„Cash is king“

Formel 1 und Saudi-Arabien: Rennserie in der Sackgasse

 JEDDAH STREET CIRCUIT, SAUDI ARABIA - MARCH 25: Flames light the nights sky in the distance beyond the circuit during the Saudi Arabian GP at Jeddah Street Circuit on Friday March 25, 2022 in Jeddah, Saudi Arabia. Photo by Sam Bloxham / LAT Images Formula 1 2022: Saudi Arabian GP PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY GP2202_175049_J6I1302
Brennende Öl-Raffinerie bei Dschidda.
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von Emmanuel Schneider

Nur wenige Kilometer neben der Formel-1-Strecke in Dschidda schlägt eine Rakete ein. Die Sorgen sind groß. Doch die Motorsport-Königsklasse fährt einfach weiter – trotz langer Diskussion der Fahrer bis tief in die Nacht. Für ihre Entscheidung wird die Formel 1 kritisiert. Die Probleme sind hausgemacht.

Hamilton-Spruch passt noch immer

„Cash is king“ (Geld regiert die Welt), sagte Lewis Hamilton im Frühjahr 2020. Damals wehrte sich die Rennserie bis buchstäblich zur letzten Sekunde gegen eine Absage des Saisonauftaktes in Australien wegen der aufziehenden Corona-Pandemie. Erst als es gar nicht mehr anders ging und mehrere Mechaniker im Paddock erkrankten, zog die Formel 1 die Reißleine. Cash is king. Damit brachte der Rekordweltmeister auf den Punkt, woran die F1 immer noch krankt.

Der Spruch ist zwei Jahre alt, aber auch unter neuer F1-Führung so aktuell wie nie. Er würde genauso gut zur momentanen Situation in Saudi-Arabien passen.

Denn die Ereignisse vom Freitag werfen die ohnehin mitschwingende Frage auf: Was macht die Formel 1 eigentlich in Saudi-Arabien? Die Menschenrechtsverletzungen sind hinlänglich dokumentiert und berichtet. Menschenrechtler von Human Rights Watch und Amnesty International prangern die Situation immer wieder an. Erst vor wenigen Tagen wurden im Königreich an einem Tag 81 Menschen hingerichtet. Hinzu kommt die Unterdrückung Oppositioneller und die Missachtung der Meinungsfreiheit.

Video: Formel 1 startet trotz Öl-Explosionen

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F1-Argumentation läuft ins Leere

Die Argumentation der Formel 1 ist: Wenn wir dort fahren, liegt der Fokus darauf, es kann sich also alles zum Besseren wenden. Oder wie F1-Boss Stefano Domenicali sagt: „Der Fakt, dass wir vor Ort sind, richtet das Scheinwerferlicht auf Themen, die sonst an anderer Stelle in den Nachrichten auftauchen würden.“ Allein: Das Argument läuft ins Leere. Denn so gut wie nie haben Sportevents die Situation in einem Unrechtsstaat verbessert. Das zeigen die Olympischen Spiele in Peking 2008 oder die Winterspiele in Sotschi im Jahr 2014. Genutzt hat es immer der Führung und deren Propaganda.

Sportphilosoph Tobias Arenz sagte jüngst im RTL-Interview zu diesem Dilemma: „Vielleicht ist diese Hoffnung auch ernst gemeint, geht aber hart an den Realitäten vorbei. Das beste Beispiel ist Peking 2008. Die Spiele haben gerade nicht dazu geführt, dass es weniger Repressionen gab. Sondern mehr Inhaftierungen oder Zwangsumsiedlungen. Mir ist kein Fall bekannt, in dem durch ein Sport-Event mittel- oder langfristig Dinge verändert wurden.“

Die F1, Saudi-Arabien und die Doppelmoral

Und dann ist da noch diese Doppelmoral der Formel 1. Max Verstappen sagte nach dem Aus für das Russland-Rennen infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine vor wenigen Wochen: „Wenn ein Land im Krieg ist, sollte dort nicht gefahren werden“.

Nun führt Saudi-Arabien seit Jahren einen Krieg gegen die jemenitischen Huthi-Rebellen, der im Jemen eine der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit ausgelöst hat. Die Huthi-Rebellen bekannten sich auch zu dem Raketenanschlag am Freitag – nicht der erste dieser Art. Für die absolut richtige Absage des Russland-GP in Sotschi wurde die F1 gelobt, im Fall von Saudi-Arabien aber hält man sich bedeckt.

Natürlich ist die F1 mit ihren umstrittenen Ausflügen nicht alleine. Der spanische Fußball lässt sich die Auftritte in der Supercopa gut bezahlen, die Rallye Dakar kreuzte in Saudi-Arabien auf (dort gab es auch eine Explosion, die als Anschlag gedeutet wurde) und Box-Weltmeister Anthony Joshua kämpfte bei den Saudis gegen Andy Ruiz. Cash is king. Nicht nur im Rennsport.

Viele Aufreger

Es geht aber auch nicht nur um Saudi-Arabien. Ohnehin muss sich die Königsklasse wieder mal kritische Fragen zur ihren Ausrichterländern gefallen lassen, mit denen sie so eng verbandelt ist. Denn Saudi-Arabien ist nur der jüngste Aufreger unter vielen.

Schon im vergangenen Jahr sprang das Emirat Katar mit seiner modernen Strecke ein. Der Staat, der ebenfalls wegen Menschenrechtsverletzungen stark in der Kritik steht, hat einen langfristigen Vertrag von der F1 bekommen. Gleiches gilt für Aserbaidschan oder China.

Angesichts der Bemühungen der Formel 1 immer sauberer und grüner zu werden und sich ein Diversitätsmotto (We Race as One) zu geben, wirkt es wie blanker Hohn, dass gleichzeitig in diesen Ländern gefahren wird. Denn das ist Sportswashing at its best (bzw. worst). Mit den prestigeträchtigen Sportevents wird von den Menschenrechtsverletzungen abgelenkt.

Diskussionen bis tief in die Nacht

 Formula 1 2022: Saudi Arabian GP JEDDAH STREET CIRCUIT, SAUDI ARABIA - MARCH 25: Stefano Domenicali, CEO, Formula 1, and Ross Brawn, Managing Director of Motorsports, FOM during the Saudi Arabian GP at Jeddah Street Circuit on Friday March 25, 2022 in Jeddah, Saudi Arabia. Photo by Sam Bloxham / LAT Images Images PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY GP2202_230636_W6I1346
F1-Boss Stefano Domenicali und Sportdirektor Ross Brawn.
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Berichten zufolge kassiert die Formel 1 von Saudi-Arabien 900 Millionen Dollar für den Zehnjahresvertrag. Dass man da nicht wegen einer Rakete zusammenpacken will, liegt unter diesen Voraussetzungen vermutlich nahe. Dennoch ist es falsch. Bis spät in der Nacht, bis 2.30 Uhr, diskutierten die Fahrer, nachdem zuvor die Teamchefs die Fortsetzung des GP-Wochenende abgenickt hatten. „Eine große Breite von Meinungen“ habe es gegeben, hieß es. Auf Deutsch: Es waren wohl einige Fahrer dagegen oder hatten ernsthafte Bedenken. Das berichtet auch die BBC.

Sicherheitsgarantien und die möglichen Folgen einer vorzeitigen Abreise hätten dann zur Einigung geführt. Der neue Weltverbandschef Mohammed Ben Sulayem gab das Motto aus: „Lasst uns ein Rennen fahren.“ Der Verdacht steht zumindest im Raum, dass die Fahrer genötigt wurden, zu fahren.

So gibt die Formel 1 an diesem Wochenende ein katastrophales Bild ab – und das hat sie sich selbst mit ihren Entscheidungen und Vergaben zuzurechnen.

Das Problem wäre einfach zu beheben: dort einfach nicht zu fahren.