehrt über Engpässe klagen.
Wer bekommt den Mangel und die Probleme zu spüren? Die Mütter!
Zu spüren bekommen das vor allem die Schwangeren und werdenden Mütter. Lange müssen sie im Voraus suchen, um überhaupt eine betreuende Hebamme zu finden. Lange Anfahrten zum nächsten Kreißsaal sind ebenfalls keine Seltenheit mehr. In Großstädten häufen sich die Fälle, in denen Mütter kurz vor der Entbindung noch abgewiesen werden. Die Begründung: Schlichtweg alle Plätze sind belegt oder das Personal reicht nicht aus. Wenn man dann – mit viel Glück – seinen Wunsch-Kreißsaal bekommt und sein Baby dort zur Welt bringen darf, muss man damit rechnen, die Aufmerksamkeit der Hebamme mit zwei bis drei weiteren Frauen zu teilen.
Daher werden immer mehr besorgte Stimmen laut, ob die Gesundheit von Mutter und Kind wirklich in guten Händen ist: „Geburtshilfe darf nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten geplant werden, denn jede Geburt braucht Zeit und individuelle Begleitung“, betonte Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, schon 2017 in einer Pressemitteilung zum Internationalen Hebammentag.
In welchen Fällen Frauen abgewiesen werden
„Wir weisen eine Frau nur dann ab, wenn wir zu hundert Prozent sicher sind, dass wir sie und ihr Kind nicht in Gefahr bringen – also zu einem Zeitpunkt der Geburt, der es definitiv noch zulässt. Damit diese Fälle gering bleiben, gibt es Tage, an denen wir die Klinik für Krankentransporte von Patientinnen mit Frühgeburten sperren. Für diese sind dann andere Kliniken in der Umgebung zuständig. Das passiert wirklich nur dann, wenn wir ohnehin schon viele Geburten haben und unsere Kapazität für kritische Fälle nicht ausreicht. Im Übrigen müssen wir diese Entscheidung sehr genau bei der Gesundheitsbehörde begründen", erzählte Dr. Holger Maul, ehemals Leiter der Geburtshilfe am Marienkrankenhaus in Hamburg, gegenüber „eltern.de“.
„Wenn der Muttermund bereits mehrere Zentimeter geöffnet ist und es die Verfassung der Gebärenden nicht mehr zulässt, sie in eine andere Klinik zu verlegen, dann liegt es an uns, die Rahmenbedingungen für eine Geburt – trotz eines voll belegten Kreißsaals – bestmöglich zu schaffen. Dann kommt es schon vor, dass wir in ein normales Klinik- oder Untersuchungszimmer ausweichen müssen. Das ist ja auch nicht weiter tragisch, denn eine Geburt kann mit dem nötigen medizinischen Equipment und professioneller Betreuung genauso gut außerhalb des eigentlichen Kreißsaals stattfinden", so der Chefarzt weiter.
Und wie wird es weitergehen?

Was bei all der Ungewissheit bleibt: Frauen haben „während der Schwangerschaft, bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung sowie auf Hebammenhilfe einschließlich der Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerenvorsorge”, SGB V, Art. 1, § 24d, Ärztliche Betreuung und Hebammenhilfe.
Doch es stellt sich die Frage, wie diese in Zukunft aussehen wird. Wird die Geburt in ein paar Jahren eine rein medizinische Angelegenheit, in der Hebammen keine Rolle mehr spielen? Werden Frauen sich verstärkt für Alleingeburten entscheiden? „Die Situation, wie sie zurzeit ist, ist wirklich unbefriedigend, sowohl für mich als Hebamme als auch für die betroffenen Frauen. Ich kann dann auch verstehen, wenn die begleitenden Männer teilweise durchdrehen. Solange die Vergütung für den Hebammen-Beruf weiterhin so schlecht bleibt und das Arbeitspensum so hoch, wird sich die Lage nicht entspannen können. Wir Hebammen sind einfach am Limit! Das zeigt sich auch an den vielen Burnout-Fällen. Und wenn dann auch noch das Belegsystem abgeschafft wird, wonach es zurzeit aussieht, dann wäre das eine echte Katastrophe", resümiert Hebamme Kathrin Vogg vom Klinikum rechts der Isar in München, wo derzeit zwar kein Personalmangel herrscht, aber die Angst vor der Schließung weiterer kleinerer Kliniken natürlich da ist.
„Alles, was ich jetzt den Schwangeren raten kann: Bitte auf jeden Fall im Krankenhaus eurer Wahl rechtzeitig anmelden, aber bitte nicht gleich in mehreren, weil das erleichtert es uns in der Planung auch nicht. Bitte wirklich nur dort, wo Ihr auch tatsächlich gebären wollt."
"Ralf, die Hebamme" im TV und online auf RTL+ schauen
RTL-Reporter Ralf Herrmann hat sich den Beruf der Hebamme im Rahmen einer Reportage genauer angesehen und werdende Mütter und ihre Hebammen bei der Geburt begleitet. Dazu hat er sich einer Turbo-“Ausbildung“ unterzogen. Am Ende wurde ihm sogar eine echte Ehre zuteil: Er durfte eine Hausgeburt begleiten.
Am 7. Juli um 20:15 Uhr sehen Sie in „Ralf, die Hebamme – Ich bringe ein Kind zur Welt!“ auf RTL, wie er die Herausforderung gemeistert und die „emotionalen Tage im Kreißsaal“ erlebt hat.