Was bedeuten Corona-Lockerungen für die Pflegekräfte?Intensivpflegerin: "Wir kämpfen jeden Tag um Leben und Tod!"
Maximal zwei Patienten am Tag darf sie betreuen, drei schafft sie – im Notfall auch mehr. Pflegerin Xenia betreut Corona-Patienten auf einer Intensivstation. Seit zwei Jahren arbeitet sie am Limit: „Wir haben zu viel Arbeit und zu wenig Personal!“ Und was passiert, wenn wieder gelockert wird, oder eine Impfpflicht für Pflegekräfte kommt? Xenia nimmt uns mit auf Station und zeigt, was das für ihren Alltag bedeuten würde.
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Pflegerin Xenia: „Mehr als drei schaffst du nicht“
Es ist 5:30 Uhr und ein dunkler, kühler Wintermorgen. Intensivpflegerin Xenia Franke ist gerade mit dem Fahrrad zu ihrem Arbeitsplatz, einem Klinikum in Hannover, gefahren. Jetzt noch schnell das Fahrrad anschließen, gleich beginnt ihre Schicht. Xenia Franke ist seit 20 Jahren Krankenschwester und arbeitet auf der Intensivstation. Seit Beginn der Pandemie betreut sie hier die Corona-Patienten mit den schwersten Verläufen. Das Jahr war „durchwachsen“, erzählt die Pflegerin, während sie sich auf den Weg auf die Intensivstation macht. „Es sind Menschen gestorben, wir konnten Menschen helfen.“
Auf dem Flur grüßt Xenia ihre Kollegen – es ist Schichtübergabe. Xenia ist heute alleine für zwei Corona-Patienten zuständig. Am frühen Morgen ist schon ihre volle Aufmerksamkeit gefragt und die Kollegen berichten von der Nacht. Beide Patienten haben einen schweren Verlauf. Einer kämpft noch immer um sein Leben, dem anderen geht es inzwischen etwas besser.
Xenia schlüpft in ihre Schutzkleidung – tägliche Routine in der Behandlung von Corona-Patienten und betritt das Zimmer. „Sie sind noch etwas müde heute, oder?“, fragt sie den 71-Jährigen. Er bekommt Sauerstoff, ist aber nicht mehr intubiert, ein großer Erfolg. Trotzdem wirkt der Patient abgekämpft und kann sich kaum alleine bewegen.
Zwei Patienten klingen zunächst nicht viel, aber Xenia trägt bei der Pflege von Covid-19-Patienten mit schweren Verläufen viel Verantwortung. „Mehr als drei schaffst du nicht“, erklärt die erfahrene Pflegerin. „Das sind ja auch kritisch kranke Menschen.“ Zwei Intensivpatienten sind gesetzlich vorgesehen und laut Xenia eigentlich auch das menschliche Limit. Doch seit der Pandemie zählt das wenig, Pflegerinnen wie sie müssen ständig über ihre Grenzen hinauswachsen.
Die Kämpferin im Teufelskreis: Xenia gibt 180 Prozent

Xenia muss sich jetzt beeillen, um ihren zweiten Corona-Patienten im Zimmer gegenüber zu betreuen. Er ist nicht bei Bewusstsein und wird künstlich beatmet. Noch ist nicht klar, ob er es schaffen wird. „Sein Zustand ist heute Nacht schlechter geworden“, sagt Xenia. Man musste den Mann notfallmäßig intubieren.
Häufig ist nicht genug Personal auf der Station, denn immer mehr Kollegen melden sich krank. Ersatz gibt es selten. So können Notfälle wie in der letzten Nacht schnell kritisch werden. „Neulich hatten wir zwei Notfälle und das geht eigentlich gar nicht, weil dann sind alle anderen Patienten auf sich gestellt“, erzählt Xenia mit einem müden Lächeln. Manchmal sei sie dann sogar kurzzeitig alleine auf der Station. Viel Verantwortung lastet auf ihren Schultern: „Mein Job ist es, die Patienten gut und stabil und vor allem lebend durch den Tag zu bringen. Nicht ganz einfach.“
Sie versucht trotzdem, immer das Beste für die Patienten herauszuholen. „Also gibst du nicht nur 100 Prozent, sondern 180 Prozent und das ist das Problem“, sagt Xenia. Pflegekräfte kämpfen ihre Erfahrung nach, bis sie nicht mehr können. Dann melden sich viele krank und es stehe noch weniger Personal zur Verfügung. „Das ist ein Teufelskreis, aus dem wir auch nicht herauskommen, wenn in der Politik nicht umgedacht wird.“ Die jetzige Situation sei eigentlich nicht tragbar, und zwar nicht nur für die Pflegekräfte: „Das geht Richtung Patientengefährdung und das ist nicht nur in diesem Krankenhaus so.“
"Seit Omikron sind auch geimpfte Patienten dabei“
Trotz aller Anspannung und Personalnot, versucht Xenia auch warme Worte an ihre Patienten zu richten, sie aufzubauen und für sie da zu sein. Ihr heutiger Patient ist zwar nicht bei Bewusstsein, dennoch spricht sie mit ihm. „Ich glaube schon, dass die Patienten das mitkriegen“, sagt die Pflegerin. Besonders auf der Corona-Station ist diese Nähe zum Patienten wichtig, denn die Menschen hier sind isoliert und auf sich allein gestellt. Angehörige dürfen sie nicht besuchen.
„Wir werden von den Familien immer gefragt, ob sie es schaffen“, sagt Xenia. „Ich wünschte, ich hätte eine Glaskugel, aber man kann es vorher wirklich nicht sagen. Es kann einfach so viel passieren.“
Zwei Jahre Pandemie-Erfahrung haben die Krankenschwester vorsichtig gemacht. Zu viel hat sie bereits erlebt. Zu oft hat sich die Situation verändert. Entwarnung sieht sie hier auf der Intensivstation und auch auf den regulären Stationen noch lange nicht. „Seit Omikron sind auch geimpfte Patienten dabei“, sagt Xenia. Sie werde weiter um jeden Patienten kämpfen, doch nicht jeder wird es schaffen. „Wenn man hier arbeitet, lernt man auch, dass der Tod zum Leben dazugehört.“
Wir sollten "nicht auf Biegen und Brechen" lockern

Viele von uns fiebern dem „Freedom Day“ entgegen: Doch was für uns der Beginn der Freiheit ist, könnte für Xenia der Anfang einer erneuten Welle von Corona-Patienten werden. Die Pflegerin versteht den Wunsch nach einem „normalen Leben“, dennoch appelliert sie an die Politik „nicht auf Biegen und Brechen“ zu lockern. „Wenn wir jetzt sagen, wir machen das, und dann kommt die nächste Welle, ist das nicht gut.“
„Nicht gut“ – das bedeutet für Xenia Arbeiten im Akkord und kämpfen bis zur letzten Sekunde, bis zu den letzten Atemzügen. Während der letzten Welle kam Xenia häufig nicht einmal zum Essen. „Das ist dann halt so“, sagt sie abgeklärt. „Dann knurrt dir halt der Magen.“ Als Pflegekraft auf einer Intensivstation trägt Xenia viel Verantwortung: „Hier ist es so, dass du schon jeden Tag einen Kampf um Leben und Tod hast.“
„Man müsste mehr sagen, was für ein toller Job das ist.“
Ob wir lockern oder nicht, Xenia wird weiter kämpfen. Trotz aller Strapazen sagt sie, sie liebt ihren Job. Ein Job, der ihrer Meinung nach mehr Anerkennung verdient hat – nicht jedoch wie am Anfang der Pandemie. „Ja klar, alle standen auf dem Balkon und haben geklatscht, aber ganz ehrlich, das ist bei vielen von uns gar nicht gut angekommen“, sagt Xenia.
Vielmehr müsse man den Job als Pflegekraft wieder attraktiver machen, zum Beispiel durch „ein besseres Gehalt“ oder ein „anderes Arbeitszeitmodell“. Bei besseren Bedingungen würden vielleicht mehr Menschen diesen Beruf wählen und weniger ihn wieder verlassen. Eine Sache ist Xenia jedoch besonders wichtig: „Man müsste mehr sagen, was für ein toller Job das ist. Und er ist toll.“
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