Warum wurde er zum Amokläufer von Hamburg-Alsterdorf?

Das Seelenleben von Philipp F.: Das sagt sein Verwandter zum Motiv

Das sagt sein Verwandter zum Motiv von Philipp F. So tickt der Amokläufer von Hamburg-Alsterdorf
03:04 min
So tickt der Amokläufer von Hamburg-Alsterdorf
Das sagt sein Verwandter zum Motiv von Philipp F.

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Julia Zimmermann, Sebastian von Hacht und Carmen Gocht

Bei den Zeugen Jehovas soll Philipp F. die "heile Welt" gesucht, aber nicht gefunden haben. Könnte das ein Motiv für die furchtbare Tat des Amokläufers von Hamburg sein? Dass er sich von der Gemeinde betrogen gefühlt hat? Das mutmaßt ein Verwandter von Philipp F. im Stern-Interview und gibt einen Einblick in das Seelenleben des Mannes, der sieben Menschenleben in einem Gemeindehaus der Zeugen Jehovas auslöschte und danach sich selbst umbrachte.

Früher war Philipp F. "sanft und weich"

Philipp F. war gebürtiger Bayer und wuchs im Allgäu, in Kempten auf. Dort findet auch das Stern-Interview mit seinem Verwandten statt. Der Mann möchte nicht erkannt werden, wir nennen ihn Florian. Philipp F. und er wachsen gemeinsam auf – spielen zusammen Fußball. Florian ist früh Mitglied der Zeugen Jehovas - Philipp F. nicht. Florian kann sich noch gut an ihn erinnern: „Bis zu Anfang seiner 20er hat sich ein Bild ergeben von einem sehr sanften, sehr weichen, sehr freundlichen, manchmal zurückhaltenden, schüchternen, manchmal sogar eine Position und Meinung vermeidenden Menschen."

Zwei Jahre Zeugen Jehovas

Erst mit 31 Jahren tritt Philipp F. dann plötzlich den Zeugen Jehovas bei. Zu dem Zeitpunkt hat sich Florian wieder aus der Kirche zurückgezogen: „Es ist ja doch extrem abstrakt, für die meisten Menschen überhaupt nicht nachvollziehbar, was dort geglaubt wird und dass jemand in dieser Rekordzeit da jetzt es eilig hat, da reinzukommen, ist eher ungewöhnlich." Nach zwei Jahren ist dann auch wieder Schluss. Philipp F. tritt aus der Kirche aus.

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"Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan"

Florian und Philipp F. sind sich in ihrer Ablehnung der Religion gegenüber einig. Doch etwas ist anders an dem mittlerweile 33-Jährigen. Philipp F. schreibt ein Buch mit dem Titel: "Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan". Florian erinnert sich: "Der Titel hat mir natürlich schon alle Alarmglocken läuten lassen und ich habe dieses Buch die ersten Seiten überflogen und wusste, dass da mental offensichtlich ein größeres Problem vorliegt." In seinem Buch beschreibt Philipp F. ein krudes Weltbild. Unter anderem bezeichnet er darin Adolf Hitler als Stellvertreter Jesus auf Erden. Es sind Gedankengänge, die Florian von einer Persönlichkeitsstörung bei Philipp F. ausgehen lassen.

Philipp F. wurde "aggressiv"

Nach dem Austritt bei den Zeugen Jehovas änderte sich auch das Verhalten von Philipp F., sagt Florian: „Von Gewalt war nicht die Sprache. Aber er war, wie gesagt, sehr aggressiv. Ich weiß, dass er eine Art Betrugsvorwurf an die Gemeinde formuliert hat, nämlich dass man ihn getäuscht habe – dass das die heile Welt wäre und sie es nicht war." Durch die Folgen seines Austritts wird seine Wut auf die Kirche offenbar noch größer. Denn Aussteiger werden bei der Glaubensgemeinschaft zu Geächteten, beschreibt Florian: „Das geht soweit, dass man nicht mehr gegrüßt wird, dass die Straßenseite gewechselt wird, dass niemand auch nur annähernd dich anschaut, wenn er dich sieht. Ich weiß aus eigener Erfahrung von einigen Leuten, die sich danach das Leben genommen haben." Philipp F. nimmt nicht nur sich selbst das Leben, sondern tötet vorher noch sieben andere Menschen: vier Männer und zwei Frauen im Alter zwischen 33 und 60 Jahren sowie ein noch ungeborenes Kind.

Florian möchte seine Erfahrungen mit der Kirche in Zukunft mit der Öffentlichkeit teilen und Betroffenen helfen. Er sieht bei den Zeugen Jehovas nicht pauschal eine Mitschuld. Aber er hofft auf Reformen und darauf, dass eine solche Tat in Zukunft verhindert werden kann.