Dresdnerin (35) täuschte die Polizei - ihre Kinderfänger-Geschichte war erlogen

Die Sucht nach Aufmerksamkeit -darum denken Menschen sich Verbrechen aus

Dr. Dirk Baumeier (53) ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut.
Dr. Dirk Baumeier (53) ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut und erklärt das Phänomen.
RTL
von Luke Röscher und Jan-Eric Kroeger

Sie dachte sich alles nur aus - aber warum?
Am Montagmorgen (13.11.) will eine 35-Jährige gesehen haben, wie ein Mann in Dresden-Prohlis ein Mädchen bedrängt und verfolgt. Bis in den Abend suchen 180 Polizeikräfte nach dem angeblichen Täter und seinem Opfer – bis sich herausstellt: Die „Zeugin“ hat gelogen. Der Psychologe Dr. Dirk Baumeier erklärt bei RTL, weshalb manche Menschen sich solche Vorfälle ausdenken.
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Polizei prüft Ermittlungsmöglichkeiten gegen „Zeugin“

„Im Rahmen der Ermittlungen ergaben sich Zweifel an den Aussagen der Hinweisgeberin. Letztlich räumte die Frau ein, dass der von ihr geschilderte Sachverhalt nicht der Wahrheit entspricht. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die 35-Jährige wird geprüft“, teilt Marko Laske, Sprecher der Polizei Dresden, am Montagabend mit. Ihre Lügen-Geschichte könnte der angeblichen Zeugin des Übergriffs nun also selbst teuer zu Stehen kommen. Was aber verleitet jemanden zu so einem Handeln?

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„Die Währung, in der heute bezahlt wird, ist Aufmerksamkeit. Aus psychologischer Sicht sprechen wir nach dem Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit. Die Menschen möchten also das Gefühl haben, dass ihre Handlungen Wirkungen in der Außenwelt erzeugen. Und wenn ich in meinem sonstigen Leben nicht so viel Aufmerksamkeit auf mich ziehen kann, muss ich mir zur Not etwas ausdenken“, lautet die Erklärung von Experte Baumeier bei RTL. „So etwas gibt es bei jedem Verbrechen. Sobald also etwas passiert, gibt es Menschen, die sagen: ‘Mir ist das auch passiert’“, so Baumeier weiter.

Psychologe Baumeier klärt auf: Übertriebene Empathie kann Ursache sein

Eine Auslegung, die zu einem Übergriff passt, der vergangenen Freitag (10. November) im Dresdner Süden passiert sein soll. Dort soll ein Mann einer Zwölfjährigen den Schulranzen heruntergerissen, danach versucht haben, sie in ein Waldstück zu ziehen. Hier dauern die Ermittlungen weiter an. Der Täter soll etwa 1,85 Meter groß und schwarz gekleidet gewesen sein – ebenso wie der angebliche Täter am Montagmorgen. Zufall? Baumeiers Erklärungen nach nicht.

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„Manche Menschen denken und fühlen sich so stark in die Opfer von Verbrechen, dass sie glauben, ebenfalls Opfer zu sein. Oder zumindest vergleichbare Taten bezeugt zu haben“, sagt er. Aus der psychologischen Forschung sei bekannt, dass Spiegel-Neuronen im Gerhin für Prozesse sorgen, die körperliche Reaktionen beim Anblick oder der Vorstellung von Gewalttaten hervorrufen. Und: „Wenn etwas Schlimmes passiert, wird die Bevölkerung in Unruhe versetzt. Und es gibt Menschen, die das noch verstärken wollen, um das Gefühl nach außen zu tragen, alles sei viel schlimmer als in der Realität“, erklärt Baumeier. Den meisten sei dabei bewusst, dass sie logen, so der Psychotherapeut weiter. „Aber manche Menschen fühlen sich so hinein, dass sie denken, selbst so etwas erlebt oder beobachtet zu haben.“ Die menschliche Empathie führe demnach bei manchen zu überschießenden Reaktionen.

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Doch wie auch in Dresden, kommen Ermittler falschen Behauptungen oftmals durch Befragungstechniken auf die Schliche. „In der Regel unterschätzen Menschen die Qualität der Ermittlungsbehörden. Sie glauben, durch Behauptungen bleiben sie tagelang im Gespräch, dabei verwickeln sie sich häufig in Widersprüche. Das war auch hier in Dresden der Fall“, sagt Baumeier. Grundsätzlich gelte die Regel: Je detailreicher Menschen Erlebtes erzählen, desto wahrscheinlicher sei, dass es wahr ist. Oftmals haben Lügner dabei nicht mal ein schlechtes Gewissen, so der Experte. „Sie erleben einen Auftrieb, denn plötzlich sind sie interessant. Das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit ist so groß, dass sie bereit sind, das Risiko der Aufdeckung in Kauf zu nehmen.“

Die Konsequenzen daraus blieben demnach allerdings häufig völlig unbemerkt. So dürfte auch die 35-Jährige aus Dresden nicht geahnt haben, dass die Polizei nun sie im Visier statt eines angeblichen Kinderfängers hat.