Konflikt mit Ukraine und NATO

Worum geht es im Streit mit Russland?

von Hubertus Volmer

"Wir bedrohen niemanden", sagt der russische Außenminister Lawrow, doch einige Nachbarländer sehen das anders. „Wir befinden uns jetzt in einer Phase, in der Russland jederzeit einen Angriff auf die Ukraine starten könnte“, sagt eine Sprecherin des Weißen Hauses. Ein Überblick über die aktuelle Eskalation des Konflikts zwischen Russland und dem Westen.

Worum geht's in der aktuellen Krise mit Russland?

Der Ausgangspunkt des Konflikts liegt vor acht Jahren, als Russland gewaltsam die ukrainische Halbinsel Krim annektierte. Als Reaktion darauf haben die Europäische Union und die USA Sanktionen gegen Russland verhängt. Im selben Jahr, 2014, riefen Separatisten in der Ostukraine die "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk aus. In diesem unerklärten Krieg im Osten der Ukraine starben bereits mehr als 13.000 Menschen.

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Die aktuelle Eskalation fing damit an, dass Russland im November Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenzog. Der Westen befürchtet, dass Russland einen Einmarsch plant oder zumindest indirekt damit droht. "Das ist nach dem Zweiten Weltkrieg eine erstmals ganz reale Kriegsgefahr", sagte der lettische Präsident Egils Levits im „Deutschlandfunk“ über den Aufmarsch an der ukrainischen Grenze.

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Nach russischer Darstellung handelt es sich dagegen um ganz normale Manöver auf russischem Hoheitsgebiet, wie der russische Außenminister Sergej Lawrow bei der Pressekonferenz mit seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock heute sagte. "Wir bedrohenden niemanden", so Lawrow.

Er betonte, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) habe auf einem Gipfel in Astana 2010 beschlossen, jedes Land solle so für seine eigene Sicherheit sorgen, dass die Sicherheit keines anderen Landes gefährdet werde. Aus russischer Sicht ist das der Fall, wenn die Ukraine sich dem Westen zuwendet.

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Aus westlicher Sicht ist das der Fall, wenn Russland Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammenzieht, eine ukrainische Halbinsel annektiert und Separatisten in der Ostukraine unterstützt. Baerbock dagegen erklärte, die Soldaten seien "ohne nachvollziehbaren Grund" zusammengezogen worden. "Es ist schwer, das nicht als Drohung zu verstehen."

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Geht es also nur um die Ukraine?

Keineswegs. Aus westlicher Sicht will der russische Präsident Wladimir Putin generell die Grenzen Russlands ausdehnen und andere Länder einnehmen. Als Indizien dafür gelten neben dem Vorgehen in der Ukraine und an der ukrainischen Grenze die Entsendung von Soldaten nach Kasachstan sowie die immer engere Anbindung von Belarus an die Russische Föderation.

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Außerdem fordert Russland, dass die NATO dauerhaft darauf verzichtet, die Ukraine in die NATO aufzunehmen und auch keine Manöver dort durchzuführen. Die NATO argumentiert, dass darüber allein die Ukraine als selbstständiger Staat bestimmen könne.

Auch Schweden und Finnland, die ebenfalls in unmittelbarer Nähe zu Russland liegen, sollen nicht in die NATO aufgenommen werden. Dieser Schuss geht allerdings aus russischer Sicht nach hinten los. Denn Forderung Russlands hat die Debatte über einen möglichen NATO-Beitritt in beiden Ländern eher befördert.

HANDOUT - 31.12.2021, Russland, Moskau: Auf diesem vom Pressedienst des Kremls am Samstag, 1. Januar 2021, veröffentlichten Bild spricht Wladimir Putin, Präsident von Russland, während einer Aufzeichnung seiner jährlichen, im Fernsehen übertragenen Neujahrsbotschaft am Silvesterabend im Kreml in Moskau, Russland. Putin hat in seiner Neujahrsansprache der vielen Corona-Toten gedacht und den Menschen in seinem Land Mut zugesprochen. «Diese heimtückische Krankheit hat Zehntausende Leben gekostet», sagte Putin mit Blick auf die hohen Todeszahlen von etwa 1000 Opfern täglich in Russland. Foto: Uncredited/Kremlin Press Service via AP/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
Wladimir Putin will Russland zu alter Größe zurückführen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion sei die "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" gewesen.
AZ sei, dpa, Uncredited

Was will Putin erreichen?

Zunächst will Putin verhindern, dass die NATO sich weiter Richtung Osten ausdehnt. Er scheint aber auch Wert darauf zu legen, dass Russland wieder oder weiterhin als Weltmacht wahrgenommen wird. Nicht wenige westliche Experten vermuten, dass er den Zusammenbruch der Sowjetunion, den er einmal als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" bezeichnet hat, zurückdrehen will.

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Darüber hinaus ist es gut möglich, dass Putin den Westen über Projekte wie Nord Stream 2 spalten will (dazu weiter unten mehr). Mit Blick auf die Ostukraine könnte der russische Präsident zudem ein Interesse daran haben, den Konflikt nicht abflauen zu lassen. Denn dieser Konflikt ist einer der Gründe, warum die NATO die Ukraine nicht aufnehmen kann und will.

Im Video: RTL-Experte Dirk Emmerich schätzt die Verhandlungen mit Russland ein

Wie geht es weiter?

Es wird weitere Gespräche geben. "Es gibt keine Alternative zu stabilen Beziehungen zwischen Moskau und Berlin", sagte Baerbock in Moskau. Sie verwies auf das seit 2014 bestehende Normandie-Format, an dem Russland, die Ukraine, Frankreich und Deutschland beteiligt sind.

Lawrow warf der ukrainischen Regierung vor, ihre Zusagen nicht einzuhalten und machte deutlich, dass ein Treffen unter diesen Umständen nicht sinnvoll sei. Die Ukraine wiederum wirft Russland vor, in Donezk und Luhansk mit der Verteilung von russischen Pässen Fakten zu schaffen, die es unmöglich machen, die Region wieder ins ukrainische Staatsgebiet zu integrieren.

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Welche Rolle spielt Nord Stream 2?

Bundeskanzler Olaf Scholz würde die Pipeline lieber aus dem politischen Streit mit Russland heraushalten, er bezeichnet sie als "privatwirtschaftliches Projekt". Dagegen drängen die USA Deutschland, Abstand von Nord Stream 2 zu nehmen, auch die FDP und vor allem die Grünen stehen der Gasleitung skeptisch bis ablehnend gegenüber.

Innerhalb der Europäischen Union lehnen vor allem die osteuropäischen Staaten die Pipeline ab, weil sie beim Bau der Leitung nicht nur baulich umgangen wurden. Vor einem Jahr hat auch Frankreich einen Stopp von Nord Stream 2 gefordert.

Auf einer Pressekonferenz in Moskau sagte jedoch Außenministerin Baerbock, dass es "entsprechende Auswirkungen" hätte, wenn Energie als Waffe eingesetzt würde. Mit anderen Worten: Es wäre das Aus für Nord Stream 2, wenn Russland in die Ukraine einmarschieren sollte. Diese Haltung hatte bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel vertreten, und auch Scholz trägt sie mit.

Ist Nord Stream 2 denn ein "privatwirtschaftliches Projekt"?

Scholz sieht das so. "Es handelt sich im Hinblick auf Nord Stream 2 um ein privatwirtschaftliches Vorhaben", sagte er im Dezember. Allerdings ist alleiniger Eigentümer der Nord Stream 2 AG der russische Staatskonzern Gazprom.

Schon Merkel hatte Nord Stream als rein wirtschaftliches Projekt ohne politischen Hintergrund bezeichnet. Erst 2018 räumte sie ein, dass "natürlich auch politische Faktoren zu berücksichtigen sind". Diese "politischen Faktoren" standen allerdings von Anfang an im Mittelpunkt. Die Pipeline war mit der Hoffnung verbunden, Russland so milde zu stimmen und an den Verhandlungstisch zu bringen. Oder wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck jetzt sagte: "Wir brauchen Gas, die Russen brauchen Devisen, damit ihr Staat funktioniert."

Im Video: Lambsdorff: „Wenn Diplomaten erfolgreich sind, kommen Soldaten nicht zum Einsatz“

Union, Grüne und FDP haben das immer anders gesehen. "Das Projekt war immer mehr als ein privatwirtschaftliches. Es war schon immer ein Projekt mit einer geopolitischen Komponente", sagte der FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff im RTL/ntv-"Frühstart". (ntv.de, bearbeitet: sst)