Gegen das unendliche Jucken
Akupunktur gegen Neurodermitis - kleine Nadeln mit großer Wirkung? Ein Erfahrungsbericht
Elektrisierende Energie zwischen den Nadeln
von Alina Schlagwein
Ich schließe die Augen und es ist, als würde Strom durch meinen Körper fließen. Acht Nadeln stecken in meinem Körper, an meinen Handgelenken, kurz über meinen Knöcheln, in meiner Stirn. Wie sanft elektrisiert liege ich auf der Liege in der Akupunkturpraxis, das Kribbeln in meinem Körper ist mir bis dahin vollkommen unbekannt. In mir wächst die Hoffnung, dass dieses Kribbeln das nie enden wollende Jucken besiegt.
Neurodermitis – Dauerterror der Haut
Das Jucken beschäftigt mich schon fast mein gesamtes Leben. Ich bin Neurodermitis-Patientin und damit eine von 2,5 Millionen Erwachsenen in Deutschland. Zuerst haben nur bestimmte Stellen gejuckt, geschuppt und geblutet, 2019 gibt es quasi keine Stelle mehr an meinem Körper mit intakter Haut. Von der Kopfhaut bis an die Beine bin ich mit juckenden Ausschlägen übersät, meine Klamotten kann ich nur mit dem Fleckenteufel gegen Blut wieder sauber kriegen. Die klassische Therapie mit Kortison-Cremes hilft bei mir schon lange nicht mehr. Auch Chemie-Keulen in Tablettenform von Kortison mit Immunsuppressiva lindern nur kurzfristig die Leiden. Nach vielen Hautarzt-Besuchen suche ich nach alternativer Medizin und stoße auf einen Akupunkturarzt in meiner Nähe.
Lese-Tipp: Was ist Neurodermitis?
Hoffnung in die Nadeln
Auf seiner Homepage stehen 45 Beschwerden, bei denen Akupunktur helfen kann. Neurodermitis ist hier der vorletzte Punkt. Und auch bei den unendlichen Tipps und Tricks, die alle Neurodermitis-Betroffene tagtäglich hören, ist Akupunktur eher selten dabei. Vor allem Schmerzleiden oder Migräne behandeln viele mit der Methode aus der Traditionell Chinesischen Medizin (TCM). Hier übernehmen Krankenkassen sogar die Behandlung. Für meine Behandlung, circa 50 Euro pro Sitzung, muss ich selbst aufkommen.
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Auf den Energiebahnen - wie funktioniert Akupunktur bei Hautleiden?
„In der TCM wird nicht nur die Krankheit, sondern der Mensch als Ganzes betrachtet“, erklärt der behandelnde Arzt Dr. Manfred Geßler. Bereits seit über 30 Jahren lindert er mit Nadeln die Leiden seiner Patientinnen und Patienten. „Wenn die Lebensenergie, das Qi, aus dem Gleichgewicht gerät, entwickelt der eine einen Tinnitus, der andere hat Nervenschmerzen und wieder ein anderer Hautprobleme“.
Diese Energie fließt auf sogenannten Meridianen durch den Körper und ist über 361 Punkte am gesamten Körper zugänglich. Mit dünnen Nadeln soll über diese Punkte die Energie wieder ins Gleichgewicht kommen. „Vor allem bei komplexen Krankheiten wie Neurodermitis steht vor den Nadeln die genaue Analyse der Lebensgewohnheiten“, beschreibt Dr. Geßler den Prozess, „das funktioniert nicht wie ein Kochrezept“. Vor allem die viele Zeit, die er sich zum Zuhören genommen hat, war ich in meinem Ärztemarathon kaum gewohnt.
Nur Hokuspokus? Die Studienlage zu Akupunktur
Die konventionelle Medizin steht der ca. 3.000 Jahre alten Methode der Akupunktur weiter teilweise kritisch gegenüber. Grund dafür: Wissenschaftlich ist die Wirkung von Akupunktur nicht einfach zu beweisen. Zur Wirkung bei Neurodermitis läuft an der Charité in Berlin seit 2018 eine Studie zur Wirksamkeit von Komplementärmedizin bei atopischer Dermatitis.
Prof. Dr. Benno Brinkhaus, Leiter der Studie, erklärt auf Nachfrage: „Viele Patienten mit Neurodermitis nehmen Akupunktur in Anspruch, obwohl es bisher wenig wissenschaftliche Belege dafür gibt, dass diese Behandlungen bei Neurodermitis tatsächlich wirken.“ Diese Unsicherheiten möchte er mit seiner Studie angehen: Mit 120 Betroffenen testet er über mehrere Jahre, wie sich Akupunktur und Osteopathie gegen Juckreiz und Hautentzündungen auswirken. „Mit den Studienergebnissen haben wir zwar keine endgültigen Beweise, wir wissen aber, ob es sich lohnt, weiter zu forschen“, ordnet er ein. Im kommenden Jahr sollen die Ergebnisse der Studie veröffentlicht werden.
Wie weggezaubert – leider nur für kurze Zeit
Doch was haben die Nadelstiche mir gebracht? Nach der ersten Behandlung war der Effekt überraschend groß. Der Juckreiz wurde weniger. Vor allem die offenen Stellen in meinem Gesicht heilten schneller zu als bei den klassischen Behandlungen mit Tabletten und Cremes. Ein Wundermittel? Leider hielt der Zauber nicht für immer. Nach ein paar Wochen wurde die Wirkung schwächer, obwohl ich mich weiter jede Woche behandeln ließ. Die Nadeln kamen nicht mehr gegen die Schwere der Neurodermitis an. Ich landete stationär in einer Hautklinik und spritze seitdem regelmäßig ein neues Medikament mit dem Namen „Dupilumab“, das ganz spezielle Teile des Immunsystems blockiert. Damit hat sich meine Haut zum Großteil normalisiert. Die Wirkung der Nadeln, auch wenn sie nur kurz anhielt, fasziniert mich trotzdem bis heute.