Attila HildmannAttilas Abstieg: Wie aus dem einstigen Vegan-Guru ein flüchtiger Rechtsextremist wurde

ARCHIV - 23.05.2020, Berlin: Attila Hildmann, Autor veganer Kochbücher, nimmt an einer Demonstration vor dem Reichstag teil. (zu dpa «Hildmann hat keine türkische Staatsbürgerschaft - Auslieferung?») Foto: Carsten Koall/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Rechtsradikaler Verschwörungserzähler Hildmann
tba jai, dpa, Carsten Koall
von Denise Snieguolė Wachter

Einst wurde Attila Hildmann als Vegan-Guru und erfolgreicher Kochbuchautor gefeiert. Jetzt wird er per Haftbefehl wegen Volksverhetzung gesucht. Wie es zu seinem Abstieg kam. Eine Chronologie.

Attila Hildmann: Millionen mit veganen Kochbüchern

Wann genau Attila Hildmann die Kontrolle über sein Leben verloren hat, ist nicht ganz klar. Aber erste Anzeichen dafür gab es bereits 2015. Damals führte ich das letzte Interview mit dem erfolgreichen Kochbuchautor. Damals als er mit gewaltverherrlichenden Kochvideos verstörte.

Hildmann hat den Veganismus in Deutschland populär gemacht hat. Acht Bücher hat der 41-Jährige mit veganen Rezepten veröffentlicht, er hat Ernährungs- und Sportprogramme herausgebracht, die mit 1,3 Millionen Exemplaren zu den Bestsellern des Segments gehörten. 2012 war sein Jahr, sein Durchbruch: Mit seinem Buch "Vegan for fit" schoss er auf Platz eins der Bestsellerlisten, danach folgten Fernsehauftritte, Interviews, Shows. Alle rissen sich um den Vegan-Guru, er machte Millionen mit seinem Lifestyle.

Wegen rechtsextremer Hetze: Attila Hildmann versteckt sich in der Türkei

Heute versteckt sich Attila Hildmann seit fast zwei Jahren in der Türkei. Die Berliner Staatsanwaltschaft sucht seit Februar 2021 per Haftbefehl nach dem veganen Promikoch, seit Dezember 2020 ist er auf der Flucht, er steht auf der Fahndungsliste von Europol und Interpol. Der Vorwurf: Volksverhetzung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen und Beleidigung. Heute ist der einstige Vegan-Guru als rechtsextremer Verschwörungsideologe bekannt.

Volksverhetzung ist kein Kavaliersdelikt: Strafbar macht sich derjenige, der zu Hass oder zu Gewalttaten aufruft und Hetze betreibt, sei es wegen anderer politischer Meinung, wegen der Religion oder der Hautfarbe. Oder aber wer den Nationalsozialismus und dessen Folgen leugnet und zum Rassenhass aufstachelt. Im amtlichen Deutsch heißt es, ein Volksverhetzer stört den öffentlichen Frieden und dieses Vergehen wird hart geahndet. Sollte Hildmann in Deutschland verurteilt werden, droht ihm eine saftige Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Wie konnte es so weit kommen?

Lese-Tipp: Berliner Staatsanwaltschafft fällt auf Attila Hildmanns Türkei-Lüge rein

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Der Abstieg Attilas

Rückblick 2015: Attila Hildmann verstört seine Fans mit Gangster-Kochvideos auf Youtube. "Vegangsta" nennt er seine neue Kochshow, er spricht darin schlechtes Englisch, schwingt frauenfreindliche und gewaltverherrlichende Parolen und steht gemeinsam mit dem Strongman Andreas Hordan vor dem Herd, der die Nazi-Parole "Ruhm und Ehre" auf seinen Fingern tätowiert hat. Auf Nachfrage, ob er mit einem Neo-Nazi kochen würde, verneint Hildmann. Seine Anhänger verstehen die Show nicht, sie floppt und wird nach sechs Folgen eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt äußert sich bereits sein Kochbuchverlag nicht mehr zu ihm.

Längst beschränkt sich der 41-Jährige nicht nur auf den veganen Lifestyle. Er äußert sich auch immer wieder zum Weltgeschehen. So betitelt er 2015 die gewählten Volksvertreter im Bundestag als "Kriegstreiber". Während der Flüchtlingskrise 2015 nähert er sich immer mehr dem rechten Rand an und sagt: "Integration ist in Deutschland ein heikles Thema aufgrund der deutschen Vergangenheit, was zu einer aktuellen Selbstverstümmelung deutscher Werte und Kultur führt."

Attila Hildmanns Provokationen – kein Einzelfall mehr

Zwei Jahre später macht Hildmann wieder Negativ-Schlagzeilen. Erst mit seiner neu eröffneten Snackbar, in der er einen so scharfen Burger serviert, dass ein Gast nach dem Verzehr zusammenbricht. Dann sorgt der Veganer für Aufsehen, als er nach einer negativen Kritik seiner Snackbar im "Tagesspiegel" völlig durchdreht und in den sozialen Medien die Fassung verliert. "Ich freue mich, dass ich Sie nicht erkannt habe, sonst hätte ich Ihnen meine Pommes in Ihre Wannabe-Journalistinnen-Visage gestopft und mit Liebe ihr dreckiges Geld zurückgegeben", schreibt er damals auf Facebook und verordnet kurzerhand ein Hausverbot für die zuständige Redakteurin Susanne Kippenberger. Bald ist das kein peinlicher Einzelfall mehr. Der Vegan-Guru sorgt in dieser Zeit immer wieder für Kopfschütteln und provoziert mit umstrittenen Beiträgen.

Die Coronakrise 2020 lässt das Fass dann zum Überlaufen bringen: Hildmann fällt immer wieder mit wirren Äußerungen und kruden Verschwörungstheorien auf. Er schießt verbal gegen den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn sowie gegen den US-Milliardär Bill Gates. Es ist das Ende seiner Karriere als Vegan-Guru und der Beginn seiner Karriere als "Verschwörungsprediger", wie er sich selbst nennt. Die Polizei nimmt ihn in Gewahrsam, lässt ihn wieder frei, durchsucht sein Zuhause und stellt zahlreiche elektronische Geräte sicher. Zu diesem Zeitpunkt laufen bereits mehrere Ermittlungsverfahren gegen Hildmann und er bezeichnet sich selbst als "ultrarechts". Als ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wird, radikalisiert er sich weiter. 2021 wird außerdem bekannt, dass es in der Berliner Staatsanwaltschaft einen "Maulwurf" gegeben hat, der den Verschwörungsideologen mit Informationen über seinen bevorstehenden Haftbefehl versorgt hat.

Kai Enderes: "Der war von Anfang an ein Nazi"

Dann überschlagen sich die Vorfälle zum Hildmann-Komplex: Dem Hacker-Kollektiv "Anonymous" gelingt es mithilfe Hildmanns Vertrauten und IT-Administrator Kai Enderes die digitale Infrastruktur des einstigen Vegan-Gurus zu übernehmen. Darunter sind 100.000 Emails und Nachrichten unter anderem mit Informationen über Hildmanns Netzwerk und seine Kontakte. Enderes sagt damals, dass er anfangs "offen" war, Hildmann kennenzulernen. "Ich wollte ihm helfen, dachte, die radikalisieren ihn durch die Medienhetze – aber das stimmte nicht, der war von Anfang an ein Nazi." Und: "Er ist ein Antisemit, ein Rassist, ein Faschist, ein dummer und in seiner Weltsicht verklemmter Typ." Hildmann "liebe den Krieg, liebe den Kampf".

Als Hildmann sich schließlich in die Türkei absetzt, scheint es, als seien der Staatsanwaltschaft die Hände gebunden. Hildmann besitze die türkische Staatsbürgerschaft und könne deshalb nicht ausgeliefert werden, so heißt es von offizieller Seite. Nach jüngsten Recherchen des stern stellt sich diese Aussage als falsch heraus. Der flüchtige Rechtsextremist Attila Hildmann hat doch nicht die türkische Staatsbürgerschaft. "Die Ermittlungen laufen weiterhin und nach hiesiger Kenntnis besitzt der Beschuldigte nur die deutsche Staatsangehörigkeit", sagte ein Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft dem stern und räumt damit einen schweren Ermittlungsfehler ein. Damit könnte der gesuchte Volksverhetzer von der Türkei doch ausgeliefert werden.

Bleibt die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte? Wie der einst so gefeierte Kochbuchautor so tief fallen konnte? Hildmanns Whistleblower Enderes hat dafür bereits 2021 eine Erklärung: "Es war alles auf Fake aufgebaut", sagt er. Hildmann sei "vor Corona hochgradig verschuldet", gewesen, "mit sechsstelligen Steuerschulden", wie er herausgefunden haben will. "Er hatte ohnehin schon nichts mehr zu verlieren, er ist einer der größten Versager."

Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst bei stern.de