Auf Lampedusa beginnt eine neue Flüchtlingskrise
Extreme Enge im Flüchtlingscamp: Hier leben 2.000 Menschen - statt 400
Seit Ostern kommen tausende Flüchtlinge auf der kleinen italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa an. RTL-Reporter Lukas Wilhelm hat die Insel besucht und einen Einblick in die unermüdliche Arbeit deutscher Rettungskräfte auf Lampedusa bekommen. Die Zustände im Camp sind katastrophal – viele Menschen dort haben nur ein Ziel: Weg. Am liebsten weiter nach Norden, nach Deutschland oder in die skandinavischen Länder.
Das Urlaubsdomizil ist gar nicht mehr so idyllisch

Wenn die Fischer in den frühen Morgenstunden im Hafen ihre Netze prüfen, auf ihre kleinen, meist in die Jahre gekommenen Boote steigen und aufs Meer hinaus fahren, erinnert Lampedusa an das, was die Insel eigentlich sein möchte. Ein Urlaubsdomizil, das viele Italiener schon im Frühling anlockt, weil das kristallklare Wasser an Lampedusas Stränden schon jetzt warm genug zum Baden ist.
Doch Lampedusas Hafen ist in diesen Tagen kein idyllischer Ort. Am Fährterminal fährt ein alter Bus vor. Einer, der nur dann fährt, wenn man den Motor eine halbe Stunde warm laufen lässt, witzeln die Anwohner am Hafen. Es steigen Menschen aus, die sich freuen, die Insel jetzt so schnell wie möglich verlassen zu dürfen.
Per Fähre nach Europa
Rund 300 Geflüchtete aus Zentralafrika werden in den Hafen gebracht. Viele junge Frauen mit kleinen Kindern sind dabei, einige der Frauen sind hochschwanger. Sie setzen sich auf den kühlen Betonboden und warten mehrere Stunden auf die große Fähre, die Lampedusa mit Sizilien verbindet. Die Polizei umstellt die Gruppe. Verbietet den anwesenden Journalisten, sie anzusprechen, doch in den Gesichtern der Menschen ist eine Mischung aus Erleichterung und Ungewissheit zu lesen. Ungewissheit über das, was sie auf Sizilien erwartet und Erleichterung darüber, den Zuständen im Flüchtlingscamp auf Lampedusa entkommen zu sein.
Ein Gefängnis-Lager auch für Kinder
Das Camp liegt in einer Senke, wer sich den meterhohen Zäunen der Anlage von außen nähert, wird von Wachtposten des Militärs kontrolliert. Im Camp ist Platz für 400 Menschen, in den vergangenen Tagen wurden jedoch bis zu 2.000 Geflüchtete hier untergebracht. Kleine Kinder, Frauen, Männer, alle sind im Camp auf engstem Raum untergebracht. Hier leben Menschen aus vielen Ländern. Aus Zentralafrika kommen auffällig viele Frauen und Kinder. Aus dem Nahen Osten und Nordafrika sind es hauptsächlich Männergruppen. Und sogar Menschen aus Bangladesch und Afghanistan leben hier. Sie alle sind eingesperrt.
Denn das Camp im Zentrum der Insel dürfen sie zu keiner Zeit verlassen. Nicht selten kommt es zu Auseinandersetzungen, manchmal auch zu Gewalt. Die Lage auf der Insel ist angespannt. Seit Ostern kommen tausende Menschen in seeuntauglichen Schlepperbooten aus Nordafrika auf Lampedusa an. Viele von ihnen werden von der Küstenwache oder privaten Organisationen auf See gerettet und in den Hafen gebracht. Manche erreichen die Strände der Insel eigenständig in ihren Booten.
Deutsche Rettungsflieger überwachen das Mittelmeer

Die Küstenwache und private Rettungsorganisationen sind im Dauereinsatz. Das Team der deutschen Rettungsorganisation Sea-Watch patrouilliert fast jeden Tag mit einem kleinen Flugzeug über dem Mittelmeer. Die Aufgabe der Crew um den Deutschen Tamino Böhm ist es, Flüchtlingsboote im Mittelmeer aufzuspüren und dann die Küstenwache oder Schiffe in der Nähe per Funk zur Rettung aufzufordern.
Bei ihrem letzten Flug entdeckten sie bei rauer See ein kleines Boot mit rund 30 Menschen, mit ihrem Einsatz retteten sie diesen Menschen das Leben.„Wir konnten nach etlichen Versuchen Funkkontakt zu einem Handelsschiff herstellen“, berichtet Tamino Böhm. „Es konnte die Menschen an Bord nehmen und sicher nach Malta bringen.“ Nicht immer, berichtet uns Böhm, gehen die Rettungsaktionen gut aus. Die Crew hat mehrfach Menschen im Mittelmeer ertrinken sehen, weil die Schiffe der Küstenwachen von Malta und Italien nicht reagierten. In den kommenden Monaten werden sie im Dauereinsatz sein.
„Im Sommer ist die See ruhiger, die Bedingungen für Schlepperbanden sind dann besonders gut“, erklärt Sea-Watch Sprecher Florian Weiss, als wir ihn im Büro der Organisation auf Lampedusa treffen.
Die Flüchtlingsroute ändert sich
Auf den Karten der Organisation ist zu erkennen, wie sich die Flüchtlingsroute verändert. „Wir beobachten, dass immer mehr Menschen von Tunesien aus die gefährliche Überfahrt riskieren“, erklärt Weiss. Zuvor seien die Boote meist von Libyen gestartet. Das teils brutale Einschreiten der libyschen Küstenwache erschwert den Schlepperbanden ihre kriminelle Arbeit. Zudem herrsche in Tunesien eine „progromartige Stimmung“ gegenüber Migranten aus Zentralafrika, berichtet Weiss.
Das erkläre, warum zuletzt so viele Menschen auf der Flucht nach Lampedusa seien. Auf unsere Reise über die kleine Mittelmeerinsel treffen wir auch einen Mitarbeiter des Insel-Klinikums. Er betreut kranke Geflüchtete im Camp. Viele von ihnen kennen die Asylgesetze in Europa nicht, erklärt er uns. Wenn die Geflüchteten mit der Fähre das italienische Festland erreicht haben, versuchen sie weiter nach Norden zu reisen, zum Beispiel nach Skandinavien, Großbritannien oder nach Deutschland.
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