EU-Sanktionen gegen Russland

Warum ein Ölembargo für Ostdeutschland zum Problem werden könnte

Auch wenn Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Öl seit Beginn des Ukraine-Kriegs stark zurückgefahren hat: Für den Osten gilt das nur bedingt. Vor allem die PCK-Raffinerie in Schwedt ist vorerst weiter komplett von Öl aus Russland abhängig. Bei einem Ölembargo hätte das Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher: An der Tankstelle und auf dem Konto. Diese Punkte könnten jetzt wichtig werden.

1. Tankstellen in Ostdeutschland abhängig von Sprit aus Leuna und Schwedt

In Berlin und Brandenburg fahren nach Angaben von PCK neun von zehn Autos mit Kraftstoff aus der Raffinerie im brandenburgischen Schwedt. Auch der Flughafen BER bezieht von dort Kerosin. „Ein Ausfall der Raffinerie in Schwedt würden zu einer schweren Versorgungslücke führen“, warnt Ökonom Jens Südekum gegenüber RTL.

Die Raffinerie Leuna in Sachsen-Anhalt beliefert rund 1300 Tankstellen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Zudem sind die ostdeutschen Raffinerieprodukte Schmierstoff für die chemisch-pharmazeutische Industrie, die laut Branchenverband rund 54.500 Menschen in 160 Unternehmen beschäftigt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schreibt denn auch im jüngsten Fortschrittsbericht Energiesicherheit: „Insbesondere in Ostdeutschland ist dieser Prozess, gänzlich von russischem Öl unabhängig zu werden, anspruchsvoll.“

2. Leuna sucht bereits andere Öl-Quellen

Der Betreiber der Leuna-Raffinerie, der Konzern Totalenergies, hat bereits im März entschieden, bis zum Jahresende den Bezug von russischem Öl einzustellen. „Ende März ist ein Versorgungsvertrag mit russischem Rohöl zu Ende gegangen“, teilte das Unternehmen mit. „Die ersten Cargos mit Alternativversorgung aus nicht-russischem Rohöl werden derzeit entladen.“ Man sei in der Umstellungsphase.

Der Mineralölverband Fuels und Energie bestätigt: „Für den Raffineriestandort Leuna zeichnet sich ein Weiterbetrieb über eine Pipeline vom Seehafen Danzig ab, allerdings nicht in bisherigem Umfang.“ Das Rohöl kommt aus anderen Ländern per Tanker ins polnische Danzig und wird dort über die Plock-Pipeline nach Westen transportiert. Alternative Lieferländer sind zum Beispiel Großbritannien, Norwegen, Kasachstan, Libyen, Nigeria und die USA.

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3. Schwedt gehört zum russischen Öl-Konzern Rosneft

Der Anteil russischen Öls am deutschen Ölverbrauch ist seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine innerhalb weniger Wochen von 35 auf 12 Prozent gesunken. „Die 12 Prozent, die jetzt noch übrig sind, das ist eigentlich fast nur noch die Raffinerie in Schwedt. Für die muss eine Lösung gefunden werden“, erklärt Ökonom Jens Südekum gegenüber RTL. Die PCK-Raffinerie Schwedt hat laut Bundeswirtschaftsminister Habeck wegen des russischen Mehrheitseigners Rosneft bislang allerdings kein Interesse an einer Abkehr von russischem Öl. Die Bundesregierung erwägt daher als letztes Mittel eine Enteignung.

Die Belieferung von Schwedt wäre laut Fuels und Energie auch mit Tankeröl aus anderen Ländern über eine Pipeline vom Seehafen Rostock möglich - allerdings mangels Kapazität nur zum Teil. „Ob das für einen dauerhaften Betrieb ausreicht, wird derzeit geprüft“, erklärt der Verband. Nach einer Studie für Greenpeace könnte der Bezugsweg über Rostock 60 Prozent des Bedarfs in Schwedt decken, bei einer Erweiterung der Pipeline bis zu 90 Prozent. Auch für Schwedt könnten wohl Mengen über den Danziger Hafen dazukommen. Derzeit laufen Gespräche zwischen dem Bund, Brandenburg und Shell Deutschland, wie die Raffinerie am Netz bleiben kann auch ohne russisches Öl.

Sowohl für Schwedt als auch für Leuna gilt: Die Anlagen sind auf die bisher bezogene Sorte sibirischen Öls kalibriert. Sie müssten entweder neu eingestellt werden, was eine Produktionspause bedeuten würde. Oder man müsste aus neuen Bezugsquellen eine Mischung herstellen, die dem bisher bezogenen russischen Öl ähnelt, so erklärt es der Branchenverband.

4. Ostdeutsche Tankstellen müssen vom Westen mitversorgt werden

Fuels und Energie geht davon aus, dass beide ostdeutschen Raffinerien auch ohne russisches Öl zumindest in Teillast weiter betrieben werden können. In dem Fall könne „die Tankstellenversorgung bundesweit inklusive Ostdeutschland aufrechterhalten werden“. Von westdeutschen Raffinerien könnten Fertigprodukte wie Benzin und Heizöl über Kesselwagen, Lastwagen oder Schiffe nach Osten gebracht werden. Überbrückungshilfen aus der Rohölreserve in Niedersachsen könnten über Wilhelmshaven per Tanker nach Rostock und Danzig gehen. Die Greenpeace-Studie des Energiefachmanns Steffen Bukold beschreibt ein ähnliches Szenario.

5. So teuer wird das Ölembargo für Deutschland

Von einem Öl-Embargo könnte insgesamt auf dem Weltmarkt das Signal ausgehen: Achtung, knappes Gut, Preise hoch! Ob und inwieweit das passiert, wagen aber auch Experten nicht vorherzusagen, weil immer auch Faktoren wie zum Beispiel der Dollarkurs im Spiel sind. Allerdings ließ die Empfehlung der EU-Kommison für ein Öl-Embargo gegen Russland bereits den Ölpreis weiter steigen. Rohöl der Sorte Brent verteuert sich um bis zu 2,8 Prozent auf 107,87 Dollar pro Barrel. Der Preis für US-Öl WTI steigt um bis zu 2,9 Prozent auf 105,39 Dollar pro Barrel. Der Anstieg

Speziell in Ostdeutschland könnten Kostenfaktoren dazu kommen. Der Ökonom Jens Südekum erläuterte es zuletzt so: Russisches Rohöl ist mangels Nachfrage seit Kriegsbeginn deutlich billiger als Öl aus anderen Quellen, das nun viele haben wollen. Nun müssen vor allem in Ostdeutschland große Mengen zu höheren Preisen ersetzt werden. Zudem würden Transporte von Rohöl und Ölprodukten von West nach Ost zusätzliches Geld kosten, ebenso die Umstellung der ostdeutschen Raffinerien. All das könnte nach Einschätzung von Experten dazu führen, dass die Preise an der Zapfsäule im Osten noch einige Cent höher ausfallen als im Westen. Für den Ökonom Südekum ist das aber kein Drama. Allerdings warnt er vor anderen Faktoren: „Man muss aufpassen, dass an der Zapfsäule nicht wieder abkassiert wird. Wir haben das beim letzten Mal erlebt, als der Ölpreis so angestiegen ist, dass die Benzinpreise viel stärker gestiegen sind, als es eigentlich gerechtfertig gewesen wäre.“

Es wäre dann die Aufgabe von Wirtschaftsminister Habeck darauf zu achten, dass nicht ausgerechnet Rosneft dicke Gewinne einfährt – auf Kosten von Autofahrerinnen und Autofahrer in Ostdeutschland. (dpa/aze)

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