„Ich habe das auf die leichte Schulter genommen”
Ein kurzer Moment veränderte das Leben von Profi-Handballerin Josefine Schneiders (25)
Plötzlich hat Josefine Schneiders (25) Angst vor all dem, was eigentlich ihr Leben ausmacht!
Bei einem Spiel im vergangenen Jahr stürzt die Handballerin so unglücklich, dass sie ein Schleudertrauma erleidet. Die Profi-Sportlerin nimmt die Verletzung auf die leichte Schulter, macht weiter, als sei nichts geschehen. Heute sagt sie: Hätte ich gewusst, welche Konsequenzen das haben würde, hätte ich anders gehandelt. Denn: Nach dem Sturz geht Schneiders durch die Hölle, wie sie oben im Video erzählt.
Keine Pause nach dem Sturz! „Ich kenne das einfach so aus dem Leistungssport!”
Seit fast zehn Jahren spielt Josefine Schneiders professionell Handball, zuletzt in der 2. Bundesliga beim TSG Bretzenheim in Mainz. Ihre Wochen sind durchgetaktet: Fast jeden Tag Training, Spiele am Wochenende. Die 25-Jährige liebt den Sport, für den sie immer bis an ihr Limit geht.
So auch bei einem wichtigen Heimspiel im November vergangenen Jahres. Schneiders bekommt den Ball, springt, wirft auf das Tor. Treffer! Als sie in der Luft ist, versucht eine Abwehrspielerin sie zu blocken, berührt Josephine mit den Händen im Schulter- und Brustbereich – eine ganz alltägliche Situation im Handball. Eigentlich, denn diesmal kommt es anders: „Ich konnte mich gar nicht mehr kontrollieren und bin einfach hintenübergefallen”, erinnert sich die Sportlerin an diesen Moment. Die Szene seht ihr oben im Video.
Nach dem Sturz muss Josefine vom Feld. Sie wird kurz durchgecheckt, ihr Nacken gekühlt. Nach wenigen Minuten lässt sie sich wieder einsetzen. „Ich kenne das einfach so aus dem Leistungssport. Man ist dann so ehrgeizig und will weiterspielen.” Nach dem Spiel, das unentschieden endet, legt ihr Physiotherapeut ihr nahe, sich nochmal im Krankenhaus durchchecken zu lassen. „Ich habe ,Nein’ gesagt”, erzählt sie. Heute weiß sie, dass es besser gewesen wäre, die Verletzung kontrollieren zu lassen.
Diagnose Schleudertrauma: „Wie ganz starker Muskelkater!”
Josefine bekommt noch am selben Tag Kopfschmerzen und „extreme Nackensteife. Das betrifft dann aber nicht nur den Nacken, sondern eben auch die Schultern und auch den gesamten Oberkörperbereich. Ich hatte wie ganz starken Muskelkater,” erinnert sie sich. „Ich habe total schlecht geschlafen, weil ich nicht liegen konnte und meinen Kopf nicht richtig bewegen konnte.”
Doch trotz der Schmerzen geht sie am nächsten Tag wieder zum Training. Als ihre Trainerin bemerkt, wie unbeweglich sie ist und dass sie den Oberkörper kaum drehen kann, schickt sie die Spielerin nach Hause. Jetzt lässt sich Josefine Schneiders beim Arzt durchchecken, die Diagnose lautet Schleudertrauma. Eine Woche lang bleibt Josefine im Bett, aber danach macht sie weiter wie vorher, trainiert und spielt wieder. „Ich habe das so auf die leichte Schulter genommen. Leider”, sagt sie heute.
Erschöpfung, Angstzustände, Isolation
Was sie da noch nicht weiß: Das Schleudertrauma wirkt sich auch auf ihre mentale Gesundheit aus. „Es kam diese extreme Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit. Ich war sehr traurig ganz lange und habe mich gefragt, woran das liegt.” Sie isoliert sich. All die Dinge, die eigentlich ihr Leben ausmachen, bereiten ihr plötzlich keine Freude mehr. „Es war ganz viele Monate so, dass ich mich eigentlich total quälen musste, überhaupt das Bett oder das Haus zu verlassen. Ich hatte keine Lust, was mit Freunden zu unternehmen. Ich habe totale Angstzustände entwickelt”, sagt sie. Mit das Schlimmste sei für sie gewesen, dass sie auch Angst vorm Handballtraining oder vor Konfrontationen entwickelte – Dinge, die ein solcher Kontaktsport einfach mit sich bringt.
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Eine Panikattacke ist ihr Warnschuss
Im Januar arbeitet Josefine bei der Handball-Weltmeisterschaft der Männer, produziert Videos für Social Media, ist in den Stadien von Menschenmengen umgeben. „Die haben mir sonst nie so große Probleme gemacht. Aber da hatte ich dann im Januar auch wirklich viele, viele Situationen, wo ich gemerkt habe, ich habe jetzt Angst, dass ich eingequetscht werde oder dass es mir zu eng wird.”
Anfang Februar verliert sie mit ihrer Mannschaft ein wichtiges Spiel. „Danach war ich so sauer und hatte dann meine erste Panikattacke in der Kabine. Und da wusste ich dann: Irgendwas stimmt mit mir nicht.” Ein Warnschuss! Sie beschließt, die Sache endlich anzugehen.
„Ich kann die Sonne wieder reinlassen!”
Sie lässt sich für die laufende Saison krankschreiben und fährt von Arzt zu Arzt, um sich körperlich und psychosomatisch durchchecken und schließlich behandeln zu lassen. Als ihre körperlichen Beschwerden weniger werden, geht es ihr auch mental immer besser. „Danach habe ich wirklich gemerkt, ich kann jetzt die Sonne wieder reinlassen, ich habe wieder Lust auf den Alltag.”
Aktuell ist sie weiter in Therapie, um das Trauma aufzuarbeiten, macht mit ihrem Physiotherapeuten zwei Mal die Woche ganz leichtes Kraft- und Ausdauertraining. Überanstrengt sie sich, kann sie das gesundheitlich wieder zurückwerfen. „Das ist immer noch meilenweit von dem entfernt, was mein normales Training war. Aber das macht mich schon sehr happy, dass ich überhaupt so in diese Richtung denken kann”, erzählt die 25-Jährige.
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Josefine Schneiders hört mit dem Profi-Handball auf
Nach langer Überlegung entscheidet sich Josefine aber schließlich dazu, für die kommende Saison keinen Vertrag mehr zu unterschreiben. Heute weiß sie, dass man alle Verletzungen ernst nehmen sollte – auch jene, die nach außen erst einmal unsichtbar sind. Trotz allem habe die schwere Zeit auch etwas Positives bewirkt, sagt Josefine heute. Sie genieße ihr Leben jetzt bewusster, verbringe mehr Zeit mit Freundinnen und Freunden und ihrer Familie. Sie habe gelernt, auf ihren Körper zu hören und deutlichere Grenzen zu setzen. Die Gesundheit stehe jetzt an erster Stelle: „Ich kann mittlerweile sagen, dass mehr Tage in der Woche besser sind als schlechte Tage”, sagt Josephine Schneiders. Worte voller Hoffnung.