Es kommen wieder mehr Geflüchtete nach Deutschland
Beispiel Korschenbroich zeigt: Vor diesen Herausforderungen stehen die Kommunen jetzt
Manche vergleichen die Situation jetzt mit der zu Hochzeiten der Flüchtlingskrise 2015/2016. Tatsächlich haben auch schon mehr als 1,1 Millionen Menschen dieses Jahr Zuflucht in Deutschland gesucht. Der Unterschied ist: Der allergrößte Teil der Menschen flieht vor dem Krieg in der Ukraine. Städte und Kommunen fürchten einen weiteren, großen Ansturm im Winter.
Unser Autor Lukas Wilhelm hat Korschenbroich am Niederrhein besucht und sich die Situation der kleinen Stadt angeschaut. Korschenbroich zeigt beispielhaft, vor welchen Herausforderungen die Kommunen im Land nun stehen.
"Diese weißen Planen hier, das erinnert mich an Lesbos"
Ein paar Tage noch, dann ist die erste Turnhalle in Korschenbroich am Niederrhein überfüllt. Für 102 Geflüchtete ist in der Halle Platz, fast alle Schlaf- und Wohnplätze sind mittlerweile belegt. Hier leben Ukrainerinnen und Ukrainer, aber auch wieder mehr Flüchtlinge aus Afghanistan.
Die Familie von Durmohammad Khan ist vor sieben Monaten als Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Zuvor haben sie drei Jahre in den griechischen Flüchtlingscamps auf Lesbos gelebt. Eine Erfahrung, die sie traumatisiert hat, berichtet die Mutter Bibi Robie Dinmohammad unter Tränen. „Wenn ich hier diese weißen Planen sehe, dann will ich hier raus, das erinnert mich an Lesbos“, sagt sie.
Zwei Wünsche stehen für die Familie an erster Stelle. Sie wollen raus aus der Turnhalle - umziehen in eine eigene Wohnung hier in Deutschland. Und sie wollen, dass ihre Kinder endlich zur Schule gehen können. In Griechenland und zuvor im Iran war das nicht möglich.
Wohnungen sind in Korschenbroich schwer zu finden
Eine Wohnung für Geflüchtete in Korschenbroich finden, ist fast unmöglich geworden. Die Stadt bemüht sich und mietet Wohnungen an, aber das Angebot ist stark begrenzt, erklärt die Leiterin des Sozialamtes, Petra Köhnen. „Wir sind eine Stadt mit wenigen Mietwohnungen, hier gibt es vor allem Eigenheime, insofern sind Wohnungen nur schwer zu finden“, sagt sie.
Dass sie den Flüchtlingen im Moment nichts anderes anbieten kann, als ein paar wenige Quadratmeter in einer Turnhalle, frustriert Köhnen sichtlich. „Das ist schon belastend, dieses Gefühl zu haben, es kommen wieder sehr viele Menschen zu uns und die Perspektiven hier in der Stadt sind nicht so, wie man sich das wünschen würde.“
Der Platzmangel in Korschenbroich wird durch eine weitere Auflage verstärkt. Die meisten Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan haben eine sogenannte Wohnsitzauflage. Das bedeutet, sie dürfen nur in der Kommune nach Wohnungen suchen, der sie zugeteilt wurden. Obwohl es in Korschenbroich nur noch Platz in Turnhallen gibt, können sie nicht ins benachbarte Mönchengladbach oder Neuss umziehen.
Der Sportverein muss die Turnhalle räumen
Für die Stadt Korschenbroich bedeutet das, nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen. Eine zweite Turnhalle soll nun im Stadtteil Glehn zur Flüchtlingsunterkunft umgebaut werden. Weichen muss der örtliche Turnverein, in dem jeder dritte der rund 6.000 Glehner Mitglied ist. Den Auszug aus der Turnhalle muss der Verein selbst organisieren.
Melanie Schmuck ist die Vorsitzende des Vereins. Die Aufforderung der Stadt, die Halle zu räumen, kam für sie überraschend: „Man fühlt sich ohnmächtig. Man wird nicht gefragt, man kann nichts mit einbringen, man wird vor vollendete Tatsachen gestellt, egal wie es einem geht, das ist kein schönes Gefühl“, sagt sie.
Die Sportkurse konnte der Verein mit viel Mühe auf andere Hallen verlegen, solange die nicht auch als Unterkünfte umfunktioniert werden. Trotz des Ärgers über die Situation, zeigt sich der Turnverein offen für die neuen Mitbürger in der Stadt. Flüchtlinge dürfen jederzeit mitturnen, erklärt Schmuck. Ein Mitgliedsbeitrag entfällt für sie.
Etwa 20 Geflüchtete kommen pro Woche nach Korschenbroich
Damit die Stimmung in der Stadt nicht kippt, wird die Stadt aktiv und fordert Bund und Länder auf, mehr für die Kommunen zu leisten. Etwa 20 Geflüchtete kommen pro Woche nach Korschenbroich, rund 870 sind es schon. Thomas Dückers, der Stadtkämmerer von Korschenbroich warnt: „Wenn ich hier die reinen Zahlen vergleiche, sind wir schon über 2015.“ Bund und Länder seien jetzt gefordert, die Kommunen zu unterstützen, sagt er. Nicht nur finanziell „sondern auch in der Frage wie viele Menschen noch zu uns kommen“.
Für die Menschen, die bereits in den Turnhallen angekommen sind, wird sich die Wohnungssuche weiterhin schwierig gestalten. Manche Flüchtlinge suchen seit 2015 in Korschenbroich vergebens nach den eigenen vier Wänden. Dass die Kinder von Durmohammad Khan bald zur Schule gehen können, das ist jedoch gesichert.
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