Jahrestag des Terroranschlags von Wien
Cousin von Terror-Opfer: "Der Boden wurde unserer Familie unter den Füßen weggezogen"
Terror in Wien: Angehörige fühlen sich im Stich gelassen
Vor einem Jahr schockte ein schwere Terroranschlag Österreich, in der Hauptstadt Wien tötet ein radikaler Islamist vier Menschen. Einer von ihnen war der 21-jährige Nezip Vrenezi. Seine Familie trauert bis heute tief und fühlt sich von den Behörden im Stich gelassen, erklärt Eugen Kaba, Nezips Cousin. "Der Boden wurde uns unter den Füßen weggezogen", erinnert er sich an den Moment, als die Familie erfuhr, dass Nezip zu den Todesopfern gehört.
Cousin von Terror-Opfer: "Glauben an die Menschen verloren"
Sie trauern seither jeden Tag, die Familie sei "in ein Loch gefallen, das ist das Schlimmste", sagt er. "Wir haben an diesem Tag den Glauben an die Menschen verloren." Weil sie das Gefühl hätten, keiner interessiere sich für das Schicksal der Opfer. "Trauer und Wut sind nicht weiter voneinander entfernt", erklärt er, als mit unserer Reporterin den Ort des Anschlags besucht. Es sei schwer, damit umzugehen. Er komme sehr ungern an diesen Platz, so Kaba.
Mathias Burger, Anwalt der Familie, beklagt, dass die Eltern nicht offiziell von den Behörden informiert wurden. Erst als sie am nächsten Tag zur Polizei gingen, wurde ihnen mitgeteilt, dass ihr Sohn erschossen worden sei, "Dann schickte man sie wieder nach Hause", sagt er. Kein Hilfsangebot, kein Krisen-Interventionsgespräch, nichts. Aus Sicht des Anwalts katastrophal, "weil die erste Hilfe die wichtigste gewesen wäre."
Video und Hintergründe: Der Anschlag von Wien
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Behörden informierten Familie nicht über Nezips Tod
Cousin" Kaba sagt, weil nichts passiert sei, fühle er sich wie ein Bittsteller, der um Hilfe "betteln" müsse. Hätte die Regierung einen Schritt auf die Familie zugegangen, wäre da nur die Trauer, aber so sei auch die Wut groß. Die Familie hätte professionelle Unterstützung gebraucht, die hat sie bis heute nicht bekommen", klagt er. "Mit psychologischer Hilfe wären die Angehörigen nicht in ein so tiefes Loch gefallen", ist er sicher.
Auch in der Schuldfrage vertritt Kaba einen klaren Standpunkt. Damit meint er nicht nur den Attentäter – "über den brauchen wir nicht zu sprechen, denn er ist es nicht wert." Für ihn und seine Familie steht allerdings fest, dass die österreichischen Behörden und namentlich das Innenministerium eine Mitschuld haben. "Wenn man schon Fehler gemacht hat, sollte man für seine Fehler geradestehen", findet er.
Wien: Untersuchungskommission stellt Pannen fest
Der Täter saß bis Ende 2019 im Gefängnis, weil er versucht hatte, sich dem sogenannten "Islamischen Staat" anzuschließen. Eine Untersuchungskommission hat Pannen im Vorfeld der Tat festgestellt. Den Ermittlern sei ein Treffen des späteren Attentäters mit anderen Islamisten sowie sein Versuch eines Munitionskaufs bekannt gewesen. Die Staatsanwaltschaft wurde jedoch nicht informiert.
Kabas hartes Urteil: "Eigentlich hätten wir von der Regierung beschützt werden müssen." Stattdessen sei man "verraten" worden und seine Familie hätte ein Todesopfer zu beklagen. Da anschließend so wenig passiert sei, fühlten sich die Angehörigen ein Jahr nach dem Anschlag schlichtweg vergessen.
Anwalt: "Die Familie fühlt sich von allen Seiten im Stich gelassen"
Die Familie fühle sich "von allen Seiten im Stich gelassen", bestätigt Anwalt Burger. Ein Krisen-Interventionsteam zu Beginn sowie regelmäßige psychologische Betreuung wären das Mindeste gewesen, findet er. Doch sie habe weder Hilfe bekommen noch hätten offizielle Stellen kondoliert oder ihr Bedauern ausgedrückt. Das nage sehr an den Hinterbliebenen, so der Anwalt. Sie hätten sich gewünscht, dass man aktiv auf sie zugeht, "das hätte ihnen Kraft gegeben", ist er überzeugt.
Auch andere Opferanwälte forderten vom Staat Österreich Entschuldigungen und das Eingeständnis von Ermittlungspannen. "Wir sehen eindeutige Verfehlungen bei den Behörden", meint Anwalt Lukas Bittighofer.
Opferanwälte fordern Empathie von der österreichischen Regierung
Ende September richtete die Regierung einen Entschädigungsfonds mit 2,2 Millionen Euro für Terror-Opfer ein. Das reiche aber nicht, sagte Opferanwalt Karl Newole. "Niemand hat gesagt: Es tut uns leid." Die Regierung habe keine Empathie gezeigt.
Österreichs Staats- und Regierungsspitze gedenkt an diesem Dienstag der Opfer des Terroranschlags in Wien vom 2. November 2020. Unmittelbar vor Beginn eines landesweiten Lockdowns hatte der radikal-islamische Terrorist Kujtim F. in einem Vergnügungsviertel der Innenstadt vier Menschen ermordet und mehr als 20 teils schwer verletzt. Er wurde später er von der Polizei getötet. (uvo)