Luftfahrtexperte Benkö: „Das ist haarscharf am Crash vorbei“

Kurz vor Katastrophe: Passagierflugzeug startet 1,80 Meter vor Bruchlandung durch

Norwegian Air Sweden Boeing 787-9 Dreamliner aircraft as seen on final approach landing on Polderbaan runway and taxiing at Amsterdam Schiphol International Airport AMS EHAM in The Netherlands during a rainy day in haze. The wide body commercial airplane has the registration SE-RXM, 2x RR Rolls Royce jet engines and the name Asger Jorn. Norwegian Air Sweden AB is a Swedish low-cost airline and a fully integrated subsidiary of Norwegian Air Shuttle, using its corporate identity. February 28, 2020 (Photo by Nicolas Economou/NurPhoto)
Ein Airbus von Airhub Airlines, geflogen durch Norwegian Airlines wäre vor dem Pariser Flughafen Charles-de-Gaulle beinahe abgestürzt [Symbolbild]
Nicolas Economou/NurPhoto
von Lauren Ramoser und Ralf Benkö

Am Flughafen Charles-de-Gaulle (CDG) in Paris ist es am 23. Mai 2022 beinahe zu einer Katastrophe gekommen. Das zeigt der vorläufige Bericht der Flugunfallbehörde jetzt: Durch einen komplexen Fehler hat der Airbus Flug 4311 aus Stockholm nur noch 1,80 Meter Höhe – dabei ist die Landepiste noch über einen Kilometer entfernt und nicht in Sicht. Im letzten Moment geben die Piloten den Befehl zum Durchstarten. Was war passiert?

Ralf Benkö: "1,80 Meter ist in der Fliegerei gar nichts"

Der Vorab-Bericht der Flugunfallbehörde BEA zeigt, wie „aero.de“ zuerst berichtet: Die Situation war extrem knapp. Statt etwa 90 Meter zwischen Flugzeug und Boden sind es im Fall dieses Airbus A320 der Fluggesellschaft Airhub Airlines weniger als zwei Meter.

RTL-Luftfahrtexperte Ralf Benkö bestätigt: „Den von den Unfallermittlern veröffentlichten Daten nach war das möglicherweise nur haarscharf an einem Crash vorbei“. Denn „1,80 Meter sind in der Fliegerei quasi gar nichts. Da muss nur eine Windböe kommen und dann sinkt oder steigt ein Flugzeug vielleicht um ein paar Meter.“

Doch wie konnte es soweit kommen?

Ein falscher Wert - und niemandem fällt er auf

Im Landeanflug bekommen die Piloten den lokalen Wert des Luftdrucks am Flughafen durchgesagt. Aus diesem Wert, gemessen in Hektopascal, errechnen die Geräte des Airbus dann die exakte Höhe des Flugzeugs.

Und genau hier kam es zum ersten Fehler, wie die Auflistung der Flugunfallbehörde zeigt. Durchgegeben hat der Fluglotse „1011 Hektopascal“ als Bodendruckwert, richtig gewesen wären „1001 Hektopascal.“ Um folgenschwere Fehler zu vermeiden, bestätigten die Piloten dann standardmäßig diesen Wert, lesen ihn also dem Fluglotsen erneut vor. Doch auch jetzt fällt der fehlerhafte Wert nicht auf.

Umgerechnet auf die Höhenmeter macht das den entscheidenden Unterschied von knapp 90 Metern – zu niedrig!

Ralf Benkö erklärt, dass es eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen sein muss, denn das Instrumenten-Landesystem, das die Piloten normalerweise bei schlechtem Wetter sicher zum Aufsetzpunkt führt, war ausgefallen. Und: Über Funk hatten andere Piloten den richtigen Wert für den Luftdruck korrekt genannt, obwohl der Fluglotse auch ihnen erst den falschen Wert genannt hatte. Doch auch das war nicht aufgefallen.

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Weniger als zwei Meter von der Katastrophe entfernt

Aus Flugdaten des Berichts liest Benkö, dass das Wetter im Moment des Beinahe-Crashs im Anflugsektor besonders schlecht ist. Regen und Wolken erschweren den Piloten die Sicht. Sie sehen also nicht, wie nah sie und die 172 Passagiere und sechs Crewmitglieder an Bord dem Boden tatsächlich sind.

Dann geschehen zwei Dinge fast gleichzeitig – auf dem Radarschirm des Fluglotsen wird ein automatischer Alarm ausgelöst. Der warnt: eine Kollision mit dem Boden könnte bevorstehen. Und: die Piloten merken, dass sie für diesen Anflug durch das Wetter immer noch zu wenig sehen, sie wollen durchstarten. In diesem Moment sind es noch knapp 1,5 Kilometer bis zur rettenden Landebahn. Als die Piloten nun beginnen durchzustarten, ist die Maschine dem Radar-Höhenmesser an Bord nach aber nur noch etwa 1,80 Meter über dem Boden. Erst in diesem Moment haben die Passagiere vermutlich gemerkt, dass etwas nicht stimmt.

„Wenn der Durchstartvorgang ausgelöst wird und es lauter wird, weil die Triebwerke hochfahren und die Nase der Maschine sich hebt – dann bekommen die Passagiere das mit“, erklärt Ralf Benkö. Ob sie dabei durch die Fenster den Boden sehen konnten, ist nicht bekannt.

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Maschine landet sicher im zweiten Anlauf

Das Skurrile: Beim zweiten Landeversuch passiert genau der gleiche Fehler wieder! Bei diesem Versuch hat die Crew allerdings Sichtkontakt zur Landebahn, korrigiert die Höhe und landet die Maschine dann sicher.

Die französische Flugunfallbehörde BEA stuft den Vorfall als „schwere Störung“ ein. Laut Ralf Benkö sorgen normalerweise zahlreiche Wiederholungen und Überprüfungen der wichtigen Werte dafür, dass solche Fehler auffallen sollten. Normal wäre dort auch ein zusätzliches Instrumenten-Landesystem genutzt worden, das Höhenabweichungen an Bord direkt angezeigt hätte. Zum Glück haben ein separates Warnsystem des Lotsen und eine Regel für Piloten, wann sie bei schlechter Sicht einen Anflug abbrechen müssen, 178 Menschen an Bord in letzter Sekunde gerettet.

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