Im Ukraine-Krieg umgeben von Ja-Sagern

Weiß Putin wirklich, wie es um seine Truppen steht?

Russian President Vladimir Putin attends a meeting with the head of the Republic of Ingushetia Makhmud-Ali Kalimatov at the Kremlin in Moscow, Russia March 30, 2022. Sputnik/Mikhail Klimentyev/Kremlin via REUTERS ATTENTION EDITORS - THIS IMAGE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY.
Wladimir Putin könnte ein falsches Bild über die Lage seiner Truppen in der Ukraine haben.
Reuters
von Jan-Eric Kroeger

Schon lange kursieren Gerüchte über Kreml-Diktator Wladimir Putin. Der russische Kriegstreiber soll sich immer weiter zurückgezogen haben, Zugang soll nur sein engster Beraterkreis haben. Der britische „Daily Mirror“ berichtet nun, dass die russischen Generäle Putin über die tatsächliche Lage auf den Schlachtfeldern der Ukraine gar nicht informieren, um den Despoten nicht zu verärgern. Wie realistisch ist das? Politikwissenschaftler Prof. Thomas Jäger von der Uni Köln schätzt ein.
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Was weiß Putin wirklich?

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar läuft es für Putins Soldaten weiterhin nicht besonders gut auf dem Schlachtfeld. In den letzten Wochen kommt Russland kaum voran. Zuletzt kündigte das Verteidigungsministerium an, sich nur noch auf die Donbass-Region im Osten der Ukraine konzentrieren zu wollen. Ein Eingeständnis Putins, dass die Invasion der gesamten Ukraine schief läuft? Nicht, wenn man Berichten des „Daily Mirror“ glaubt.

Die britische Tageszeitung beruft sich in ihren Berichten, Putin würde von seinen Generälen nicht über die wahre Lage in der Ukraine informiert, auf „westliche Beamte“. Ist es wahrscheinlich, dass Putins Militärs den Diktatoren im Unklaren lassen, um ihn nicht zu verärgern?

Jäger: "Klima des Ja-Sagens" denkbar

Prof. Thomas Jäger ordnet Lawrows Aussagen für RTL ein.
Prof. Thomas Jäger ordnet für RTL und ntv regelmäßig die politische Lage rund um den Ukraine-Krieg ein.
ntv

„Es ist nicht unplausibel, dass Präsident Putin Informationen bekam, die eher seiner eigenen Einschätzung entsprochen haben als der Wirklichkeit. Denn das geschieht in allen großen Organisationen, wenn über mehrere Ebenen berichtet wird - niemand will dem Chef die schlechten Nachrichten bringen“, sagt Thomas Jäger, Experte für Außenpolitik und Politik-Professor an der Uni Köln. „Dazu kommt, dass autoritäre Präsidenten - wenn sie zudem schon jahrzehntelang herrschen - ein Klima des Ja-Sagens um sich errichtet haben. Aus Furcht vor Verrätern zurrt sich der Kreis der Berater immer enger zusammen. Dann kann es zu solchen Fehleinschätzungen kommen“, meint der Politologe. Auch wenn Jäger von außen nur über den Informationsstand Putins zum Krieg mutmaßen kann, kennt er die inneren Machtmechanismen eines solchen Systems.

Dass Putin sich im Laufe der Jahre immer weiter selbst isolierte, sei denkbar. Denn Vertraute, die Putin enttäuschten, ließ er entfernen. Neue Berater seien nicht dazu gekommen, so Jäger. Der vorhandene Beraterkreis weise zudem viele Gemeinsamkeiten auf: „Sie zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie gleich denken, dieselben Vorurteile pflegen und dieselben kulturellen Vorprägungen haben: also ein ziemlich gleichartiger Kreis, sehr einheitlich, nicht divers. Da widerspricht dann niemand, wenn der Chef sich seine Meinung gebildet hat.“

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Öffentlicher Umgang mit Untergebenen lässt Schlüsse zu

Gut möglich also, dass unliebsame Nachrichten den Autokraten nicht ungefiltert erreichen. Die von ihm selbst aufgebaute klare Machthierarchie spielt dabei eine große Rolle. „Das Verhältnis Herrscher-Untergebene existiert nicht nur in der russischen Gesellschaft, sondern auch im Kreml. Sie lassen sich von ihm öffentlich maßregeln“, sagt Jäger.

Im Gegensatz zu seiner Bevölkerung kann der Machthaber sich eigentlich umfassend informieren. Warum sich Putin trotzdem von der Realität entfernen zu scheint, sei eine spannende Frage, so Jäger: „Möglicherweise ist er so in einem Gedankentunnel, dass er widerstreitende Informationen aussortiert, oder er biegt sich alles nur zurecht.“