Psychotherapeut mit Einschätzung
Horror-Tat in Hanau: Was treibt Verwandte zu solch einer Tat?

Es ist eine Tragödie, die viele Menschen in Deutschland gerade erschüttert. In Hanau sind am frühen Mittwochmorgen (11. Mai 2022) ein Junge (11) und ein Mädchen (7) ums Leben gekommen. Der Junge wurde in einem Innenhof gefunden, das Mädchen kurze Zeit später leblos auf einem Balkon des Hochhauses. Es soll sich um Geschwister handeln. Zudem gebe es laut Staatsanwaltschaft Anhaltspunkte für einen „familiären Hintergrund“ der Tat. Tatverdächtig ist der Vater der beiden Kinder. Am Samstagnachmittag (14. Mai 2022) bestätigte die Staatsanwaltschaft Hanau die Festnahme des Tatverdächtigen in Frankreich.
Was kann Verwandte zu einer solchen Tat treiben? Psychotherapeut und Trauma-Experte Dr. Christian Lüdke beschreibt im RTL-Gespräch mögliche Täter-Typen aus dem familiären Umfeld.
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Hanau: Laut Bericht soll Vater die Tat angekündigt haben
Auf RTL-Nachfrage zum Aufenthaltsort der Eltern konnte die Polizei noch keine genauen Angaben machen. Laut „Bild“ sollen die Eltern seit geraumer Zeit getrennt gelebt haben, die Mutter befinde sich wohl in einer Psychiatrie. Der Vater soll damit gedroht haben, dass „etwas Schlimmes“ passieren würde.
„Wir wissen, wer in der Wohnung gemeldet ist, aber für genaue Aussagen ist es noch zu früh", erklärte Staatsanwältin Lisa Pohlmann am Mittwoch im RTL-Interview. Polizei und Staatsanwaltschaft sprechen weiterhin von „Anhaltspunkten für einen familiären Hintergrund". Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen „des Verdachts des Mordes“, so eine Sprecherin.
Was kann Familienangehörige zu einer solchen Tat bringen?
Was für Laien unfassbar klingt, ist für Psychotherapeut und Trauma-Experte Dr. Christian Lüdke unter bestimmten Umständen denkbar. „Die häufigsten Fälle, bei denen Kinder in ähnlichen Situationen tot aufgefunden werden, sind „erweiterte Suizide“, wobei das eigentlich Mord ist.
Entweder bringen die Mütter oder die Väter die Kinder um und anschließend töten sie sich selbst. Manchmal springen Mutter oder Vater zusammen von einem hohen Gebäude oder werfen erst die Kinder runter. So ähnlich klingt dieser Fall für mich. Der Junge wird nicht freiwillig gesprungen sein“, beschreibt der Psychotherapeut. Auch die Auffindesituation der Tochter klingt für Lüdke aus der Entfernung nach einer klassischen Beziehungstat.
In 76 Prozent der Fälle seien eigene Familienangehörige für derartige Todesfälle verantwortlich. Bei Müttern sei bei diesem Szenario häufig eine „Bindungsstörung“ zu den Kindern die Ursache. Die betroffenen Mütter hätten keine besondere emotionale Verbindung zu den Kindern herstellen können. In der Partnerschaft hätten die Mütter dann zum Beispiel ebenfalls nicht die Liebe und Zuneigung bekommen, die sie benötigen. Eine Trennungssituation könnte dann zu einer solchen Tat führen. „Die beschriebenen Frauen haben dann oft die Vorstellung, ihre Kinder noch vor dieser schrecklichen Welt zu beschützen. Es kommt ein depressiver Anteil hinzu und sie töten die Kinder in der Vorstellung, sie zu retten“, so Lüdke.
Experte: Bei Vätern sei Tat meist eine Art Racheakt
Bei den Vätern sehe das Motiv und die psychische Störung in solchen Fällen anders aus. „Die Männer beziehungsweise Väter erleben diese Konflikte als Gesichtsverlust. Nach dem Motto: Du hast mich betrogen und für einen anderen Mann verlassen, du hast mein Leben zerstört. Jetzt nehme ich dir das Liebste, was du hattest“, beschreibt Lüdke. Die Kinder zu töten, sei in solchen Fällen eine Art Racheakt.
Andere Familienmitglieder begehen häufig Straftaten, um andere Delikte zu verheimlichen
Im Fall von Hanau verdichten sich nach der Festnahme des Vaters die Hinweise, dass er im Zusammenhang mit dem Tod der beiden Kinder steht. Doch allgemein betrachtet, können auch andere Familienangehörige unter bestimmten Umständen zu Tätern werden, wie der Psychotherapeut weiter schildert.
„Wenn es zum Beispiel der Onkel ist, dann kennen wir Fälle, bei denen die Tatverdächtigen versucht haben, eine andere Straftat zu verdecken. Das geht von häuslicher Gewalt über Missbrauch und Kinderpornografie“, erklärt Lüdke. Dann „müssten“ die Kinder als Zeugen der Straftaten sterben und auf diese Weise zum Schweigen gebracht werden. Denkbar wäre auch, dass die Kinder selbst zuvor zum Opfer von Straftaten geworden sind.
Hanau: Täter versuchte hier erst gar nicht, die Straftat zu verheimlichen
In Bezug auf die Täter-Psychologie sei im Fall von Hanau offenbar gar nicht erst versucht worden, den Tod der Kinder und somit die Straftat zu verheimlichen. Die Kinder seien nicht zugedeckt worden oder dergleichen. „Hier ging es nur darum, die Kinder zu töten. Jetzt muss geklärt werden, aus welchem Grund es zu der schrecklichen Straftat gekommen ist“, so der Psychotherapeut abschließend. (mjä mit dpa)