Zwei Versionen zur Entführung
Christina Block setzt auf gewagte Verteidigungsstrategie

Am Hamburger Landgericht ist der Strafprozess gegen Steakhaus-Erbin Christina Block gestartet.
Sie soll hinter der gewaltsamen Entführung ihrer Kinder in der Silvesternacht 2023/2024 stecken. Die Angeklagte zeigt zunächst auf ihre verstorbene Mutter - und präsentiert dann eine völlig konträre Version.
Anklage: Christina Block hätte Entführung beauftragt
Der wohl aufsehenerregendste Sorgerechtsstreit Europas findet seinen vorläufigen Höhepunkt im Hochsicherheitssaal des Hamburger Landgerichts. Auf der Anklagebank sitzt Christina Block, Erbin eines Steakhaus-Imperiums und bekannte Unternehmerin. Der Vorwurf: die gewaltsame Entführung und Misshandlung ihrer eigenen Kinder.
Der zehnjährige Theodor und seine drei Jahre ältere Schwester Klara werden in der Silvesternacht 2023/2024 in ein Auto gezerrt, aus Dänemark über die deutsche Grenze gekarrt und auf einem kaum einsehbaren, weitläufigen Bauernhof bei Pforzheim in Baden-Württemberg festgehalten. Christina Block, so der Vorwurf, soll die Aktion beauftragt haben. Möglicherweise bei einem ehemaligen Spion des israelischen Geheimdienstes. Was die Hamburger Staatsanwaltschaft skizziert, klingt grausam und in gewisser Weise auch bizarr. Doch die Varianten von Christina Block und ihren Verteidigern werfen kaum weniger Fragen auf, im Gegenteil. Genau das könnte Taktik sein.
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Die Anklage geht davon aus, dass Christina Block die Sicherheitsfirma Cyber Cupula mit der Entführung ihrer Kinder beauftragt hat. Chef der Firma ist David B., wie der „Stern” berichtet. Er und seine Mitarbeiter sollen in besagter Silvesternacht ins dänische Gravenstein gefahren sein. Als Blocks Ex-Mann Stephan Hensel und die gemeinsamen Kinder in einem kleinen Hafen das Feuerwerk ansahen, sollen die mutmaßlichen Entführer den Vater brutal zusammengeschlagen und die Kinder ins Auto gezerrt haben. Laut der Anklage wurden Theodor und Klara in den Fußraum des Autos gedrückt, zeitweise gefesselt und geknebelt. Hinter der deutschen Grenze wechselten sie in ein Wohnmobil - offenbar zugelassen auf David B. Man habe sie vor ihrem Vater „gerettet”, hätten die Männer den verängstigten Kindern erzählt. Und dass sie jetzt zu ihrer Mutter kommen.
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Großmutter als Auftraggeberin?
Christina Block war aus Sicht der Anklage nicht nur Auftraggeberin der Tat, sie soll sie auch maßgeblich mitgeplant haben. Zudem soll sie David B. und seine Mitarbeiter in den Wochen vor Silvester unter falschem Namen und kostenfrei im Fünfsternehotel der Familie Block, dem Grand Elysée in Hamburg, einquartiert haben. Angeklagt ist sie wegen schwerer Entziehung von Minderjährigen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Außerdem wird ihr schwere Misshandlung von Schutzbefohlenen vorgeworfen. Damit drohen Block im Falle einer Verurteilung bis zu zehn Jahren Haft.
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Am Neujahrsabend 2024 kamen Theo und Klara auf dem Hof in Baden-Württemberg an. Fakt ist: Einen Tag später schlugen auch Christina Block und eine ihrer Töchter dort auf. Gemeinsam fuhren sie dann zum Familienwohnsitz nach Hamburg. Die Organisation dieser Fahrten soll, so nimmt es die Anklage an, Blocks Lebensgefährte Gerhard Delling übernommen haben. Der Sportjournalist und Fernsehmoderator sitzt wegen Beihilfe auf der Anklagebank. Das Gericht schließt allerdings auch eine Mittäterschaft nicht aus - dann könnte die Strafe für Delling höher ausfallen.
Delling selbst nennt die Vorwürfe „absurd”. Auch Christina Block streitet seit Beginn der Ermittlungen ab, etwas mit der Verschleppung ihrer Kinder oder der Gewalt an ihrem Ex-Mann zu tun zu haben. Seine Mandantin habe den Auftrag zur Entführung „nicht erteilt und wäre dazu niemals bereit gewesen”, erklärte Blocks Strafverteidiger Otmar Kury gleich mehrfach. Stattdessen stecke Christina Blocks Mutter, Christa Block, hinter dem Auftrag. Sie habe stark unter der „rechtswidrigen Entführung der beiden Enkel” durch Hensel gelitten und die Kinder daher aus Dänemark zurückholen wollen, sagte Kury zur dpa. Christina Block habe von der Vereinbarung nichts gewusst.
Eine Überraschung?
Warum aber fuhr sie dann an Neujahr mit dem ICE nach Baden-Württemberg - und ließ obendrein ihr Handy in Hamburg? Sie habe am Morgen des 1. Januar ein Prepaidhandy in ihrem Mantel gefunden, sagt Christina Block dazu. Darauf sei von einer Überraschung die Rede gewesen. Sie solle sofort Richtung Stuttgart reisen, dort könne sie ihre Kinder sehen.
Der Prozess wird zeigen, ob und welche Indizien Block und ihre Verteidiger für diese Theorie liefern. Ohnehin gilt für Christina Block selbstverständlich die Unschuldsvermutung. Nur: Die Großmutter von Theodor und Klara verstarb bereits im Juli 2023, also rund fünf Monate vor der Tat. Sie habe die Entführung bereits vor ihrem Tod in Auftrag gegeben und bezahlt, entgegnen Block und ihr Verteidiger. David B. und seine Mitarbeiter hätten der Großmutter ihren letzten Wunsch schließlich erfüllen wollen.
Warum Christa Block hinter dem Rücken ihrer Tochter hätte handeln sollen, ist bisher unbeantwortet. Ebenso die Frage, warum sie - wenn sie nichts von dem vermeintlichen Auftrag ihrer Mutter wusste - nur einen Tag vor der Tat „Traumabewältigung” und den Wechselkurs dänischer Kronen googelte, wie Medien berichten.
Vorwürfe gegen Sicherheitsfirma
Es sind nicht die einzigen offenen Fragen in der Verteidigung von Christina Block. So lieferte Blocks zweiter Verteidiger, Ingo Bott, jüngst eine vollkommen andere Version: Eine israelische Sicherheitsfirma, die bereits lange für die Blocks gearbeitet haben soll, habe eigenmächtig gehandelt. Es sei ihr darum gegangen, „Geschäfte mit der Hoffnung und der Angst meiner Mandantin zu machen”. Die Mitarbeiter der Firma hätten sich regelrecht im Grand Elysée eingenistet und dort kostenlos gelebt. Als die Blocks sie schließlich ausquartieren wollten, hätten sie die Kinder entführt, um so an Geld zu kommen. Auch für diese Version der Geschichte gibt es bisher, soweit öffentlich, keine Belege.
Das Vorgehen ist außergewöhnlich: Die Verteidigung einer Angeklagten präsentiert kurz vor Prozessstart zwei konträre Versionen einer Tat. Noch dazu ist jede von ihnen mit Fragezeichen gespickt. Nun sind sowohl Kury als auch Bott renommierte Strafverteidiger. Nach rund eineinhalb Jahren Ermittlungsverfahren dürfte ihre Strategie zudem bis ins letzte Detail ausgefeilt worden sein. Kurzum: Von fehlenden Absprachen der Verteidiger oder gar juristischem Unverständnis kann keine Rede sein. Vielmehr scheinen Blocks Verteidiger auf eine ganz bestimmte Verteidigungsstrategie zu setzen.
Denn erstens: Jede der Varianten könnte die Wahrheit sein. Noch deutet zwar nichts darauf hin, dass die verstorbene Christa Block Auftraggeberin einer Kindesentführung sein könnte oder eine israelische Sicherheitsfirma frei drehte. Allerdings gibt es bisher eben auch keine Beweise dafür, dass es nicht so war. Der zweite Punkt knüpft an dieser Stelle an. Denn für die Verteidigung genügt es, ausreichend Zweifel an der Version der Anklage zu säen. Kury und Bott müssen die Hamburger Richter nicht von ihren Versionen der Tat überzeugen. Sie müssen lediglich dafür sorgen, dass das Gericht die Version der Anklage infrage stellt. Möglicherweise auch, weil das eine oder andere Alternativszenario nicht ausgeschlossen werden kann.
Indizien, kaum Beweise
Nun verspricht eine solche Strategie kaum Erfolg, wenn eine Anklage auf handfesten Beweisen basiert. Im Fall von Christina Block stützt sich die Staatsanwaltschaft allerdings weitgehend auf Indizien. Zudem drängen sich bereits ohne Einwände der Verteidigung eindeutige Fragen auf: Warum etwa sollte Christina Block als Auftraggeberin anordnen, die Kinder erst nach Süddeutschland statt zu sich nach Hamburg bringen zu lassen? Hätte sich ein Ex-Agent wie David B. nicht bemüht, die Verbindungen zu ihm und seiner Firma zu verschleiern?
Es liegt an der Staatsanwaltschaft, diese Fragen lückenlos zu beantworten und die bisher lose Indizienkette zu stärken. Kury und Bott werden diesen Weg aller Voraussicht nach bei jeder sich bietenden Möglichkeit erschweren. Das ist nicht nur Kern ihrer Aufgabe, sondern deutete sich bereits vor dem Prozess an. Bleibt dem Gericht am Ende der bisher festgesetzten 37 Prozesstage nur ein wesentliches Fragezeichen, muss die sich abzeichnende Strategie von Blocks Verteidigung Erfolg haben: im Zweifel für den Angeklagten. (Quelle: ntv.de)