7. Februar 2005 – Entsetzen über sogenannten „Ehrenmord” in Berlin-TempelhofAynur Hatun Sürücü – ermordet, weil die Familie ihr kein selbstbestimmtes Leben gönnte

Sie wollte nur frei sein.
Berlin, 7. Februar 2005: Hatun Sürücü ist eine junge Frau, die etwas ganz Normales tun möchte. Ein selbstbestimmtes Leben führen, nach ihren Vorstellungen, ihren Träumen. Doch die Familie hat etwas dagegen, weil das nicht in ihr archaisches Weltbild passt. Ihr eigener Bruder tötet Hatun. Deutschland ist entsetzt, der Begriff „Ehrenmord“ macht die Runde.
Glückliche Jahre: Sie geht gern auf Partys, legt auch das Kopftuch ab

Hatun ist 23 Jahre alt, als die Deutsch-Türkin wegen der Moralvorstellungen ihrer Familie ermordet wird. Schon sehr viel früher muss sie darunter leiden: Als 16-Jährige wird sie zur Heirat mit ihrem Cousin in der Türkei gezwungen, wird schwanger. Ihr Mann schlägt sie, die Ehe ist die Hölle, wie sie sagt. Hatun ist unglücklich, doch sie hat große Willenskraft. Und sie ist eine starke Frau.
Als sie ihre Situation in der Türkei nicht mehr aushält, kehrt sie zurück nach Deutschland. Beginnt ein neues Leben, gegen alle Widerstände. Frei, selbstbestimmt, endlich lebt sie so, wie sie es will. Sie zieht ihren Sohn alleine groß. Hatun geht gern auf Partys, hat deutsche Freunde. Sie macht eine Lehre als Elektroinstallateurin. Hat einen Freund, der sie und ihren kleinen Sohn Can liebt.
Dreimal schießt ihr kleiner Bruder Hatun in den Kopf
Ihre Familie will sich nicht damit abfinden. Immer wieder wird sie beschimpft, bedroht. Hatun lässt sich nicht beirren. Eines Tages legt sie auch das Kopftuch ab. Ist das der Moment, in dem die Familie beschließt, dass Hatun nicht mehr weiterleben soll?
Es passiert in der Nacht zum 7. Februar 2005. Hatun begleitet ihren jüngeren Bruder Ayhan zu einer Bushaltestelle in Berlin-Tempelhof. Sie hat einen Kaffeebecher in der einen Hand, in der anderen eine Zigarette. Ist arglos, völlig ahnungslos. Dreimal schießt ihr kleiner Bruder ihr in den Kopf. Aynur Hatun Sürücü ist tot.
Nur einer muss ins Gefängnis

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Die Berliner Polizei nimmt den Mörder fest, verhaftet auch zwei ältere Brüder. Die drei werden wegen gemeinschaftlichen Mordes aus niederen Beweggründen angeklagt. Eine Strafe verbüßt nur der Jüngste. Nach Jugendstrafrecht wird der 18-jährige Mörder zu neun Jahren und drei Monate Haft verurteilt.
„Nur eine Frau”: Hatuns Leben kommt ins Kino
Die beiden mitangeklagten Brüder Mutlu und Alpaslan werden hingegen aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Sie setzen sich in die Türkei ab, wo sie zwölf Jahre nach dem Mord freigesprochen werden.
Ihre Schwester ist tot, doch ihr Leben ist nicht vergessen. 2019 kommt „Nur eine Frau“ (mit Almila Bagriacik als Hatun in der Hauptrolle) in die Kinos. Der dokumentarische Spielfilm erinnert an eine lebenshungrige, freiheitsliebende und mutige junge Frau, die leider nur 23 Jahre alt wurde.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien erstmals am 7. Februar 2020 anlässlich des 15. Jahrestages des Todes von Hatun Sürücü.