Verhandlung gegen Ex-Vorgesetzte des ehemaligen Krankenpflegers

Serienmörder Niels Högel wird zum Zeugen im Prozess gegen Klinikmitarbeiter

01.03.2022, Niedersachsen, Oldenburg: Der wegen Mordes verurteilte Krankenpfleger Niels Högel (l) kommt vor Prozessbeginn an den Weser-Ems-Hallen an, in die das Landgericht aus Platzgründen den Prozess gegen frühere Vorgesetzte des ehemaligen Krankenpflegers an den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst verlegt hat. Der 2019 wegen 85 Morden verurteilte Högel wird voraussichtlich als Zeuge aussagen. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Niels Högel kommt am Dienstagmorgen an den Weser-Ems-Hallen in Oldenburg an. Hier findet der Prozess gegen ehemalige Vorgesetzte der Kliniken Oldenburg und Delmenhorst statt.
hcd sab, dpa, Hauke-Christian Dittrich
von Carmen Gocht und Mareike Baumert

Dieser Verhandlungstag wurde mit Spannung erwartet: Im Prozess gegen seine ehemaligen Vorgesetzten war am Dienstag Niels Högel am Landgericht Oldenburg als Zeuge geladen. Seine Aussage soll dabei helfen zu klären, ob seine ehemaligen Vorgesetzten eine Mitschuld an den Morden des sogenannten „Todespflegers“ an den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst haben.
Lese-Tipp: Warum sieben ehemalige Vorgesetzte von Ex-Krankenpfleger Niels Högel wegen Tötung durch Unterlassen angeklagt sind.

Komplexe Befragung des Zeugen Niels Högel

In Jeans, Turnschuhen und weißem Hemd unter blauem Pullover betritt Niels Högel am Dienstagvormittag um 9:55 Uhr den Saal in den Weser-Ems-Hallen in Oldenburg. Er kennt diesen Raum, denn von November 2018 bis Juni 2019 fand hier der große Mordprozess gegen den Ex-Krankenpfleger statt. Doch heute sitzt er auf dem Zeugenstuhl statt der Anklagebank.

Vorher kündigt Richter Sebastian Bührmann an: „Ich gehe davon aus, dass die Vernehmung von Högel außerordentlich komplex wird.“ Denn der Zeuge soll zu mehreren Themenfeldern befragt werden: Zu seinem Lebenslauf und den Manipulationen, die er an seinen Arbeitsplätzen vorgenommen hat, zu den Menschen, die dadurch gestorben sind und zu dem Verhältnis der Kollegen untereinander. Es geht um einen Zeitraum von 1999 bis 2005, teilweise liegen die Ereignisse also mehr als 20 Jahre zurück.

Högel erinnert sich nicht an Zahl der Manipulationen

Beim Prozess gegen sieben Vorgesetzte sagt am Dienstag Niels Högel aus.
Auf diesem Stuhl nahm Niels Högel am Vormittag Platz. Während der Zeugenbefragung sind Kameras und Tonaufnahmen im Gerichtssaal verboten.
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Sein Vorstellungsgespräch am Klinikum Oldenburg hatte Niels Högel bei einer der Angeklagten, erzählt der 45-Jährige vor Gericht. Wann es mit den Manipulationen angefangen hat, also dem Spritzen von potentiell tödlichen Medikamenten, könne er nicht sagen. Niels Högel hatte während seiner Zeit an den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst in den Jahren zwischen 2000 und 2005 Patienten Medikamente gespritzt, die zu Herzstillständen führten. Anschließend versuchte Högel die Patienten zu reanimieren, dies gelang nicht immer. 2019 wird der Ex-Krankenpfleger wegen Mordes in 85 Fällen verurteilt.

Schon im ersten Nachtdienst kam es laut Högel zu einer Reanimation, die er aber nicht verursacht habe. Die Anerkennung für die erfolgreiche Wiederbelebung habe er gerne angenommen, erinnert er sich heute. Der erste Fall wäre „auf jeden Fall“ nach seiner Einarbeitung gewesen, so Högel. Auf die Frage von Richter Bührmann, wie viele Menschen er manipuliert habe und wie viele gestorben seien, sagt der 45-Jährige: „Natürlich will ich darauf antworten, aber ich kann nicht sagen, was die endgültige Zahl ist.“ In dem Prozess 2018/2019 konnten Niels Högel 85 Morde nachgewiesen werden, angeklagt waren aber 100 - es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer von Tötungen höher liegt.

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Zuschauerin über Högel: "Ich empfinde größte Scheu, größten Ekel"

Beim Prozess gegen sieben Vorgesetzte sagt am Dienstag Niels Högel aus.
Seelsorgerin Barbara Stollberg ist beim Prozess das erste Mal Niels Högel begegnet.
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Das Verhalten von Niels Högel wird bei seiner Aussage genau beobachtet - nicht nur von einem Gutachter, der die Aussagen des Serienmörders einordnen soll, sondern auch von den Zuschauern im Saal. Dem Ex-Krankenpfleger wurde bereits früher von einem Gutachter eine narzisstische Persönlichkeitsstörung attestiert, auch soll er ein notorischer Lügner sein.

Barbara Stollberg ist Seelsorgerin aus Delmenhorst und interessiert sich für den Fall. Sie ist erstaunt, wie selbstbewusst Niels Högel am Vormittag in den Saal kommt und zweifelt an seinen Aussagen, dass er sich nicht genau erinnern könne. „Ich hab den Eindruck, er genießt auch, dass man ihn erwartet hat“, erklärt sie RTL-Reporterin Carmen Gocht. „Ich glaube, dass es einer seiner letzten Auftritte ist in großer Öffentlichkeit und ich bin überzeugt, das ist ihm bewusst.“ Barbara Stollberg sagt, sie empfinde „größte Scheu, größten Ekel“ für Niels Högel.

Niels Högel wird erneut als Zeuge aussagen müssen

Vor Gericht geht es nicht um alle Morde, die dem Ex-Krankenpfleger nachgewiesen werden konnten, sondern um drei Fälle aus dem Klinikum Oldenburg und fünf Fälle aus dem Klinikum Delmenhorst. Den ehemaligen Vorgesetzten wird von der Staatsanwaltschaft Oldenburg vorgeworfen, von Niels Högels Taten gewusst zu haben, aber nicht eingeschritten zu sein. Die Befragung von Niels Högel am Dienstag wird nicht die letzte im Prozess gewesen sein, er wird voraussichtlich nochmal vor Gericht befragt werden.