Welche Botschaft ihr heute wichtig ist Laura (30) über ihr Leben mit der Sucht: „So wurde ich zur Alkoholikerin“

„Alkohol war Teil meines Alltags, aber niemand hat es gesehen.“
Alkoholabhängige sitzen mit Wodka-Flasche am Straßenrand, sind immer sturzbetrunken, haben keinen Job – dass all das ein Trugschluss ist, weiß niemand besser als Laura. Sie ist gerade mal 20 und studiert, als sie alkoholabhängig wird. Mit RTL hat die heute 30-Jährige darüber gesprochen, wie sie in die Sucht rutschte und warum eine Abhängigkeit viel zu oft übersehen wird.
„Um mich besser zu fühlen, hab ich immer mehr getrunken“ - wie Laura in die Alkoholsucht rutscht
Laura ist 14, als sie das erste Mal in die Psychiatrie kommt. Sie leidet unter Emetophobie (starker Angst vor Erbrechen), Angst- und Panikstörungen bestimmen ihr Leben, irgendwann kann sie nicht einmal mehr das Haus verlassen. Zwei Jahre später – mit 16 – trinkt sie zum ersten Mal Alkohol und merkt, dass ihr die Wirkung gefällt. „Ich wurde lockerer, entspannter, meine Ängste verschwanden“, erinnert sie sich im Gespräch mit RTL.
Obwohl es in ihrer Familie Alkoholiker gibt und sie um die Gefahr weiß, trinkt sie immer häufiger. Laura gerät in einen Teufelskreis: Je mehr sie trinkt, umso emotional instabiler wird sie. Sie ist immer häufiger depressiv. Doch: „Um mich besser zu fühlen, hab ich immer mehr getrunken.“ Als sie mit 19 Jahren von zu Hause auszieht, ist Alkohol bereits ein fester Bestandteil in ihrem Leben. Im Studium verstärkt sich das Problem weiter.
„Prüfungen, Vorträge und viele andere Dinge gingen nur noch unter Alkoholeinfluss. Schon mit 20 Jahren habe ich es ohne Alkohol nicht mehr aus dem Bett geschafft“, erzählt Laura. Nach einem Jahr Uni bricht sie ihr Studium ab, flüchtet sich zurück nach Berlin und weist sich selbst in eine Klinik ein. Allerdings nicht wegen ihres Alkoholkonsums, sondern wegen Depressionen. „Damals wurde mir das erste Mal eine Suchtgruppe empfohlen, aber ich habe das nicht so ernst genommen“, erzählt Laura. Heute weiß sie, dass das ein Fehler war.
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Immer öfter trinkt Laura im Alltag und auf der Arbeit
Nachdem sie aus der Klinik kommt, fängt sie an, in einer Bar zu arbeiten. Ihr Alkoholkonsum verändert sich. „Vorher habe ich eher auf Partys getrunken, jetzt wurde der Alkohol Teil meines Alltags. Ich habe immer öfter auf der Arbeit getrunken“, erinnert sie sich an jene Zeit. Auch morgens und mittags greift sie jetzt häufiger zur Flasche.
Dennoch hält sie die Illusion, dass es ihr gut geht und dass sie alles unter Kontrolle hat, aufrecht. Sie betreibt Hochleistungssport, beginnt ein zweites Studium, hält Vorträge und schreibt Klausuren – nach außen hin ist sie eine ganz normale Studentin. Ihr Umfeld merkt nicht, wie tief sie bereits in der Sucht steckt. „Es kamen zwar Scherze, dass man mir kein Glas Wein, sondern die ganze Flasche bestellen würde, aber niemand hat sich ernsthaft Sorgen gemacht“, berichtet Laura. Teilweise wird ihr Konsum sogar unterstützt: „Ein Typ, den ich mal gedatet habe, hat mir zum Beispiel gesagt, dass er es süß findet, dass ich ihn immer angetrunken treffe.“
Auch Kollegen hätten kein Problem gesehen. Einen Mitarbeiter habe sie sogar mal während der Arbeitszeit nach Alkohol gefragt, skeptisch wurde er nicht. „Wenn man jung ist und halbwegs im Alltag funktioniert, dann nimmt das niemand ernst“, sagt Laura heute.
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Erst als sie mit einer Freundin zusammenzieht, bröckelt die Fassade. Die Freundin konfrontiert sie mit ihrem Alkoholkonsum, und Laura merkt, dass sie etwas ändern muss.
Laura sucht sich Hilfe – und geht zu den Anonymen Alkoholikern
Zunächst versucht sie einfach, weniger zu trinken. Doch: „Ich bin eben Alkoholikerin, da funktioniert das so nicht.“ Ihre Freundin greift ein und schickt sie zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker. Am Anfang ist Laura schüchtern, hat Angst, sich zu öffnen. Heute sagt sie: „Schon das erste Meeting war eine richtig gute Erfahrung.“ Mithilfe eines Zwölf-Schritte-Programms wird sie trocken. Das ist nun fast fünf Jahre her.
Laura hat Glück: Ihre Familie unterstützt sie, ihre Eltern sind stolz darauf, dass sie sich Hilfe gesucht hat. Auch der Großteil ihres Freundeskreises steht hinter ihr. Mittlerweile können andere auch wieder vor Laura trinken. „Ich möchte nicht, dass jemand meinetwegen verzichtet“, sagt sie.
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Ein Monat ohne Alkohol? Wie Laura über den „Dry January” denkt
Heute klärt Laura in den sozialen Netzwerken über Alkoholabhängigkeit auf. Weil sie weiß, wie leicht die Sucht heruntergespielt wird und wie schwer sie oft erkennbar ist. „Es wird unterschätzt, wie viele Alkoholiker ihre Sucht nicht offen zeigen. Ich war häufig allein, habe Flaschen versteckt und alles heimlich gemacht“, sagt sie. Zudem werde gerade bei jungen Menschen oft „ein Auge zugedrückt“.
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Wie verankert der Alkohol in unserer Gesellschaft ist, zeigt sich auch beim Trend „Dry January”. Dabei nehmen sich Menschen vor, einen Monat – im Januar – keinen Alkohol zu trinken. Vielen fällt das schwer, wie Laura auch in einem aktuellen Video auf Instagram erklärt. Dort spielt sie eine Person, die sagt, sie wolle „seit Jahren” den Trend mitmachen, scheitere aber jedes Mal. „Ich schaff’ es vielleicht eine Woche und dann kommt wieder irgendeine Veranstaltung und ich greife doch wieder zum Glas. Meistens macht es mir dann auch mehr Spaß.”
Lauras Antwort darauf fällt deutlich aus: „Wenn es dir so schwerfällt, nur einen Monat auf Alkohol zu verzichten, vielleicht solltest du es dann mal mehrere Monate versuchen.”
„Ich kann mit meiner Sucht nicht abschließen"
Es sind Videos wie diese, die viele Menschen den eigenen Konsum hinterfragen lassen. Aber Laura klärt noch in weiteren Bereichen auf. Zum Beispiel, dass es ein Mythos ist, dass Alkoholiker oft sturzbetrunken seien. „Ich habe nie bis zum Blackout getrunken“, sagt sie.
Deshalb stößt sie auf Instagram und TikTok auch auf viel Unverständnis seitens anderer Betroffener. „Die sagen, ich sei keine Alkoholikerin, weil ich mehr Sekt und Wein getrunken habe und nicht drei Flaschen Wodka. Dann heißt es, ich habe gar nicht so viel getrunken, was aber einfach nicht wahr ist.“
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Trotz solcher Reaktionen will sie nicht aufhören, aufzuklären. „Ich kann mit meiner Sucht sowieso nicht abschließen. Alkoholiker ist man sein Leben lang, es kann immer einen Rückfall geben“, weiß Laura. Wenn sie darüber spreche, setzte sie sich immer wieder mit ihrer Sucht auseinander. „So werde ich täglich daran erinnert, wo ich herkomme. Und was passiert, wenn ich wieder Alkohol trinke.“