Wilde Achterbahnfahrt endet mit Doppel-Podium
Das erstaunliche Auf-und-Ab-Wochenende von Mercedes

Formel-1-Rennstall Mercedes erlebt ein ganz wildes Wochenende in Frankreich. Zunächst gibt es lange Gesichter. Das vielversprechende Update zündet überhaupt nicht. Im Rennen aber zeigen Lewis Hamilton und George Russell, was möglich ist.
Auf die Enttäuschung folgt das Doppel-Podium
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Was haben der Saudi-GP und der Frankreich-GP gemeinsam? Unglaublich, aber wahr: Beim Rennen in Dschidda im Jahr 2021 holte das Weltmeister-Team Mercedes das bisher letzte Mal ein Doppel-Podium. Bis zum Rennen in Le Castellet mussten sich die Silbernen gedulden, um endlich wieder eine Doppel-Podiums-Feier zu schmeißen.
Dabei sah vor dem Sonntag, bis vor 15 Uhr MESZ, nicht gerade viel nach einer Mercedes-Party in Südfrankreich aus. Denn der Freitag und Samstag hatten wenig Hoffnung im Kampf um die Top 3 aufkeimen lassen. Eher das Gegenteil.
Zwar hatten die Silberpfeile ein neues Update-Paket mitgebracht und viel gewerkelt. Doch die neuen Teile schlugen zunächst überhaupt nicht durch. Im Training am Freitag und im Qualifiyng fuhren sowohl Lewis Hamilton als auch George Russell hinterher. Und zwar gut eine Sekunde. Das ist nicht das, was man nach einem Upgrade erwartet. Platz vier und sechs in der Startaufstellung wirkten wie das Maximal erreichbare.
Nach der Quali zeigte sich Teamchef Toto Wolff daher auch mächtig enttäuscht. „Wir sind mit der Haltung hergekommen, dass es ein Schritt nach vorne wird. Das ist nach hinten losgegangen“, sagte er ernüchtert.
Dann kam der Sonntag, der überraschenderweise mit einem feiernden Mercedes-Duo auf dem Stockerl endete. Wie kann das sein?
Mercedes profitiert von Fehlern der Konkurrenz
Nun, zunächst profitierten beide Mercedes-Männer auch von Fehlern der Konkurrenz. Da wäre zum einen der Abflug von Charles Leclerc. Der Ferrari-Fahrer rauschte in Führung liegend in Runde 18 ab, crashte in die Bande und ebnete Max Verstappen den Weg zum siebten Saisonsieg. Dadurch rückte auch Hamilton eine Position vor.
Zuvor schon hatte er selbst einen gewaltigen Anteil an seiner guten Ausgangslage gehabt, in dem er beim Start an Verstappen-Wingman Sergio Perez vorbeifuhr. Diesen Platz sollte er nicht mehr hergeben. Und das trotz einer Trinkwasserflaschen-Panne, die den 37-Jährigen aufs Trockene setzte. Nach dem Rennen musste sich Hamilton daher erst mal hinlegen, ehe er zu Feier schritt.
Aber apropos Perez. Der Mexikaner erwischte gar keinen guten Tag, nein, eigentlich lief das ganze Wochenende wenig bis nichts bei ihm zusammen. Auch er spielte beim Mercedes-Erfolg eine Rolle. Nicht nur überließ er Hamilton beim Start die Position, er pennte auch beim Re-Start gegen Ende des Rennens. Schon zuvor hatte Russell Attacken gegen den Red-Bull-Piloten gesetzt. Erst noch erfolglos – zwischendurch gab es eine Berührung der beiden, die zu wütenden Funksprüchen beiderseits führte – doch nach Ende der Safety-Car-Phase reagierte Perez zu langsam. Russell nutzte die Gunst der Stunde, flog an der Start- und Zielgerade einfach vorbei.
Trotz DRS und engem Abstand biss sich Perez dann die Zähne am Briten aus. Der Schnarch-Re-Start verführte RB-Berater Helmut Marko gar zur Witzelei, dass sein Pilot am Abend vielleicht am Tequila genascht habe. Ob Perez selbst das auch lustig findet, ist nicht überliefert.
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Die Rennpace passt!
Soweit also die Pannen der Konkurrenz, namentlich Red Bull und Ferrari. Wobei bei der Scuderia noch hinzukommt, dass Carlos Sainz nach einer Motor-Strafe von Rang 19 starten und durchs Feld pflügen musste. Dass aber Mercedes auch einen eigenen Anteil am Erfolg hatte, liegt auf der Hand. Denn die Rennpace des W13 stimmte wieder. Zwar konnte Hamilton Leader Verstappen nach dem Leclerc-Drama nicht folgen, der Abstand wuchs auf einige Sekunden an. Doch der Bolide mit dem Stern wird zumindest im Rennen immer wettbewerbsfähiger, hielt die Konkurrenten hinter sich.
„Unsere Pace war stark“, attestierte Russell. Teamchef Toto Wolff sah einen Hamilton, der „super gefahren“ ist. „Der Abstand zu Spitze hat sich stabilisiert und ab da hat er mitgehalten. Eine Bombenleistung.“ Das Team hat über Nacht seine Hausaufgaben gemacht, in den Fabriken die Köpfe zusammengesteckt und das Setup nochmal angepasst. Hamilton bedankte sich nach dem Rennen beim Team. „Es war ein hartes Rennen. Ein großartiges Ergebnis – vor allem wenn man bedenkt, wie weit wir zurück waren“, sagte der Rekordweltmeister. „Zuverlässigkeit ist einer unsere großen Punkte. Auch ein Glückwunsch an unsere zwei Fabriken, ohne die harte Arbeit wäre das nicht möglich.“
Für Hamilton war es sogar der vierte Podiumsplatz in Folge. Auch Russell performt schon die ganze Saison – eben mit dem Material, das da ist. Gerade zu Beginn der Saison aber haperte es noch mit dem neuen Wagen. Vor allem das Bouncing plagte Team und Fahrer. Man verstehe den Renner jetzt immer besser, sagte Russell schon nach den vergangenen Rennen. Man habe den Schlüssel gefunden. Woraufhin Wolff scherzte, dass sie den Schlüssel danach wohl noch einige Male im Gras verloren hätten.
Immerhin: Nach den bisherigen Updates in Barcelona, Silverstone und wohl jetzt auch in Frankreich machte Mercedes einen mehr oder weniger großen Schritt nach vorne. Wobei Wolff bekanntlich Anhänger des Realismus ist. Der Abstand zur Spitze, also zu Verstappen und Leclerc, sei immer noch da und „zu groß“, sagte der Österreicher.
Hamilton gierig aufs nächste Update: Was geht in Budapest?
Hamilton ist schon heiß auf das nächste Update – und das für das nächste Rennen am kommenden Wochenende in Ungarn. „Ich hoffe, dass wir wieder ein Update bringen und näher rankommen. Man kann im Rennen sehen, dass wir dort näher nach vorne kommen. Hoffentlich kann es noch knapper werden“, so Hamilton.
In Budapest steht direkt die nächste Hitzeschlacht auf dem Programm. Die Hoffnung steigt bei Mercedes, bald wieder ein großes Wort in Sachen Siege mitreden zu können. Am Freitag sagte Wolff im RTL/ntv-Interview: „Wir wollen wieder siegfähig sein“. Platz drei war diese Saison schon acht Mal drin, nun Platz zwei, fehlt noch … Genau. Problem für Mercedes: Nicht nur Leclerc und Perez haben da einiges dagegen.
Die wilde Mercedes-Achterbahnfahrt wird wohl noch den Rest der Saison weitergehen.