Schafft mein Kind den Sprung aufs Gymnasium? Wie die Schulwahl Eltern und Schüler unter Druck setzt

Schülerin sieht verzweifelt und traurig aus. A young girl looking bored in class.
Die "Auslese" fürs Gymnasium belastet Grundschüler.
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Mai ist der Monat der "Auslese", denn für viele Schüler stellt sich heraus, wie es nach der Grundschule weitergeht. Viele Kinder fühlen sich dadurch enorm unter Druck gesetzt, mit Leistung zu überzeugen. Und Eltern setzen weiterhin alles daran, dass ihre Kinder es aufs Gymnasium schaffen.

Was ist so schlimm am Nicht-Gymnasium?

Schafft mein Kind den Sprung aufs Gymnasium? Diese Frage zermürbt Eltern von Viertklässlern; vor allem im Frühling, wenn die Weichen für die künftige Schullaufbahn gestellt werden. Denn wenn der Notendurchschnitt in den relevanten Fächern nicht gut genug ist, dann dürfen Klara und Fynn nicht aufs Gymnasium wechseln. Zumindest nicht, wenn sie aus einem Bundesland stammen, in dem es noch die bindende Schulempfehlung gibt. Wir wagen in diesem Zusammenhang eine kleine ketzerische Frage: Was ist so schlimm daran, ein Nicht-Gymnasium zu besuchen?

Zum einen meinen wir uns zu erinnern, dass Deutschland ein ganz außergewöhnlich gutes Ausbildungssystem hat. Wäre es wirklich die schrecklichste aller Zukunftsvisionen, wenn das Kind nach dem Besuch eines Nicht-Gymnasiums eine Lehre absolviert und später als Handwerkerin oder Angestellter Karriere macht? Da fallen uns auf Anhieb etliche Zukunftsvisionen ein, die wir bei weitem nicht so erstrebenswert finden … Es gibt genügend Unternehmen, die engagierte Auszubildende suchen.

Zudem ist das deutsche Schulsystem überraschend durchlässig: Man kann dort nicht nur sitzenbleiben oder auf der Bildungsleiter nach unten wandern. Nein. Man kann sich - als fast schon erwachsener Mensch - nach der neunten oder zehnten Klasse dazu entscheiden, doch noch weiter zur Schule zu gehen. Auf eine gymnasiale Oberstufe zu wechseln, das Fachabitur zu machen. Oder eben erst seine Gesellen- und später vielleicht sogar seine Meisterprüfung abzulegen. Immerhin steigt das deutsche Bildungsniveau ja generell kontinuierlich an – etwa die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler erreicht die Hochschulreife.

Als trostspendendes Beispiel dafür, dass Jugendliche nicht nur gegen gläserne Decken poltern, wenn sie bei ausklingender Pubertät durchstarten wollen, kommt mir immer wieder der Vortrag eines Beratungslehrers in den Sinn. Sein Job war es, Eltern von Viertklässlern die Vorteile verschiedener Schulformen und Bildungswege vorzustellen. Zur Erheiterung (oder Beruhigung) der anwesenden Eltern zeigte er sein eigenes Zeugnis aus der vierten Klasse. Sagen wir mal so: Eine Gymnasial-Empfehlung hat er damit ganz bestimmt nicht bekommen. Aber seinen Weg hat er trotzdem gemacht.

Druck auf Eltern

Seit einigen Jahren wird viel diskutiert über die einzig heil-, bildungs- und gehaltsversprechende Schulform: Abschaffung der Hauptschulen? Aufwertung der Hauptschulen? Gesamtschule für alle? Selektierung nach der vierten Klasse? Irgendwas dazwischen? Die Argumente von Experten und Eltern sind jeweils völlig überzeugend: Da werden die Kinder viel zu früh gnadenlos aussortiert! Da wird dafür gesorgt, dass jeder die Schulform besuchen kann, die zu ihm und seinen Begabungen passt! Da werden elitäre Kreise geschaffen! Wurde auch Zeit, dass die Kinder in homogeneren Gruppen unterrichtet werden! Mit zehn weiß man doch noch nicht, wie das Kind sich entwickelt! Dem Kind werden alle Chancen verbaut! Und so weiter... All das verunsichert Eltern und setzt sie unter Druck: Schließlich müssen letztendlich sie entscheiden, auf welche Schule sie ihr Kind schicken.

Was die Sache mit der Schulwahl nicht leichter macht ist das Wissen, dass in Deutschland schulischer Erfolg nach wie vor stark vom Elternhaus abhängig ist. Ein besorgniserregender Zustand sozialer Ungerechtigkeit, gegen den Bildungspolitiker etwas tun müssen. Aber eben auch etwas, das engagierte Eltern unter Druck setzt: Denn wenn Klara und Fynn es nicht aufs Gymnasium "schaffen“ – dann heißt das doch irgendwo auch, dass die Eltern daran schuld sind, oder? Dass sie ihre Kinder zu wenig gefördert, sie zu wenig bei den Hausaufgaben unterstützt haben?

Es fällt schwer, das "Scheitern“ des eigenen Kindes nicht auch als eigenes "Scheitern“ zu sehen. Manchmal scheint es, als ob über dem täglichen innerfamiliären Kampf, für das Kind die bestmöglichen Startvoraussetzungen ins Berufsleben zu schaffen, eine Möglichkeit völlig in Vergessenheit gerät: Die Möglichkeit, dass ein Gymnasium mit seinem theorie-lastigem Lehrplan und seinen zwei Fremdsprachen vielleicht gar nicht die optimale Schule für ein Kind ist. Inklusive der Gefahr, später sitzenzubleiben, die Schule abzubrechen oder auf eine andere Schule wechseln zu müssen.

Kinder sind ja durchaus noch etwas anderes als Zensuren-Generierungs-Maschinen, die es durch regelmäßige zusätzliche Nachhilfestunden zu unterstützen gilt. Sie sind Kinder. Die auch mal Spielen und Quatschmachen wollen. Die total wissbegierig sind oder sich mit dem Lernen eben nicht so leicht tun. Vielleicht wäre es bei all dem Leistungsdenken, das unser Leben bestimmt, zwischendurch auch durchaus legitim, einen Hauch Neigungsdenken zuzulassen? Nur so ein bisschen. Und eventuell in Betracht zu ziehen, dass Klara und Fynn nicht scheitern, wenn sie ab der fünften Klasse ein Nicht-Gymnasium besuchen – sondern dass sie Kinder sind, denen die ganze Zukunft offen steht.

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