Wie Ärzte die komplexe Diagnose stellenHirntod: Was bedeutet das eigentlich - und kann man sich davon erholen?

ARCHIV - Eine Intensivschwester kümmert sich am 06.12.2012 in Hamburg auf der Intensivstation des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) um einen Patienten. Foto: Angelika Warmuth/dpa (zu dpa: "Vier von fünf Patienten würden ihr Krankenhaus weiterempfehlen" vom 18.12.2012)  +++(c) dpa - Bildfunk+++
Hirntot oder nicht? Ärzte müssen diese Frage durch ein aufwendiges Verfahren klären. (Symbolbild)

Ist der Patient tot oder nicht? Diese Frage stellt sich bei der Diagnose Hirntod immer wieder aufs Neue und ist selbst für Ärzte nicht so einfach zu beantworten. Am Donnerstag wurde eine Radfahrerin, die in Berlin von einem Betonmischer überrollt wurde, für hirntot erklärt. Zunächst hatte die Polizei fälschlicherweise mitgeteilt, die 44-Jährige sei verstorben. Später korrigierte ein Sprecher diese Angaben und teilte mit, die Frau werde weiterhin intensivmedizinisch behandelt. Was also bedeutet die Diagnose genau? Ab wann gilt man als hirntot? Wie stellen Ärzte die Diagnose? Und gibt es überhaupt eine Chance, dass man nach dem Hirntod wieder aufwacht?

Hirntote können lebendig wirken

Merkwürdig, aber wahr: Bis heute ist der Tod weder im Bürgerlichen Recht noch im Strafrecht klar definiert. Bis 1952 galt der „irreversible Kreislaufstillstand“ - also der Ausfall von Herz und Lungen – als Todeskriterium Nummer eins. Das änderte sich mit der Erfindung der Herz-Lungenmaschine im Jahr 1952. Denn seitdem ist es möglich, den Herzschlag und die Atmung aufrechtzuerhalten, obwohl der Organismus aus eigener Kraft nicht mehr dazu in der Lage wäre. Mediziner einigten sich daraufhin auf den Hirntod als wichtigstes Todeskriterium.

Mit dem Begriff Hirntod ist der Organtod des Gehirns gemeint – der unumkehrbare Ausfall aller Funktionen in Kleinhirn, Hirnstamm und Großhirn. Das Problem: Der Hirntod ist schwierig zu diagnostizieren. Ob ein Mensch noch atmet oder ob sein Herz noch schlägt, erkennen im Zweifel auch medizinische Laien. Ob das Gehirn noch arbeitet, muss dagegen von Ärzten überprüft werden – denn der Körper eines Hirntoten wirkt teilweise sehr lebendig: Hirntote schwitzen zum Beispiel, haben noch bestimmte Reflexe und scheiden Urin und Kot aus.

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Können Hirntote wieder zum Leben erwachen?

Der Allgemeinarzt Dr. Christoph Specht findet den Begriff „hirntot“ unglücklich gewählt: „Das kann in Menschen die Vorstellung erwecken, es gäbe verschiedene Arten von Toten. Dass man quasi hirntot ist, aber nicht komplett tot“, erläutert der Mediziner im Gespräch mit RTL. Das sei jedoch eine komplett falsche Annahme: „Toter als hirntot geht nicht“, betont Specht.

Wer einmal hirntot sei, könne auch nicht wieder zum Leben erwachen. „Das ist der große Unterschied zum Beispiel zum Herzstillstand. Wenn das Herz stehen bleibt, kann es wieder anfangen zu schlagen. Wenn das Hirn tot ist, dann ist es tot."

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Diagnose "Hirntod" ist an komplexe Prozesse gebunden

Ob ein Patient tatsächlich hirntot ist, müssen in Deutschland zwei speziell ausgebildete Ärzte mit mehrjähriger Erfahrung in der Behandlung von Intensivpatienten unabhängig voneinander nachweisen. Dafür hat die Bundesärztekammer ein dreistufiges Verfahren festgelegt. Die genaue Diagnose ist wichtig, denn der Hirntod ist gleichzeitig die Voraussetzung dafür, dass der Patient als Organspender infrage kommt. Einem Herztoten werden keine Organe entnommen.

Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer müssen für eine Hirntod-Diagnose folgende Bedingungen erfüllt sein:

  1. Es muss eine akute Hirnschädigung vorliegen - beispielsweise durch einen Hirninfarkt, einen Tumor, schwere Verletzungen, eine Sauerstoffunterversorgung oder Entzündungen.

  2. Das Erlöschen der Hirnfunktion darf nicht auf andere Ursachen zurückzuführen sein - wie etwa auf eine Vergiftung oder die dämpfende Wirkung von Medikamenten.

  3. Es müssen bestimmte klinische Symptome für den Hirntod zu erkennen sein: lichtstarre Pupillen, Bewusstlosigkeit ohne Reaktionen auf Schmerzreize (Koma) und ein Ausfall der Spontanatmung.

Die Unumkehrbarkeit des Hirntodes ist erst nachgewiesen, wenn ein zweiter Untersuchungsdurchgang nach einer Wartezeit von zwölf Stunden bis drei Tagen die gleichen Ergebnisse bringt. Alternativ können die Ärzte auch eine apparative Untersuchung als Ergänzung durchführen. Ein sogenanntes Null-Linien-Elektroenzephalogramm (EEG) muss über einen bestimmten Zeitraum die komplette elektrische Inaktivität des Gehirns belegen. Erst dann gilt der Patient offiziell als hirntot.

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Auch die Fehldiagnose Hirntod kommt vor

Dennoch kommt es in seltenen Fällen zu Fehldiagnosen. So geschehen beim Briten Lewis Roberts, der bei einem Unfall schwere Verletzungen erlitt. Im Krankenhaus wurde der 18-Jährige für hirntot erklärt. Seine Familie wollte sich von ihm verabschieden und seine Organe spenden. Doch dann passierte das Unfassbare: Kurz vor der Operation, bei dem ihm Organe entnommen werden sollten, wachte Lewis wieder auf!

Immer wieder mal höre man von solchen Vorfällen – besonders aus dem Ausland, bestätigt auch Dr. Specht im Interview mit RTL. In Deutschland passiere so etwas allerdings nicht, versichert der Medizinexperte, da die Erklärung eines Hirntods hierzulande an besonders scharfe Bedingungen geknüpft sei. Anders als bei uns in Deutschland werde in Großbritannien nur das Stammhirn untersucht. Sobald dieses für tot erklärt wird, folgt darauf die Diagnose Hirntod.