Hätten Morde des Ex-Krankenpflegers verhindert werden können?Staatsanwaltschaft fordert Freisprüche für Ex-Kollegen von Niels Högel

Auf den Jahrhundertprozess gegen Serienmörder Niels Högel folgte der Prozess gegen einige seiner ehemaligen Kollegen und Vorgesetzten. Wer hätte die insgesamt 87 verurteilten Morde verhindern können? Jetzt steht das Urteil kurz bevor.
Hätte jemand die Opfer schützen können?

Anfang Juni 2019 wird Niels Högel wegen Mordes in 85 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt. Bereits zwei Jahre zuvor, 2015, war er zu lebenslanger Haft wegen Mordes in zwei Fällen, zweifachen Mordversuchs und gefährlicher Körperverletzung veurteilt worden.
Der Schuldspruch vor mehr als drei Jahren ist der Startschuss für konkrete Ermittlungen gegen ehemalige Vorgesetzte und Kollegen Högels. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg will klären, ob jemand der Mordserie ein früheres Ende hätte setzen können. Seit Anfang 2022 läuft der Prozess gegen ehemalige Kollegen und Vorgesetzte.
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Kurz vor Prozess-Ende: Schuld wohl "nicht justiziabel"
Im Laufe der Prozesstage stellt sich heraus, dass bei keinem der Angeklagten ein Vorsatz zur Beihilfe zum Totschlag beziehungsweise versuchten Totschlag durch Unterlassen erkennbar geworden sei – so die Staatsanwältin Gesa Weiß am Mittwoch (12.10.). Weiß sagt, einzelne Angeklagte hätten Schuld auf sich geladen. Diese sei aber „nicht justiziabel“, also nicht verurteilbar. Deshalb fordert sie Freisprüche für alle Angeklagten. Noch am Mittwochnachmittag wolle die Verteidigung mit ihren Plädoyers beginnen.
Prozess gegen mögliche Mitschuldige begann am 17. Februar 2022

Wegen der Morde des Ex-Krankenpflegers Niels Högel mussten sich ab dem 17. Februar 2022 acht seiner ehemaligen Kollegen vor Gericht verantworten. Ein Verfahren wurde aufgrund einer schweren Erkrankung dann abgetrennt. Auf der Anklagebank sitzen blieben aus den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst drei Ärzte, zwei leitende Pflegerinnen und ein leitender Pfleger sowie ein Ex-Geschäftsführer. Ihnen wurde in unterschiedlichem Umfang Totschlag durch Unterlassen beziehungsweise Beihilfe dazu vorgeworfen. Sie sollen nicht eingeschritten sein, um die Mordserie von Högel abreißen zu lassen.
Es geht konkret um insgesamt acht Todesfälle, davon drei in Oldenburg und fünf in Delmenhorst. Die Angeklagten werden vor Gericht von 20 Verteidigern vertreten. Außerdem gibt es eine große Zuschauerzahl. Als Gerichtssaal fungiert deshalb wie beim Högel-Prozess 2019 der sogenannte Große Festsaal der Weser-Ems-Halle.
Anklageschrift und Beweisaufnahme der Staatsanwaltschaft

Zum Auftakt des Prozesses erhob die Staatsanwaltschaft Oldenburg diese Vorwürfe: „Die Angeklagten hielten die Taten des Niels Högel für tatsächlich möglich, schritten jedoch nicht ein und nahmen damit die Begehung weiterer Taten billigend in Kauf“. Högel hätte so ungehindert weitere Tötungsdelikte begehen können. Laut Staatsanwaltschaft hätten die vier Angeklagten des Oldenburger Klinikums seit spätestens Ende Oktober 2001 eine von Niels Högel ausgehende Gefahr für Patienten erkannt und sich mit den „- wenn auch unerwünschten - Taten abgefunden.“ Ähnlich soll es am Klinikum Delmenhorst gelaufen sein. Acht Monate versuchten alle Beteiligten, die Anklage zu be- oder widerlegen.
Auch der in der JVA Oldenburg inhaftierte Niels Högel selbst wird zu dem Prozess als Zeuge angehört. Das Urteil soll am 25. Oktober fallen. (dpa/jsc)