Mordprozess in Saarbrücken

Raser tötete seine Familie - Vater trifft ihn vor Gericht: "Wollte ihm in die Augen sehen"

Mit verschränkten Armen sitzt Joachim Strauß im Saal des Landgerichts Saarbrücken. Er schaut den Mann am anderen Ende des Raumes an. Es ist der Angeklagte. Strauß trifft ihn an diesem Tag zum ersten Mal – und er will ihm in die Augen sehen. Er will sehen, wie der Mann reagiert, der im August 2017 ungebremst mit Tempo 130 in den Wagen rast, in dem seine Frau und seine Tochter sitzen. Beide sterben – die Vorwürfe wiegen schwer.

Unfall in Saarwellingen: Mutter starb sofort, Tochter zwei Monate später

Mutter und Tochter haben keine Chance, als sie an diesem Tag im Feierabendverkehr von Saarwellingen unterwegs sind. Sie fahren Tempo 40, als der Angeklagte in seinem Wagen plötzlich mit 130 Stundenkilometern von hinten in ihr Auto kracht – erlaubt ist Tempo 50.

Das Auto von Mutter und Kind wird gegen ein Haus und einen Treppeneingang geschleudert, dann knallt es gegen weitere Fahrzeuge. Die 43-Jährige erleidet bei dem Unfall einen Genickbruch und stirbt sofort. Bei der Tochter (12) wird ein schweres Schädelhirntrauma sowie Hirnblutungen diagnostiziert. Sie kämpft zwei Monate um ihr Leben, doch sie schafft es nicht.

Zwei weitere Menschen werden verletzt: Ein Autofahrer, mit dem der Wagen des Angeklagten noch kollidiert sowie ein Fußgänger, der von Trümmerteilen getroffen wird. Der Mann, der diesen Unfall verursacht hat, muss sich seit Mittwoch wegen Mordes durch rücksichtslose und gefährliche Fahrweise vor dem Landgericht Saarbrücken verantworten.

Erschreckende Details im Gerichtssaal in Saarbrücken

Joachim Strauß verlor seine Frau und seine Tochter
Joachim Strauß verlor seine Frau und seine Tochter
RTL

Für Strauß kann es in diesem Fall keine Gerechtigkeit geben. „Es kam wieder alles hoch“, erzählt er. „Menschenleben macht man nicht mit Geld gut – und bei mir sind es gleich zwei.“ Es sei „erschreckend“, was er im Gerichtssaal gehört habe. In ihrer Anklagte hatte Oberstaatsanwältin Bettina Wintrich gesagt, der tödliche Unfall hätte möglicherweise verhindert oder abgemildert werden können, wenn der Fahrer vorher noch gebremst hätte. Denn er habe das vor ihm mit Tempo 40 fahrende Auto spätestens knapp 90 Meter zuvor sehen können. Da er aber nicht bremste, wurde das Auto der Opfer durch den Aufprall auf 90 bis 100 Kilometer pro Stunde beschleunigt. Der Fahrer habe während der Fahrt mit einer Bekannten am Handy Whatsapp-Nachrichten ausgetauscht, sagte Wintrich.

Vor dem Unfall kam es an dem Tag im Ort bereits zu mehreren Beinahe-Unfällen mit dem Fahrer, wie mehrere Zeugen schilderten. Oberstaatsanwältin Wintrich sagte: Dem Angeklagte hätte die „extreme Gefährlichkeit seiner Fahrweise“ spätestens nach den Fast-Unfällen bewusst sein müssen. Da er dann aber weiter raste, habe der Fahrer durch seine Fahrweise den Tod anderer Personen billigend in Kauf genommen.

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Hatte der Angeklagte einen epileptischen Anfall?

16.06.2021, Saarland, Saarbrücken: Der Angeklagte sitzt im Gerichtssaal des Landgerichts Saarbrücken neben seinem Anwalt Pascal Bastuck (l). Wegen Mordes durch rücksichtlose Fahrweise musssich der 30-Jährige verantworten. Er soll im August 2017 mitten in Saarwellingen mit Tempo 130 ungebremst auf ein Auto gerast sein. Dabei wurden eine Mutter und deren Tochter, die in dem Wagen saßen, tödlich verletzt. Foto: Oliver Dietze/dpa - ACHTUNG: Person(en) wurde(n) aus rechtlichen Gründen gepixelt +++ dpa-Bildfunk +++
Mordprozess wegen rücksichtloser Fahrweise: Der Angeklagte im Gerichtssaal
odi fdt, dpa, Oliver Dietze

Der angeklagte Deutsche kann sich nach den Worten seines Verteidigers an die Raserei nicht mehr erinnern. Zum Prozessauftakt sagte Anwalt Pascal Bastuck, der 30-Jährige habe zum Tatzeitpunkt einen Aussetzer gehabt. Erst am Unfallort sei er „wieder zu sich gekommen“. Der Angeklagte leide an Epilepsie und sei zu dem Zeitpunkt auch medikamentös eingestellt gewesen, sagte der Anwalt. Bei einem Krampfanfall sei es zu dem Unglück gekommen.

Am Tattag habe der 30-Jährige auch zuvor bei der Arbeit als Fertigungs- und Montagemitarbeiter einen Aussetzer gehabt, berichtete Bastuck. Er habe das Band in einer Halle gestoppt, konnte sich aber später nicht mehr daran erinnern. „Er machte einen leicht verwirrten Eindruck“, sagte auch dessen Arbeitgeber später im Zeugenstand.

Angeklagter soll direkt nach seinem Auto geschaut haben

ARCHIV - 23.08.2017, Saarland, Saarwellingen: Ein Bild der Verwüstung bietet sich, nachdem ein Autofahrer ungebremst gegen einen Wagen (links hinten neben der Gruppe von Feuerwehrleuten) raste, in dem eine Frau und ein zwölfjähriges Kind dabei tödlich verletzt wurden.     (zu dpa «Zu schnell und am Handy: Mordprozess wegen rücksichtloser Fahrweise») Foto: picture alliance / Simon Mario Avenia/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Bild der Verwüstung nach dem tödlichen Verkehrsunfall in Saarwellingen.
rho tba, dpa, Simon Mario Avenia

Die Darstellung, dass der Angeklagte bei der Tat einen epileptischen Anfall hatte, hält die Staatsanwaltschaft für nicht glaubwürdig. Mehrere Zeugen berichteten am Mittwoch, dass der Angeklagte direkt nach der Tat „relativ gefasst“ gewesen sei. Er habe auch direkt nach seinem Auto geschaut sowie nach seinem Handy gefragt und Nachrichten geschrieben, sagte der Lkw-Fahrer, der sich zunächst um ihn gekümmert hatte.

Auch bei dem Witwer hat sich der Angeklagte bis heute nicht entschuldigt – und Strauß rechnete auch im Gerichtssaal nicht mehr damit. „Wenn man sich entschuldigen will, dann macht man das gleich, aber nicht nach vier Jahren. Ich hätte das auch nicht angenommen.“ Der Prozess ist zunächst bis zum 29. Juni terminiert.

(dpa/mst)