Wagner-Insider im RTL-Interview

Putins Geheimsöldner packt aus: Unsere Bosse wollen, dass wir foltern, morden, verstümmeln

von Sergej Maier und Markus Frenzel

Wir dürfen von dem Mann so gut wie nichts erfahren. Nicht wo er wohnt, wovon er lebt, wie seine Familie aussieht. Er ist einfach da. Zum telefonisch vereinbarten Zeitpunkt steht er auf einmal vor uns an einem Kreisverkehr in Nizza. Mit Tarnen und Täuschen kennt sich Marat Gabidullin gut aus. Er kämpfte vier Jahre lang für die Söldner der russischen Gruppe Wagner. Aber seit er abgetaucht ist, sich im Ausland versteckt – fürchtet er die Häscher seines einstigen Bosses, Jewgeni Prigoschin.
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Ex-Kämpfer: „Ich bin für den Wagner-Chef sein Feind Nummer eins“

Offiziell ist Prigoschin der Kopf des Söldnerheeres, das inzwischen auf mehrere Zehntausend Mann angewachsen ist. In der Ukraine zählen die verrohten Kämpfer zur Speerspitze des russischen Angriffs. Insider des russischen Sicherheitsapparates vermuten schon lange noch wichtigere Strippenzieher dahinter.

„Ich bin für den Wagner-Chef sein Feind Nummer eins“, sagt uns Ex-Kämpfer Gabidullin, als wir vom Strand die Treppen hinaufsteigen, in einen etwas abgelegeneren Park. „Wir wurden wie Sklaven gehalten.“ Schon bei den kleinsten Verfehlungen – ein falsches Wort, eine unbedachte Geste – hätten die Söldner damals bei Wagner-Boss Prigoschin um Absolution verlangt.

„Wir mussten auf den Knien zu ihm rutschen und um Vergebung bitten“, erinnert sich der Aussteiger mit Abscheu. Überhaupt sei des Leben in der Söldnertruppe mit einem normalen Zivilleben nicht vergleichbar. Da gibt es die „Bluttaufe“, mit der die Kämpfer gefügig gemacht werden sollen. So ist es durchaus im Sinne der militärischen Führung, wenn die Kämpfer über die Stränge schlagen und schlimme Verbrechen begehen, indem sie Gefangene foltern, ermorden, widerlich verstümmeln und sich dabei womöglich noch filmen. Denn dann sind sie erpressbar – und können nicht mehr zurück.

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Minutenlanges Martyrium

Ex-Kämpfer Gabidullin im Interview mit RTL
Ex-Kämpfer Gabidullin im Interview mit den RTL-Reportern Markus Frenzel und Sergej Maier
RTL, RTL, RTL

Marat Gabidullin war selbst nur wenige Hundert Meter entfernt im Militärlager von Palmyra, als 2017 eine Handvoll Wagner-Söldner einen syrischen Deserteur in ihre Hände bekamen. Auf Video hielten sie sein minutenlanges Martyrium fest: Wie sie ihn langsam mit dem Hammer töten und auf den Leichnam urinieren. „Diese vier Idioten, die dieses Verbrechen begangen haben, handelten auf Befehl ihrer Vorgesetzten“, berichtet uns nun Marat Gabidullin in einer schattigen Ecke des Parks in Nizza. „Sonst hätten sie es nicht gewagt, so etwas zu tun.“

Lese-Tipp: Aktuelle Informationen finden Sie im Ukraine-Krieg-LIVETICKER.

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Wer aus der Gruppe Wagner desertieren will, überlegt sich das zweimal

08.04.2023, Russland, Moskau: Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Privatarmee Wagner Group, nimmt an der Beisetzung des getöteten russischen Militärbloggers Tatarski auf dem Friedhof von Trojekurowskoje teil. (zu dpa "Privatarmee Wagner wirbt Freiwillige für Krieg gegen Ukraine") Foto: Uncredited/AP/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung +++ dpa-Bildfunk +++
Chef der Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin
kde, dpa, Uncredited

Für den Ex-Kämpfer steckt hinter den Grausamkeiten System. So werden Feinde abgeschreckt – und Angst in den eigenen Reihen gesät. Wer aus der Gruppe Wagner desertieren will, überlegt sich das zweimal, denn die Strafe ist tödlich. Der Russe Gabidullin ist froh, dass er jetzt in West-Europa in Sicherheit lebt. Aber dass er außer Gefahr ist, glaubt er nicht im Traum. Dafür kennt er seine ehemaligen Kameraden zu gut. Er weiß einfach zu viel.

„Das ist ein Verbrechen, keine Frage“, sagt er über die Tötung des Deserteurs im syrischen Palmyra. „Die Leute, die das getan haben, sollten vor Gericht gestellt werden. Sie sollten die Strafe erhalten, die sie verdienen.“

Privatarmee Wagner ist mit dem russischen Staat verbunden

Biarritz, der Ort für das Interview mit Wladimir Osetschkin von „Gulagu.net“
Biarritz - irgendwo hier haben wir an einem geheimen Ort Wladimir Osetschkin, den Chef der Menschenrechtsorganisation „Gulagu.net“, getroffen.
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Nur wer müsste dann alles vor Gericht gestellt werden? Bislang gehen die meisten Beobachter davon aus, dass die Gruppe Wagner eine Private Military Company (PMC), also eine private Söldnerarmee ist.

Doch in monatelangen Recherchen konnte RTL nachweisen, dass von Beginn an enge Verbindungen zu staatlichen Strukturen vorhanden waren. Gegründet wurde die Einheit in unmittelbarer Nähe einer Basis des russischen Militärgeheimdienstes GRU, von Beginn an gehörten hohe Offiziere des Inlandsgeheimdienstes FSB zur Führungsspitze der Wagner-Truppe.

Interview an einem geheimen Ort

Wladimir Osetschkin, Chef der Menschenrechtsorganisation „Gulagu.net“ im RTL-Interview
Wladimir Osetschkin, Chef der Menschenrechtsorganisation „Gulagu.net“ an einem geheimen Ort
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Wir fahren an die Atlantikküste nach Biarritz. Vier Beamte der französischen Nationalpolizei durchsuchen uns. Sie durchwühlen unsere Kamerataschen, unsere Kleidung. Die Polizisten wollen absolut sicher gehen, dass wir keine Gefahr darstellen. Denn wir sind mit Wladimir Osetschkin verabredet, dem Chef der Menschenrechtsorganisation „Gulagu.net“.

Auf den Mann sind im französischen Exil schon zwei Mordanschläge verübt worden, bislang ist er den Angreifern immer entkommen.

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Wagner - eine geheime Militäreinheit des Kreml?

HANDOUT - 18.04.2023, Ukraine, ---: Dieses von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik über AP zur Verfügung gestellte Videostandbild, das vom russischen Fernsehsender Pool veröffentlicht wurde, zeigt Wladimir Putin (M), Präsident von Russland, bei einem Treffen mit Generaloberst Oleg Makarewitsch (r), Kommandeur der Truppengruppierung «Dnepr», und Generaloberst Michail Teplinskij, Kommandeur der Luftlandetruppen, an einem nicht genannten Ort. Nach Angaben des Kremls hat Putin das Hauptquartier der in der Ukraine kämpfenden russischen Truppen besucht. Foto: Uncredited/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
Ukraine-Krieg - Putin reiste laut Kreml in annektierte Gebiete
oja nwi, dpa, Uncredited

An einem geheimen Ort, im Keller, in einem Raum ohne Fenster sitzen wir Osetschkin gegenüber. Wir wollen mit ihm über die Gruppe Wagner sprechen. „Als Putin und seine Spezialeinheiten die Krim überfielen, schufen sie ein geheimes Projekt, das Gruppe Wagner genannt wird“, berichtet uns Osetschkin, der bis in höchste russische Sicherheitskreise gute Kontakte unterhält. „Aber das ist keine private Söldnerarmee. Das ist eine geheime Division der Russischen Spezialkräfte.“ Kann das sein? Eine geheime Militäreinheit des Kreml, die sich als Privatunternehmen tarnt?

Nach russischen Gesetzten sind private Militärunternehmen immer noch verboten. Dass es keine Ermittlungen gegen Prigoschin gab, spricht auch dafür, dass der Kreml seine schützende Hand über die Söldnertruppe hält.

Der Menschenrechtsaktivist zeigt uns Fotomaterial, Belege für Wagner-Basen, die eng mit regulären russischen Militärbasen verknüpft sind. „Der Kern von Wladimir Putins Plan ist, dass so eine geheime Division geschaffen wurde, die verdeckt im Ausland eingesetzt werden kann“, verrät uns Osetschkin weiter. „Aber ohne, dass diese Kämpfer mit der Regierung, mit der russischen Verwaltung, mit Wladimir Putin in Verbindung gebracht werden.“ Auf diese Art kämpften die Wagner-Söldner heute verdeckt in Syrien, in Mali, der Zentralafrikanischen Republik oder inzwischen auch ziemlich sichtbar in der Ukraine.

Strack-Zimmermann: „Das muss in Den Haag auf den Tisch“

Marat Gabidullin bestätigt uns die Informationen des „Gulagu.net“-Chefs. Er selbst sei als Mitarbeiter einer russischen Firma nach Syrien eingereist. „Wir mussten uns als Angestellte des Unternehmens ausgeben“, erinnert er sich. „Wir sollten angeblich irgendwas mit Pumpen machen.“ Einmal im Land begannen die Söldner ihr blutiges Handwerk. Die russischen Kämpfer wurden sofort in die gefährlichsten Regionen geschickt. Dorthin, wo sie auf die nicht weniger kriminellen Kämpfer des IS trafen.

Aus der Zeit stammt das Video von der Misshandlung und Ermordung des Deserteurs. Vergangene Woche ist ein ähnlicher Film aus der Ukraine aufgetaucht, in dem angeblich ein Wagner-Söldner einem ukrainischen Soldaten die Kehle durchschneidet.

Zurück in Deutschland bekommen wir von Aktivist Osetschkin eine weitere schreckliche Information zugespielt. Zwei ehemalige Kommandeure von Wagner haben ihm in einem Video-Interview bestätigt, dass die Söldner auch Kinder umgebracht hätten. Einer behauptet sogar, dass er selbst ein sechsjähriges Mädchen auf Befehl des obersten Wagner-Bosses erschossen habe.

Als wir unsere Recherchen der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag vorlegen, steht für sie sofort fest, dass der Internationale Strafgerichtshof (ICC) hier dringend Ermittlungen aufnehmen müsste. „Das muss in Den Haag auf den Tisch“, fordert die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Diese Leute, diese Typen fühlen sich ja sicher. Sie müssen wissen, wenn sie angeklagt werden, wenn sie ihr Land verlassen und in ein freies Land einreisen, dass das Ende ihres zivilen Lebens ist.“

Marat Gabidullin im fernen Nizza ahnt bereits, dass er in zukünftigen Prozessen als Kronzeuge vernommen werden könnte. Er hat gute Gründe, seinen Wohnort und sein neues Leben geheim zu halten.

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