"Ich fühle mich von Ärzten nicht ernst genommen"Niemand kann Vanessa (25) helfen! Was hinter dem seltenen Schnee-Syndrom steckt

„Ich schaue über etwas hinweg, denke gar nicht darüber nach und zack ist ein Nachbild da. Dann erschrecke ich mich jedes Mal richtig", sagt Vanessa Limbach, die seit April 2021 unter visuellen Störungen leidet.
„Ich schaue über etwas hinweg, denke gar nicht darüber nach und zack ist ein Nachbild da. Dann erschrecke ich mich jedes Mal richtig", sagt Vanessa Limbach, die seit April 2021 unter visuellen Störungen leidet.
Vanessa Limbach, Vanessa Limbach

Noch bis vor eineinhalb Jahren führte Vanessa Limbach aus Bonn ein ganz normales Leben. Doch wenn die 25-Jährige heute ihre Augen öffnet, sieht sie überall flimmernde Nachbilder, starkes Rauschen und auffällige Muster können von ihrem Kopf nicht mehr verarbeitet werden. Die Symptome sind dauerhaft und belasten die junge Mutter schwer. Niemand scheint Vanessa helfen zu können, Fachärzte sind ratlos.
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Im April 2021 traten die visuellen Störungen erstmalig auf

Ende 2020 zieht Vanessa in eine andere Stadt, entwickelt in diesem stressigen Lebensabschnitt eine Migräne mit Aura. Das Flackern, Flimmern und Blitzen endet jedoch meist nach 30 Minuten wieder. Im April 2021 treten plötzlich visuelle Störungen in Form von Nachbildern auf, die nicht mehr nach kurzer Zeit verschwinden. „Man muss sich das so vorstellen: Ich habe in meinem Schlafzimmer weiße Möbel mit schwarzen Knöpfen. Wenn ich mich ganz normal im Raum umschaute, blitzten diese schwarzen Knöpfe als Nachbild in Weiß auf. Ich wusste nicht, wie ich das einordnen sollte und woher das kam“, erinnert sich die die 25-Jährige.

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Die Symptome beeinflussen der Alltag der 25-Jährigen dauerhaft

Aber dabei bleibt es nicht: Vanessas Symptome werden immer schlimmer und verändern sich. Plötzlich nimmt die 25-Jährige bei Dunkelheit ein permanentes Rauschen wahr wie bei einem alten Röhrenfernseher. Ein Rauschen, das immer stärker wird. „Das beeinträchtigt mich heute so stark, dass ich im Dunkeln fast nichts mehr sehen kann. Ich verliere komplett die Orientierung, alles ist verrauscht. Ich muss jetzt immer mit Licht schlafen, sonst verunsichert mich die Dunkelheit zu stark“, erzählt die Verkäuferin im Gespräch mit RTL.

Aus Angst vor einem kompletten Orientierungsverlust fährt Vanessa bei Dunkelheit kein Auto mehr. Mittlerweile kann die junge Mutter keine starken Muster mehr sehen, da ihr dabei schwindelig wird und sie Kopfschmerzen bekommt. Außerdem ist sie sehr lichtempfindlich geworden: „Ich kann nur mit Sonnenbrille das Haus verlassen. Ohne können meine Augen die Lichtverhältnisse nicht richtig verarbeiten, und das Rauschen wird schlimmer.“

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Visual Snow ist eine Filterstörung des Gehirns

Vanessa vermutet, dass sie an der Krankheit Visual Snow, also einer weitreichenden Filterstörung des Gehirns, leidet. Eine offizielle Diagnose hat die 25-Jährige allerdings bis heute nicht erhalten. „Normalerweise werden bestimmte sensorische Signale, die jeder sieht, vom Gehirn gefiltert. Bei der Krankheit Visual Snow funktioniert dieser Prozess nicht mehr“, erklärt Jan Kempa, Vorstandsvorsitzender des Vereins „Visual Snow Syndrome Germany“ e.V. im Gespräch mit RTL.

Über 60 Prozent der Betroffenen leiden zusätzlich auch an einem Tinnitus, also an einer sensorischen Filterstörung im auditiven Sinn. 2014 wurde die Krankheit das erste Mal durch eine Studie klassifiziert. „Leider versteht man die Krankheit noch nicht zu 100 Prozent, bis heute ist sie nur wenig erforscht und relativ unbekannt“, so Kempa. Die meisten Ärzte in Deutschland erkennen das Krankheitsbild nicht und schieben die Symptome auf rein psychische Erkrankungen. Dabei würde eine formelle Diagnose vielen Betroffenen helfen, weiß der Experte.

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Früher war Vanessa glücklich und lebensfroh, jetzt ist sie ängstlich und verzweifelt

„Ich war ein sehr lebensfroher Mensch und habe das Leben richtig genossen“, erzählt die 25-Jährige. Jetzt ist alles anders. „Mir geht es sehr schlecht mit den visuellen Störungen, es raubt mir meine Lebensqualität. Mein Fokus liegt fast nur noch auf der Krankheit, weil ich ständig Angst vor neuen Symptomen habe.“

Direkt nach dem Aufstehen denkt Vanessa als erstes an die visuellen Störungen, vor dem Schlafengehen sind sie ihr letzter Gedanke: „Ich habe tierisch Angst, mein Augenlicht zu verlieren. Ich würde gerne wissen, was das alles ist, woher das kommt, wie sich das weiterentwickelt und was ich tun kann“, erzählt die 25-Jährige.

"Ich fühle mich von den Ärzten nicht ernst genommen"

Viele Ärzte nehmen Vanessas gesundheitlichen Probleme nicht ernst, reden ihr ein, sie bilde sich ihre Symptome nur ein. Mehrfach suchte sie verschiedene Augenärzte, Neurologen, Orthopäden und Allgemeinmediziner auf – bislang ohne Ergebnis. „Mir wurde gesagt, dass das normal ist. Aber ich weiß, dass das nicht normal ist. Ich fühle mich von den Ärzten nicht ernst genommen. Man kann solche schweren Symptome nicht einfach auf die Psyche schieben“, erzählt sie. Bei ihren Arztbesuchen habe sie immer wieder den Begriff Visual Snow fallen lassen, aber niemand kannte das Krankheitsbild.

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Doch auch nach vielen Rückschlägen gibt Vanessa nicht auf. Im Netz sucht sie nach Antworten und findet die Facebook-Gruppe „Visual Snow Germany“ mit über 500 Mitgliedern. Dort trifft die 25-Jährige das erste Mal auf Menschen, die an dem selben Krankheitsbild leiden. Der aktive Austausch und das Verständnis der anderen tun der jungen Mutter gut, dennoch bleiben viele Fragen offen.

Bislang gibt es keine validierte Therapie gegen Visual Snow

Erst in den letzten Jahren hat die Aufmerksamkeit für die Krankheit zugenommen, weiß Experte Kempa. Der Verein „Visual Snow Syndrome Germany“ e.V. hilft Erkrankten, mit Ärzten in Kontakt zu treten, die die Diagnose stellen können. Bis jetzt gibt es keine zugelassenen Medikamente oder validierten Therapien, aktuell werden Medikamente eingesetzt, die eigentlich bei der Behandlung von Epilepsie und schwerer Migräne verabreicht werden. Studien zeigen jedoch, dass die nur bei einer kleinen Anzahl von Patienten wirksam sind.

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Auch die 25-Jährige Vanessa sollte Off-Label Medikamente einnehmen. „Mein Hausarzt wollte mir in einem verzweifelten Versuch Medikamente verschreiben, die eigentlich für Durchblutungsstörungen sind. Aber ich bin ja kein Versuchskaninchen, das irgendwelche Medikamente testet.“

Die Forschungen für eine geeignete Therapie laufen weiter. „Da es sich bei Visual Snow um eine Filterstörung im Gehirn handelt, ist die Idee der Forschung, dass Gehirn mithilfe von Neuromodulation und Elektrostimulation sozusagen wieder in die richtige Bahn zu lenken“, erklärt Kempa.

Vanessa wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für das Krankheitsbild

Der Vorstandsvorsitzender des Vereins empfiehlt Betroffenen, einen Arzt aufzusuchen, der die Krankheit Visual Snow diagnostizieren kann. Außerdem helfe vielen Erkrankten ein konstruktiver Austausch untereinander sowie das Tragen einer Brille mit gelb, blau oder grün getönten Gläsern. Allgemein rät Kempa zur Stressreduktion, um die Symptome zu lindern.

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Was sich Vanessa Limbach für die Zukunft wünscht? „Mehr Aufklärung und Aufmerksamkeit für das Thema und für alle Betroffenen. Dass wir alle endlich ein wenig Hoffnung kriegen und dass die Ärzte uns endlich ernst nehmen und man nicht einfach weggeschickt wird.“ Außerdem hofft sie, dass sich ihre Symptome nicht verschlimmern – und sie endlich wieder ein unbeschwertes Leben führen kann.