Eiskeller-Mord an Hanna: Sebastian T. pocht auf seine UnschuldTäter-Eltern erheben schwere Vorwürfe: Unser Sohn ist ein Justizopfer!

Hanna aus Aschau im Chiemgau verschwand nach einem Besuch in der Disco "Eiskeller", ihre Leiche wurde später von einem Passanten im Fluss Prien entdeckt.
Hanna aus Aschau im Chiemgau verschwand nach einem Besuch in der Disco Eiskeller, ihre Leiche wurde später von einem Passanten im Fluss Prien entdeckt.
Facebook/rathausaschauimchiemgau
von Alexander Schölzel

Keine Tatwaffe, keine Blutspuren, kein Geständnis – trotzdem Knast!
In der Nacht des 3. Oktober 2022 macht sich Medizinstudentin Hanna (†23) von einer Feier auf den Weg nach Hause – doch sie kommt niemals dort an. Am nächsten Nachmittag wird ihre Leiche in einem Fluss gefunden. In einem mühsamen Indizienprozess wird Sebastian T. schließlich für Hannas Tod verantwortlich gemacht. Für seine Familie und seine Verteidiger kommt das Urteil einem Justizskandal gleich – denn vieles spricht für seine Unschuld.

Sebastian T. wird vom Zeugen zum Hauptverdächtigen

Zusammen mit Freunden hat Hanna die Nacht im Eiskeller, einer Disco in Aschau im Chiemgau, verbracht. Es ist gegen 2.30 Uhr, als sie die etwa ein Kilometer lange Strecke bis zu ihrem Elternhaus allein antritt. Sebastian T. ist zu dieser Zeit joggen. Er bereitet sich auf einen Halbmarathon vor, geht häufig zu später Stunde entlang des Flusses Prien laufen. Ermittler machen ihn zunächst als Zeugen aus. Seine Mutter ist es, die ihren Sohn ermutigt, eine Aussage zu machen. „Ich wollte eigentlich, wie man so schön sagt, seine Bürgerpflicht erfüllen“, sagt sie im Gespräch mit Spiegel TV.

Doch immer wieder wird ihr Sohn von da an von der Polizei einbestellt. „Also drei oder viermal musste er dorthin. Ich war dann sehr erstaunt, weil ich gedacht habe, was wollen die denn noch von dir?“, fragt sich seine Mutter. 17 Monate später wird ihr Kind wegen Mordes an der jungen Frau zu neun Jahren Haft verurteilt. Ein skandalöses Fehlurteil glauben sie und Sebastians Verteidiger.

Der Musikclub «Eiskeller» unterhalb des Schlosses Aschau im Chiemgau.
Der Musikclub Eiskeller unterhalb des Schlosses Aschau im Chiemgau.
Uwe Lein/dpa

„Es gibt keinen einzigen objektiven Beweis für seine Täterschaft“

„Es gibt keine einzige DNA Spur, keine Blutspur. Es gibt keinen einzigen objektiven Beweis für seine Täterschaft“, bemängelt die Verteidigerin des 22-Jährigen, Regina Rick. Sebastian ist als Kind entwicklungsverzögert, ein schüchterner und sehr zurückgezogener Mensch. Arglos, so schildert es seine Mutter Spiegel TV, sei er zur Kripo gegangen. Er ist allein in der Vernehmung, ohne Beistand.

Auf Drängen der Ermittler lässt sich Sebastian auf Spekulationen ein, was Hanna zugestoßen sein könnte. Ein fragwürdiges Vorgehen, wie Strafverteidiger Yves Georg meint. „Das ist, man muss es sagen, es ist schlicht eine Sauerei, einen Zeugen spekulieren zu lassen wie ein möglicher Täter, für den man diesen Zeugen angeblich ja gar nicht hält, wie ein möglicher Täter vorgegangen sein könnte. Was sollen sie da sagen?“, fragt sich der Anwalt.

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„Das ist eine Erfindung der Polizei“

Nach Meinung der Ermittler begegnen sich er und Hanna auf seiner Laufrunde. Beamte schlussfolgern: Sebastian sei zunächst nach Hause, dann aber noch mal losgelaufen, um sein Opfer am mutmaßlichen Tatort zu überfallen. Für diese zweite Laufrunde gibt es laut Regina Rick weder einen Zeugen noch einen Beweis. „Er war auf keiner der Kameras zu sehen. Das heißt, um meinen Mandanten überhaupt diesem Tatort zuzuordnen, muss man sich eine Laufstrecke ausdenken, die ohne Kameras war. Das ist eine Erfindung der Polizei“, wirft Verteidigerin Rick den Behörden vor.

Tatsächlich belegt die Auswertung seines Handys sogar, dass er nach seiner Jogging-Tour zu Hause Clash of Clans gespielt hat. Die Polizei ignoriert diesen Fakt jedoch, Sebastian bleibt tatverdächtig. Etwa vier Wochen nach seiner Zeugenaussage klingelt es dann bei ihm zu Hause. Ein Polizeiaufgebot steht vor dem Haus: „Ich habe gezittert. Mein Mann war auch vollkommen fertig. Die wollten die ganzen Sportklamotten von Sebastian. Sie suchten nach Sachen, die Hanna gehört haben. Aber es wurde nichts gefunden“, erinnert sich seine Mutter. „Es gibt keine einzige Spur“, bekräftigt auch Regina Rick im Gespräch mit Spiegel TV. Trotzdem kommt es zur Anklage vor dem Landgericht Traunstein.

Der Angeklagte (l) und sein Anwalt Harald Baumgärtl betreten den Sitzungssaal im Landgericht Traunstein.
Sebastian T. vor dem Landgericht in Traunstein.
Uwe Lein/dpa

Zellengenosse belastet Sebastian T. schwer

Neben einer fragwürdigen Indizienkette, ziehen Ermittler vor Gericht noch ein vermeintliches Ass aus dem Ärmel: Ein Zellengenosse von Sebastian T. sagt aus, der 22-Jährige habe sich ihm offenbart und die Tat eingestanden. Der Zellengenosse, ein verurteilter Sexualstraftäter, erhofft sich eine Strafminderung, glauben Sebastians Anwälte. „Dieser Knastzeuge ist von seiner Person her komplett unglaubwürdig. Aufgrund diverser psychiatrischer Erkrankungen und es sind auch aus der Vergangenheit zahlreiche Lügen bekannt, die er erzählt hat, sodass seine Aussage natürlich nicht glaubhaft ist“, schätzt ihn Anwältin Regina Rick ein.

Lese-Tipp: Mutter des mutmaßlichen Mörders (21) verpfeift ihren Sohn unfreiwillig bei der Polizei

Das Gericht findet seine Aussagen jedoch glaubhaft. Sebastian wird zu neun Jahren Haft verurteilt. Für seine Mutter bricht eine Welt zusammen: „Sebastian war eben dabei, seine Ausbildung als Anlagenmechaniker zu machen. Und das war dann alles weg. Er konnte die Lehre nicht fertig machen. Aber dass er jetzt ein fertiger Geselle wäre, das haben sie ihm alles genommen“, sagt seine Mutter.

„Weder die Familie noch ich erwägen, auch nur im Ansatz aufzugeben. Das ist ein derartig gravierendes und ersichtliches Fehlurteil, das werden wir zu Fall bringen. Irgendwann“, bekräftigt Regina Rick. „Ich bete und hoffe, dass das alles bald ein Ende hat“, schreibt Sebastian in einer Geburtstagskarte aus dem Knast an seine Mutter. Wie gut seine Chancen stehen, muss abgewartet werden. Allerdings: Allein 2023 waren rund 50 Prozent aller Urteile am Landgericht Traunstein rechtsfehlerhaft.