Ihr Todestag jährt sich bereits zum zehnten Mal„Verlust in etwas Positives verwandeln” - Bruder kämpft für Tugce Albayraks Andenken

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Eine Frau nimmt am 15. November 2015 an einer Mahnwache vor einem McDonald’s Restaurant in Offenbach am Main (Hessen) teil und hält dabei ein Schild mit Foto von Tugce Albayrak und der Aufschrift „Das Gesicht von Zivilcourage” in den Händen.
Fredrik von Erichsen/dpa

Ihr Schicksal bewegte das ganze Land!
Die tödliche Attacke auf die Studentin Tugce Albayrak auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants in Offenbach jährt sich Mitte November zum zehnten Mal. Die 22-Jährige war nach einem Streit von einem 18-Jährigen so fest geschlagen worden, dass sie stürzte und ins Koma fiel. Zwei Wochen später starb sie. Dogus Albayrak hält das Ansehen an seine Schwester hoch.

„Die Welt stellt Kinder-, Frauen- und Menschenrechte zunehmend in Frage”

Er hat einen Verein gegründet, der sich in der Gewaltprävention engagiert. „Wir wollen Tugces Andenken bewahren und uns mit den gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen, die ihr Fall aufgezeigt hat.“, sagt er. Ziel sei ein friedliches Miteinander, in dem Zivilcourage und Empathie gelebt würden. „Die universellen Kinder-, Frauen- und Menschenrechte sind für uns zentrale Werte, gerade in einer Welt, die diese Prinzipien zunehmend infrage stellt“, verdeutlicht Albayrak.

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Tugce war eine fröhliche junge Frau

Tugce habe diese Werte verkörpert: In der Tatnacht habe sie zwei 13-jährigen Mädchen in dem Schnellrestaurant beigestanden, die belästigt worden seien. Über ihren Tod hinaus habe seine Schwester mit ihrer Organspende anderen ein Weiterleben ermöglicht. Da sie einer Gewalttat zum Opfer fiel, sei der Einsatz gegen Gewalt an Frauen ein wichtiger Teil der Arbeit des Vereins, sagte Albayrak: „Sie wurde durch ein Problem getroffen, das in unserer Gesellschaft tief verwurzelt ist und das wir nicht ignorieren dürfen.“

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Video: Tugces Bruder im RTL-Interview (Dezember 2022)

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„Wenn wir Hass mit Hass begegnen, kommen wir aus dieser Spirale nicht mehr heraus“

Der Tugce-Albayrak-Verein bietet unter anderem Theater-Workshops für Kinder und Jugendliche an. Neben Zivilcourage und Empathie gehe es um Vielfalt und Inklusion, und auch um schwierige Gefühle wie Hass und Rache. Er werde oft gefragt, warum er selbst nicht den Weg der Rache gewählt habe. „Wir haben uns entschieden, Tugces Verlust in etwas Positives zu verwandeln. Wenn wir Hass mit Hass begegnen, kommen wir aus dieser Spirale nicht mehr heraus“, sagt Albayrak.

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Der Verein hat in Frankfurt eine neue Zentrale bezogen, in der es künftig auch Lesungen und Ausstellungen geben soll. Er organisiert zudem einen jährlichen Spendenlauf und arbeitet an einem Erasmus-Projekt für Kinder. Ziel sei, Tugces Vermächtnis auch international weiterzutragen.

An ihrem 23. Geburtstag lassen Tugces Eltern die Geräte abstellen

Die schreckliche Tat ereignete sich am frühen Morgen des 15. November 2014. Der Täter wurde zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt und 2017 in sein Heimatland Serbien abgeschoben. Der Richter bescheinigte ihn „erhebliche Erziehungsdefizite“ beim Umgang mit Gewalt.

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Tugce Albayrak lag nach der Attacke auf dem Parkplatz knapp zwei Wochen im Koma. An ihrem 23. Geburtstag, dem 28. November, ließen ihre Eltern unter großer öffentlicher Teilnahme im In- und Ausland die lebenserhaltenden Maßnahmen beenden.

Tugce Albayrak wird zu einer Symbolfigur für Zivilcourage

Die Gewalttat löste heftige Debatten aus. Die Studentin soll in der Nacht im Toilettenbereich des Restaurants zwei 13-jährigen Mädchen beigestanden haben, die unter anderem vom späteren Täter belästigt worden seien. Darauf kam es zum Streit, der in dem verhängnisvollen Schlag gipfelte. Tugce Albayrak wurde zu einer Symbolfigur für Zivilcourage und sogar für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen.

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Tugce Albayraks Großeltern mit einem Foto ihrer Enkelin (Archivfoto, 15.11. 2015)
Fredrik von Erichsen/dpa

Im Prozess wurde später deutlich, dass der Tat heftige wechselseitigen Beleidigungen vorangegangen waren, an denen auch die 22-Jährige beteiligt war. Das Bundespräsidialamt entschied schließlich gegen die posthume Vergabe des Verdienstkreuzes. (uvo/dpa)