Hexenjagd auf Kriegsgegner

Russland: Ehepaar wird im Restaurant festgenommen - weil es belauscht wurde

Das Foto zeigt die Hände einer Person in Handschellen.
Ein russisches Ehepaar wurde von der Nationalgarde wegen eines privaten Gesprächs verhaftet. (Symbolbild)
dpa, Boris Roessler

von Ellen Ivits

In Russland nimmt die Jagd auf Kritiker der Kreml-Politik erschreckende Ausmaße an. Weil sie in einem privaten Gespräch kritisch über den Krieg in der Ukraine gesprochen haben sollen, wurde nun ein Paar festgenommen.

Jagd auf vermeintliche Nestbeschmutzer

Krieg. Frieden. Zwei Wörter, die nicht von gegensätzlicherer Bedeutung sein könnten. Und doch ist das eine wie das andere in der russischen Öffentlichkeit verboten. Wer Frieden fordert oder von Krieg redet, beschmutzt in den Augen des Kremls das Ansehen der russischen Armee. Wie genau beide Wörter die Streitkräfte Moskaus diskreditieren sollen, verraten die mächtigen Herren nicht. Aber das brauchen sie auch gar nicht. Die Maschinerie der Repressalien läuft. Das Regime stützt sich auf Hunderttausende Beamte, die willfährig Jagd auf vermeintliche Nestbeschmutzer machen.

Diese Maschinerie funktioniert so gut, dass die Zensur nun auch ins Privatleben Einzug hält. Ein Fall aus der russischen Stadt Krasnodar zeugt von dieser Entwicklung. Dort wurden in einem Restaurant zwei Eheleute festgenommen, weil sie in einem privaten Gespräch die russischen Streitkräfte diskreditiert haben sollen.

Fremder belauscht Gespräch über Ukraine-Krieg

Am vergangenen Montag suchten Alexej Owtschinikow und seine Frau Olessja Owtschinikowa gemeinsam mit einer Freundin ein örtliches Lokal auf. Am Abend des Geschehens verließ Alexej kurz das Restaurant, um draußen eine Zigarette zu rauchen, berichtete sein Anwalt dem unabhängigen TV-Sender Dozhd. Währenddessen unterhielten sich die beiden Frauen über die Nachrichten aus der Ukraine. Einem Fremden gefiel jedoch der Inhalt des Gesprächs nicht und er tat seinen Unmut lauthals kund.

"In dem Gespräch waren solche Worte wie Sonderoperation und Ukraine gefallen", schilderte der Anwalt Alexej Awanesjan das Geschehen. "Wie der Zufall es wollte, saß am Nachbartisch ein Mann aus Donezk." Er habe die beiden Frauen sehr grob ermahnt und habe ihnen Gewalt angedroht. "Es kam zum Konflikt. Der Mann aus Donezk griff meine Mandantin physisch an. Er versuchte, sie aus dem Lokal zu schubsen. Dort sei kein Platz für solche Gespräche."

In diesem Augenblick sei Alexej vom Rauchen in das Restaurant zurückgekehrt und habe in den Streit eingegriffen. Die Mitarbeiter hätten daraufhin, die Russische Nationalgarde alarmiert, so der Jurist. "Die Beamten haben nicht lange überlegt. Den Mann aus Donezk ließen sie unbehelligt." Den Eheleuten hätten sie hingegen Handschellen angelegt und sie auf den Boden geworfen.

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Ehepaar wird im Restaurant festgenommen und gefilmt

Über eine Stunde soll das Paar laut der Rechtsschutzorganisation OWD-Info so festgehalten worden sein. Dabei filmten die Nationalgardisten das Geschehen und veröffentlichten die Aufnahme anschließend im Netz.

In der publik gemachten Frequenz ruft Olessja "Ruhm der Ukraine", einen patriotischen ukrainischen Gruß. "Nein, ich werde meine Klappe nicht halten", sagt sie lachend an die Beamten. "Ruhm der Ukraine, Ruhm für Selenskyj. Fickt euch, Arschlöcher!"

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"Deine Mutter wird stolz auf dich sein", fährt sie an den Mann hinter der Kamera gewandt fort. "Du bist ein Superheld", setzt sie ironisch hinzu und kann einen nervösen Lachanfall nicht unterdrücken. "Ich sehe, wie du dich dafür schämst, was du tust!"

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Arrest wegen Antikriegsäußerungen

Im Vorfeld soll der Beamte versucht haben, die junge Frau auszufragen. "Er fragte, wie sie zu der Sonderoperation stehen würde. Warum sie solche Slogans rufen würde. Er begann mit einer eigenen Untersuchung, obwohl das absolut nicht in seinem Zuständigkeitsbereich liegt", sagte ihr Anwalt Awanesjan.

Nach einer Nacht auf dem Polizeirevier wurde Olessja wieder freigelassen. Ihr wurde eine Geldstrafe von 1000 Rubel auferlegt. Doch ihr Mann Alexej wurde in einem Schnellverfahren zu 15 Tagen Arrest verurteilt – wegen "geringfügigem Rowdytum". Doch sein Anwalt fürchtet, dass diese Frist nur dazu dient, in dieser Zeit ein Verfahren wegen der "Gewaltanwendung gegen Beamte" einzuleiten.

Das Ehepaar selbst berichtete, die Polizei habe ihnen mitgeteilt, sie wegen Antikriegsäußerungen festgenommen zu haben. "Man fragte sie aus, woher sie ihren Anwalt haben. Welche Organisation ihn vermittelt hat. Woher sie ihn kennen würden. Man wollte, dass sie auf einen Anwalt verzichten", erzählte der besagte Anwalt. Ein Satz, der Olessja besonders in Erinnerung geblieben sei: "Wozu brauchen Sie einen Anwalt? Ein unschuldiger Mensch braucht keinen Anwalt. Wenn Sie einen Anwalt anrufen, dann ist es ein indirektes Eingeständnis Ihrer Schuld", habe man seiner Mandantin weiszumachen versucht.

Paragraf über Falschinformation in Russland

Der Paragraf über Falschinformationen über die russische Armee wurde kurz nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine in das russische Strafgesetzbuch aufgenommen. Dabei bewerten die russischen Behörden alle Informationen über den Krieg in der Ukraine, die von der Version des russischen Verteidigungsministeriums abweichen, als Falschinformationen. Bei einem Verstoß drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Seit der Einführung des neuen Paragrafen blüht in Russland wieder das Denunziantentum. Lehrer schwärzen ihre Schüler an, Schüler ihre Lehrer, sogar Mütter ihre Kinder. Im Dezember wurde unter anderem die 19-jährige Studentin Olessja Kriwtsowa festgenommen, nachdem sie von zwei Kommilitonen denunziert worden ist. Gegen sie wird wegen privater Nachrichten auf Instagram und Telegram ermittelt.

Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst bei stern.de.

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