Prozessstart nach Amoklauf an Gymnasium
Armbrust-Schütze aus Bremerhaven wollte von Polizei erschossen werden
von Merle Upmann-Schiller
Ein halbes Jahr ist es her, dass ein 21-jähriger Mann im Mai 2022 mit einer Armbrust in einem Bremerhavener Gymnasium um sich schießt und eine Frau lebensgefährlich verletzt. Nun muss sich der Täter vor dem Landgericht Bremen wegen versuchten Mordes verantworten.
Angeklagter: „Ich hoffte, auf diese Art sterben zu können - ohne Suizid begehen zu müssen.“
Der Angeklagte Berkan S. erscheint verschüchtert und mit beschämten Blick im Gerichtssaal. Seine Sicht des Tatherganges lässt er in Ich-Form von seinem Anwalt vorlesen: Er habe keinen Amoklauf geplant, sein eigentliches Ziel war es, zu sterben, ohne sich selbst umzubringen, heißt es darin. Doch dieser Plan misslingt.
Täter fühlte sich ungerecht behandelt
Seinem Opfer und den Zeuginnen und Zeugen der Tat kann Berkan S. beim Prozessauftakt nicht ins Gesicht sehen. RTL-Reporterin Sarina Sprengelmeyer hat vor Ort den Eindruck, dass er sich für das, was er Schülern und Lehrern angetan hat, schämt. Er hatte nicht vor Amok zu laufen, verliest sein Anwalt: Die Ursache für all das sei eine entwickelte Depression und Sozialphobie – auch weil er gemobbt wurde: „Ich verbrachte immer mehr Zeit vor dem Rechner. Meistens Allein.“ In der Klassenstufe Zwölf bekam er dann keine Abiturzulassung. „Ich empfand das als unfair und habe meine ehemalige Lehrerin dafür verantwortlich gemacht.“
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Berkan S. kauft seine Waffen bei Ebay
Die Zeit am PC wird immer mehr, irgendwann seien es 12 Stunden gewesen, so der 21-Jährige. Weil er keinen Ausweg mehr gewusst haben soll, kauft er sich dann die Waffen für die Tat, auch die Armbrust, bei Ebay. Bei seinem Vorhaben am 19. Mai 2022 ging es ihm jedoch nicht darum, Menschen zu töten: Er wollte selber sterben. Daher habe er auch die Reichweite und Durchschlagskraft der Waffen unterschätzt. Aus nur vier Metern schießt er damals auf die Mitarbeiterin der Schule, sie überlebt nur durch eine Not-Op. Beim Prozess richtete er sich dann an sein Opfer: Er bedauere sein nicht zu entschuldigendes Verhalten und hoffe, dass sie ihm seine Worte abnehme und ihm verzeihen könne.
Auch Lehrerin sagt unter Tränen aus
Auch die Lehrerin, die Berkan S. eigentlich suchte, sagt am ersten Prozesstag aus. Unter Tränen erzählt sie vom Erlebten. Der 21-jährige Schütze kann das wohl nicht ertragen: Er versteckt sein Gesicht, wirkt auf Reporterin Sarina Sprengelmeyer, als wünsche er sich ganz weit weg. Die Lehrerin ist noch heute traumatisiert, nimmt Schlaftabletten. "Ich vermeide das nach Möglichkeit auszugehen." Ihr Leben sei sehr zurückgezogen.
Einige der Schüler im Prozess anwesend
„Das Stimmungsbild unter den Kollegen und den Schülerinnen und Schülern ist sehr gemischt, weil zum einen das Erleben am Tattag sehr unterschiedlich war und zum anderen jeder anders mit den Erlebnissen umgeht.“, teilt Schulleiterin Claudia Lissé auf RTL-Anfrage mit. Vielleicht ist es für die Schülerinnen und Schüler, die beim heutigen Prozessauftakt im Saal anwesend sind, also eine Art, das Erlebte zu verarbeiten. Vielleicht wollen sie aber auch nur ihren Mitschülern und ihrer Lehrerin, die im Prozess aussagen, zur Seite stehen.
Schulleiterin hofft, dass alle den Amoklauf hinter sich lassen können
Der 19 Mai 2022 wird für die Schülerinnen, Schüler und Beschäftigten des Llloyd-Gymnasiums in Bremerhaven ein Tag voller schlimmer Erinnerungen sein. „Der jetzt beginnende Prozess lässt die Erlebnisse natürlich wieder bewusst werden. Ich wünsche mir und allen, die das miterleben mussten, dass er am Ende auch dazu führt, dass wir den Amoklauf gemeinsam hinter uns lassen können und er zu einem Teil der Schulgeschichte wird“, schreibt Schulleiterin Claudia Lissé weiter.
Berkan S. entschuldigt sich bei Bremerhavener Öffentlichkeit, Schülern und seinem Opfer
Nach der Tat in der Schule läuft der 21-Jährige dann noch durch die Stadt von Bremerhaven, schießt wahllos auf einen Mann, bevor er verhaftet werden kann. Welches Urteil der junge Mann nun erwarten kann, wird sich im Januar 2023 zeigen, denn bis dahin ist der Prozess angedacht. Berkan S. beteuerte beim Prozessauftakt jedoch, dass er krankheitseinsichtig und behandlungsbereit sei. Das Gericht wird jetzt untersuchen, ob er wegen einer psychiatrischen Erkrankung möglicherweise vermindert schuldfähig oder ganz schuldunfähig ist. Im schlimmsten Fall kann das für den Angeklagten jedoch 15 Jahre Haft bedeuten. (mup)