Wenn das Sammeln zum Problem wird

Hamburger Projekt räumt Leben von Menschen mit "Messie-Syndrom" auf

Sie werden oft abschätzig als Messies bezeichnet – Menschen, denen das eigene Leben häufig einfach über den Kopf wächst. Allein in Hamburg leben schätzungsweise 40.000 Menschen, denen das so geht. Das zwanghafte Sammeln und Horten von Gegenständen ist eine Krankheit. Den Betroffenen scheint es unmöglich, sich von Dingen zu trennen. In Hamburg gibt es jetzt erstmalig ein Hilfsangebot für diese Menschen: Das Projekt Dele, kurz für: desorganisiert Leben.
Andrea ist eine der ersten, denen das Dele-Projekt hilft. Wie sehr sie unter ihrer Krankheit leidet und wie unübersichtlich ihre eigene Wohnung durch den Sammelzwang wurde, erzählt sie im Video.

Viele Betroffene haben Angst aufzufliegen

Häufig schämen sich die Menschen für ihre Lebenssituation. Für Vermieter wäre der Anblick einer völlig vollgeräumten Wohnung außerdem Grund genug für eine Räumungsklage. Und das wäre fatal, erklärt Bettina Reuter von der Ambulanten Hilfe Hamburg, Träger des Dele-Projekts: „Wenn die Wohnung erstmal weg ist, dauert es Jahre, bis sie wieder die Chance haben, einen neuen Mietvertrag abzuschließen.“

Sozialarbeiter greifen Betroffenen unter die Arme

Das Dele-Projekt begleitet desorientierte Menschen über maximal 18 Monate mithilfe von Sozialarbeitern, offenen Sprechstunden und Gruppenangeboten. Seit Anfang April arbeitet ein Team aus Wissenschaftlern und Sozialarbeitern daran, Hilfsangebote auf die Beine zu stellen und vermehrt auf die Krankheit aufmerksam zu machen. Zweieinhalb Jahre läuft es ab jetzt, finanziert dank Spenden. Begleitet wird es von der Hochschule für angewandte Wissenschaften. „Das Ziel ist natürlich, dass wir ein Angebot schaffen, was verstetigt wird, also über diese zweieinhalb Jahre hinaus“, sagt Projektleiterin Johanna Wessels. Vorraussetzung für die Hilfe ist, dass sie von den Betroffenen auch gewollt ist.

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Sammelzwang häufig durch Kindheitstrauma hervorgerufen

Dass es in Andreas Wohnung so aussieht, wie es aussieht, liegt nicht daran, dass sie zu faul zum aufräumen ist. Ursache ist eine psychische Störung, hervorgerufen durch ein Kindheitstrauma, dass sie nie bewältigt hat. „Meine Mutter hatte eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Und die hat sie an mir komplett ausgelebt. Ich bin ausgenutzt und emotional missbraucht worden“, erzählt sie. Zeit ihres Lebens fühlt sie sich falsch und wertlos. Mit dem Sammeln von Gegenständen versucht sie diese Wunde in ihrem Herzen zu schließen. Ein Schicksal, das sie mit vielen desorganisiert lebenden Menschen teilt. Das Projekt Dele möchte hier ansetzen. Nicht nur die Wohnung entrümpeln, sondern auch die Seele.