„Studienlage dafür ist – höflich gesagt – grottenschlecht"

Blutwäsche bei Long Covid? Hirschhausens Selbst-Versuch im TV ruft Kritiker auf den Plan

ARD/WDR HIRSCHHAUSEN UND LONG-COVID, "Die Pandemie der Unbehandelten", am Montag (19.09.22) um 20:15 Uhr im ERSTEN.
Nach einer Corona-Infektion lässt Eckart von Hirschhause mit Hilfe der HELP-Apherese sein Blut filtern.
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In der ARD-Sendung "Long-Covid - die Pandemie der Unbehandelten" unterzieht sich TV-Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen einer Blutwäsche. Experten sehen das Verfahren kritisch.
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von Vera Dünnwald

Bereits zum vierten Mal beschäftigte sich Eckart von Hirschhausen im TV mit dem Coronavirus, Titel seiner ARD-Dokumentation, die am 17. Oktober ausgestrahlt wurde: „Long-Covid – die Pandemie der Unbehandelten“. Dabei sollte die Aufmerksamkeit auf all jene Menschen gelenkt werden, die nach einer Covid-19-Infektion mit diversen Symptomen und Langzeitfolgen kämpfen, für die es bislang keine adäquaten Behandlungs- oder Therapiemöglichkeiten gibt. Oder etwa doch?
Eine Methode – die Blutreinigung – wurde in der Doku vorgestellt und prompt im TV von Hirschhausen höchstpersönlich ausprobiert. Warum genau das mehreren Experten missfällt, hat uns Allgemeinmediziner und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht erklärt.

Was macht eine Behandlung von Long Covid so problematisch?

Belastende Spätfolgen nach einer Corona-Infektion zu haben und keiner kann helfen – ein absolutes Horror-Szenario. Für einige Menschen ist das jedoch bittere Realität. Das Problem dabei ist vor allem dem Faktor Zeit geschuldet: „Wir können Long Covid noch gar nicht definieren. Was genau hat es damit auf sich? Was gehört dazu, was nicht? Wodurch wird es ausgelöst? Das müssten wir eigentlich alles genau festlegen, denn es reicht nicht, wenn jemand sagt, er habe drei Monate oder länger nach der Corona-Erkrankung noch mit Symptomen zu tun“, erklärt Dr. Specht im RTL-Interview.

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„Erst einmal müsste man sagen können, dass eben genau diese Symptome durch eine Covid-19-Infektion ausgelöst wurden. Und zwar nicht psychisch, sondern physisch. Dass es das Virus oder die Reaktion des Körpers auf das Virus war, das am Ende für die Symptome verantwortlich ist. Und da wird es schon sehr dünn.“ Was jedoch nicht bedeute, dass die Betroffenen nicht leiden oder therapiert werden müssen, so der Mediziner. Die essenzielle Frage sei jedoch, wie die benötigte Therapie in Zukunft aussehen könnte: „Sicher wissen wir bereits, dass alle Beschwerden, die als Long Covid gelistet werden, nicht alle dieselbe Ursache haben. Doch die muss erst einmal gefunden werden.“

An diesem Punkt kommt Eckart von Hirschhausens neueste Dokumentation ins Spiel: Als sich der TV-Arzt und Moderator während der Dreharbeiten von „Long-Covid – die Pandemie der Unbehandelten“ mit dem Coronavirus infiziert, lässt er eine sogenannte Lipidapherese, also eine Blutreinigung, an sich selbst durchführen. Außerdem spricht er mit Long-Covid-Patienten, denen dieses Verfahren bereits geholfen haben soll.

Experten – darunter auch Dr. Specht – sehen diese Szenen der Doku besonders kritisch. Denn: „Die Studienlage dafür ist – höflich gesagt – grottenschlecht.“

Dr. Specht: "Verfahren der Blutreinigung bei Long Covid hat keinerlei Evidenz"

Allgemeinmediziner und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht
Allgemeinmediziner und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht hält nicht viel davon, die Blutwäsche bei Long-Covid-Betroffenen einzusetzen.
RTL

Eigentlich sei die Blutreinigung beziehungsweise Blutwäsche ein Verfahren, das entwickelt wurde, „um Menschen mit einer – meist angeborenen – Hyperlipidämie zu helfen. Die Betroffenen haben zu viel Cholesterin, also Fett, in ihrem Blut, was mithilfe der Blutreinigung herausgefiltert werden soll“, erklärt Dr. Specht. Wenn eine entsprechende Diagnose vorliegt, werde dies von den Krankenkassen bezahlt. Tatsächlich ist die Durchführung einer Lipidapherese „ganz schön teuer“, so der Experte. Eine einzige Sitzung liege bei etwa 3.000 Euro.

Die vermeintliche Revolution im Zusammenhang mit Long Covid: Es sollen „Antikörper, die Autoantikörper sein könnten, aus dem Blutplasma herausgefiltert werden – und nicht das Cholesterin.“ Denn man gehe davon aus, dass diese Autoantikörper auf die Long-Covid-Symptome zurückzuführen sind, erklärt der Allgemeinmediziner.

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Eine Sache sieht Dr. Specht dabei besonders kritisch: „Wenn es wirklich Autoantikörper sind und wenn ich diese dann wirklich mithilfe der Blutreinigung herausfiltern kann, dann betrifft das sicherlich nicht die Beschwerden aller Menschen, die jetzt unter dem Label Long Covid laufen.“

Und fast noch wichtiger: „Es gibt außerdem gar keinen Nachweis darüber, dass die Blutreinigung bei Long Covid wirklich funktioniert.“ Vor allen Dingen, weil „die ‘bösen’ Autoantikörper immer wieder kommen. Wenn man an einer Sitzung für rund 3.000 teilnimmt, ist es damit nicht getan“, erklärt der Mediziner. Seine Bedenken: Betroffene, die verzweifelt nach einer Lösung für ihre Beschwerden suchen, könnten auf diese Weise 20.000 bis 30.000 Euro für ein Therapieverfahren ausgeben, das keinerlei Evidenz habe. Kliniken, die das Verfahren kommerziell anbieten, würden das ausnutzen.

Daneben sei der Placebo-Effekt bei der Blutreinigung sehr hoch, merkt Dr. Specht weiter an.

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Man fühlt sich schlecht, lässt ein Mal das Blut durch die Maschine laufen und das Giftige rausholen, was dem Körper schadet, bekommt sauberes Blut zurück und alles wird gut? So einfach sei das Verfahren der Blutwäsche bei Long-Covid-Patienten nicht, erklärt Dr. Specht.

Auch Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Berliner Charité, die zu Long Covid forscht, sagte gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“, dass ihr die Doku „wirklich Bauchweh“ mache. Die Behandlung sei für Menschen mit zu hohen Blutfettwerten entwickelt worden. Zwar besteh die Möglichkeit, dass auch kleine Gerinnsel damit entfernt werden können, aber es gebe „bislang keine sicheren Belege, dass sie Patienten mit Long Covid hilft.“

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Für Jan Kielstein, Chefarzt für Innere Medizin und Blutreinigungsverfahren am Städtischen Klinikum Braunschweig, sei es laut „SZ“ zudem irreführend, dass in der Dokumentation mit Eckart von Hirschhausen nur die Erfolge der Behandlung gezeigt werden. Laut „Focus“ weist der WDR Kritik von sich, wird mit den Worten zitiert: „Der Film empfiehlt zu keinem Zeitpunkt eine Therapie.“

Was in jedem Fall deutlich wird: Die effektive Behandlung von Long-Covid-Patienten steht noch am Anfang und bedarf noch weiterer Forschung, um am Ende allen Betroffenen gute Therapiemöglichkeiten zu ermöglichen.