Schwiegen sie, um den Ruf der Kliniken nicht zu gefährden?
Fall "Todespfleger" Niels Högel: Gericht prüft Mitschuld seiner Ex-Vorgesetzten

Am Donnerstag startet ein neuer Prozess im Fall des „Todespflegers“ Niels Högel. Wegen der Morde des Ex-Krankenpflegers muss das Oldenburger Landgericht klären, ob er von Kollegen oder Vorgesetzten hätte gestoppt werden können. Sieben von ihnen sind wegen Tötung durch Unterlassen angeklagt.
Hätten die Morde verhindert werden können?

Högel hatte seine Opfer mit Medikamenten zu Tode gespritzt. Das Oldenburger Landgericht will klären, ob die Angestellten möglicherweise eine Mitschuld tragen.
„Die Angeklagten hielten die Taten des Nils Högel für tatsächlich möglich, schritten jedoch nicht ein und nahmen damit die Begehung weiterer Taten billigend in Kauf“, wirft die Staatsanwaltschaft den Mitarbeitenden des Klinikums Oldenburg vor. Högel hätte so ungehindert weitere Tötungsdelikte begehen können. Laut Staatsanwaltschaft hätten die vier Angeklagten des Oldenburger Klinikums seit spätestens Ende Oktober 2001 eine von Niels Högel ausgehende Gefahr für Patienten erkannt und sich mit den „wenn auch – unerwünschten – Taten abgefunden.“ Ähnlich soll es am Klinikum Delmenhorst gelaufen sein. Laut Anklage hätten die zwei Oberärzte von den Vorwürfen gegenüber Niels Högel gewusst, seien aber nicht eingeschritten.
Als Grund für das Verhalten der Angeklagten vermutet die Staatsanwaltschaft, dass alle Sorge hatten, dem Ruf der Kliniken zu schaden.
In Oldenburg bekam Niels Högel ein gutes Arbeitszeugnis
Das Klinikum Oldenburg genoss damals einen guten Ruf - modernste Medizin, gut ausgebildetes Personal. Doch in Oldenburg ermordete Niels Högel Patienten. 2002 wird der damalige Krankenpfleger entlassen - und erhält ein gutes Arbeitszeugnis, wie unser Reporter Roland Rickelmann weiß, der sich schon seit Jahren mit dem Fall Niels Högel beschäftigt: „Was wir heute wissen und das ist wirklich das Schockierende: Wenn man ihm dieses Zeugnis nicht geschrieben hätte und man hätte früher die Polizei eingeschaltet, dann wären die Morde in Delmenhorst möglicherweise gar nicht passiert."
In Delmenhorst brachte er nachweislich noch mehr Patienten um als in Oldenburg. Als ihn eine Kollegin auf frischer Tat ertappt, wird Högel nicht sofort entlassen. Er tötet noch eine weitere Patientin. Mathias Hirschmann, Sprecher der Staatsanwaltschaft Oldenburg, sagt vor Prozessbeginn: „Es bleibt nun auch im Sinne der Angehörigen zu klären, ob die Angeklagten eine entsprechende Verantwortung trifft."
Angeklagte zeigen sich vor Gericht zurückhaltend

RTL-Reporterin Sarina Sprengelmeyer ist am Donnerstag in Oldenburg im Gerichtssaal: „Alle sieben Angeklagten haben heute hier vor Gericht geschwiegen und sich nicht zu den Vorwürfen gegen sie eingelassen. Einige haben aber bereits angekündigt, im Laufe des Prozesses aussagen zu wollen. Mein Eindruck von den Angeklagten ist, dass die meisten von ihnen erst einmal recht vorsichtig sind und an die neue Situation vor Gericht gewöhnen müssen. Und dabei wird auf die Angeklagten auch relativ viel Rücksicht genommen, weil es zum Beispiel einige ältere Angeklagte gibt. Es wird unter anderem auf mehr Verhandlungspausen geachtet."
Die unfassbare Mordserie des Niels Högels

Von 1999 bis 2002 arbeitet Niels Högel als Pfleger auf der Intensivstation am Klinikum Oldenburg. Er fällt auf, weil er sich bei Reanimationen in den Vordergrund drängt. Kollegen misstrauen ihm, doch bei der Polizei meldet sich niemand.
Von 2002 bis 2005 arbeitet Niels Högel am Klinikum Delmenhorst. In dieser Zeit steigt die Anzahl der Todesfälle während seiner Dienstzeit dramatisch. Im Juni 2005 wird eine Krankenschwester nach einer von Högel durchgeführten Reanimation misstrauisch: Der Krankenpfleger fliegt auf.
2008 verurteilt ihn ein Gericht wegen eines Vorfalls zu siebeneinhalb Jahren Haft wegen Totschlags. Danach kommen weitere Taten ans Licht, 2015 folgt eine Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen zweifachen Mordes. Eine Sonderkommission der Polizei ordnet danach die Exhumierung von mindestens 134 Leichen an.
18 Anwälte vertreten die Angeklagten

Das Urteil gegen Högel ist rechtskräftig - die Vorwürfe gegen seine Ex-Chefs werden unabhängig davon vor Gericht verhandelt. Die Angeklagten müssen sich wegen Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen verantworten. Das Strafmaß liegt bei zwei bis elf Jahren und drei Monaten Haft. Insgesamt hätten, laut Anklage, acht Taten durch die Angestellten der Kliniken verhindert werden können. Auch Högel wird als Zeuge, vermutlich im März, aussagen. Die Angeklagten werden von 18 Rechtsanwälten verteidigt. Von den Angeklagten waren vier an der Oldenburger Klinik und drei in Delmenhorst tätig.
Zu Beginn des Prozesses sagt am Donnerstagmorgen einer von drei Rechtsanwälten der ehemaligen Pflegedirektorin des Klinikums Oldenburg: „Wir halten die verlesene Anklage für grob mangelhaft.“, sie basiere auf Gerüchten und halte diese für „irreparable Reputationsschäden für die Angeklagten.“
Für das Verfahren sind 42 Verhandlungstage angesetzt. Gegen einen weiteren Angeklagten wurde das Verfahren aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt.