Schulweg-Wahnsinn in Mecklenburg-Vorpommern
Diese Kinder fahren täglich drei Stunden Bus

Die Odyssee für die Schülerinnen und Schüler ab der siebten Klasse startet morgens um 6:12 Uhr an der Bushaltestelle in Millienhagen in Mecklenburg-Vorpommern. 48 Kinder aus der Gemeinde Franzburg-Richtenberg sitzen jeden Tag fast drei Stunden im Bus, um ihr Gymnasium in Grimmen zu erreichen. Eine absolute Zumutung, finden die Eltern. Dabei könnte der Schulweg deutlich kürzer sein. Mehrere Familien hätten sich bereits gegen das Gymnasium entschieden. Ein Junge hat sogar die Schule gewechselt, weil ihn die lange Fahrt zu sehr belastet hat.
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Achtklässler verlässt Schule wegen langer Busfahrt - „Er war nicht mehr fröhlich."
„Er hatte ständig Kopfschmerzen, wurde immer ruhiger“, erzählt Kerstin S. über ihren Sohn. Bis zum Herbst 2022 besuchte er das Gymnasium in Grimmen in der Nähe von Stralsund. Zwei Mal in der Woche hatte der Achtklässler bis 15:30 Uhr Schule. Weil der Bus 1,5 Stunden bis nach Hause fährt, kam er erst um 17 Uhr an. Eigentlich startete für ihn dann schon das Fußballtraining, zu dem er nicht mehr hingehen konnte. Es standen schließlich auch noch Hausaufgaben auf dem Programm. „Er war nicht mehr fröhlich. Es drehte sich nur noch alles um die wenige Zeit, die er zu Hause hatte“, berichtet seine Mutter RTL.
Trotz guter Noten auf dem Gymnasium, hat sich die Familie entschieden, dass ihr Sohn auf die regionale Schule wechselt, auf der er einen Realschulabschluss machen kann. Danach kann er auf einer anderen Schule noch ein Fachabitur anschließen. „Der gradlinige Weg ist ihm jetzt versperrt. Aber uns ging das psychische Wohlbefinden für ihn vor. Es nutzt ja nichts, wenn er auf dem Gymnasium ist, aber ein psychisches Wrack ist“, sagt Mutter Kerstin S. Jetzt hat der Achtklässler einen deutlich kürzeren Schulweg – 30 Minuten hin, 30 Minuten zurück. „Mama, das war die beste Entscheidung.“ sagte Kerstin S.’ Sohn zwei Wochen nach dem Schulwechsel zu ihr. Auf der neuen Schule blühe ihr Sohn jetzt wieder auf.
Über 50 Kilometer Strecke zur Schule
Weil das Gymnasium in Franzburg 2008 geschossen wurde, ist das in Grimmen das nächste im Einzugsgebiet der Gemeinde. Der Bus fährt momentan durch verschiedene Orte, von Millienhagen über Koitenhagen, Steinfeld, Oebeliz, Katzenow, Hugoldsdorf, Landsdorf zur Haltestelle Tribsees. Mehr als eine Stunde ist bis hier hin schon vergangen. In Triebsees müssen die Kinder umsteigen und auf ihren Anschlussbus warten. Dann gehe es weiter nach Grimmen, wo sie gegen 7:38 Uhr ankommen. Eine Strecke von insgesamt über 50 Kilometern und knapp 1,5 Stunden, berichten die Eltern. Die direkte Strecke von Millienhagen nach Grimmen würde etwa 27 Kilometer betragen. Die Fahrzeit könnte den Eltern zufolge also fast halbiert werden, wenn es einen Bus geben würde, der den direkten Weg nimmt. Kinder aus der Gemeinde Lindholz würden sogar erst in die Gegenrichtung fahren, um in Triebsees in den Bus umzusteigen, berichten die Eltern aus Millienhagen.
Besserung voraussichtlich erst ab 2024
Um die Situation der Kinder zu verbessern, hat die Initiative „Aktion Schülerbeförderung“ einen Elternbrief geschrieben, 629 Unterschriften gesammelt und beim Mobilitätsausschuss des Landkreises einen Antrag auf Verkürzung der Fahrzeiten gestellt. Inzwischen sind die Eltern auch mit der zuständigen Verkehrsgesellschaft Vorpommern-Rügen (VVR) im Gespräch, um eine Lösung zu finden. „Wir wurden auf 2024 vertröstet“, erklärt Diana Nurkewitz, deren Tochter jeden Morgen die weite Busfahrt auf sich nimmt. Es fehlen Busfahrer und der Streckenplan könnte nicht kurzfristig geändert werden, teilt der Landkreis RTL mit. Für Ausweichrouten seien zusätzliche Kapazitäten notwendig, bezieht sich die Ostsee-Zeitung auf die VVR.
„Das hat auch was mit Chancengleichheit zu tun. Warum sollte mein Kind auf diesen Abschluss verzichten, wenn es das Potential ist“, ärgert sich Mutter Diana Nurkewitz. Trotzdem ist sie zuversichtlich, dass sie eine Lösung mit der VVR finden, da der Fahrplan durch das 49-Euro-Ticket ohnehin überarbeitet werden soll, wurde ihr mitgeteilt. Es besteht also Hoffnung, dass die meisten Kinder aus Franzburg-Richtenberg in ihrer Schullaufbahn doch noch einen kürzeren Fahrtweg bekommen und mehr Zeit für ihre Freizeit am Nachmittag bleibt.
Welche Kinder den längsten Schulweg der Welt haben, lesen Sie hier.