Vor 10 Jahren war der Anschlag auf Utoya - ein deutscher Auswanderer rettete 20 Menschen das Leben

Marcel Gleffe, der deutsche Held: „Die Bilder von damals habe ich noch immer vor Augen“

Dieses Verbrechen hat sich vielen ins Gedächtnis eingebrannt. Am 22. Juli 2011 ermordet Anders Behring Breivik in Norwegen 77 Menschen, darunter 69 auf der Ferieninsel Utoya. Unter den Toten sind viele Kinder und Jugendliche, die an einem Sommerlager der Arbeiterpartei teilnehmen. Der Deutsche Marcel Gleffe (heute 42) wird als "Retter von Utoya" weltweit bekannt, weil er mindestens 20 Menschen vor dem Tod bewahrt hat. Das Massaker hat auch Marcels Leben geprägt. Im RTL-Interview sagt er: "Die Bilder von damals habe ich noch immer vor Augen."

Der deutsche Auswanderer sah, wie Kinder um ihr Leben schwammen

German Marcel Gleffe sits on Utvika camping ground in front of Utoya island, Norway, 24 July 2011. With his boat Gleffe saved the lives of many young people during the shooting spree on Utoya island July 22. The bombing of government buildings in Oslo and the subsequent shooting spree at a political youth camp on Utoya island on 22 July 2011 have claimed more than 90 lives with the death toll still feared to rise. Photo: Britta Pedersen dpa  +++(c) dpa - Bildfunk+++
Marcel Gleffe fuhr mit seinem Boot mehrere Male Richtung Utoya, um Menschen zu retten.

Marcel Gleffe ist Dachdecker und 2008 nach Norwegen ausgewandert. Am Tag des Verbrechens macht er Campingurlaub auf einer Insel, die nur einige hundert Meter von Utoya entfernt ist.

Kurz nach 17 Uhr hört er von dort einen dumpfen Knall. Er geht zum Bootssteg und sieht ein junges Mädchen, das in Unterwäsche in seine Richtung schwimmt. Drüben werde geschossen, schreit es. Der Auswanderer sieht in der Ferne weitere Kinder: Sie sind voller Panik und Todesangst ins Wasser gesprungen, um dem Attentäter zu entkommen, der immer und immer wieder um sich schießt.

Auszeichnungen für den Helden von Utoya

ARCHIV - 31.05.2017, Norwegen, Utoya: Blick über die Insel Utoya. Zehn Jahre ist es her, dass der norwegische Terrorist Anders Behring Breivik in Oslo und auf der Insel Utøya insgesamt 77 Menschen tötete. Die Polizei hat aus ihren Fehlern gelernt, die gesellschaftliche Aufarbeitung beginnt erst jetzt. (zu dpa ««Nie wieder 22. Juli» - Norwegens Antwort auf den Terror») Foto: Meek, Tore/NTB scanpix/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
69 Tote: Die norwegische Insel Utoya wurde 2011 zum Schauplatz eines Verbrechens.
dpa, Meek, Tore

Marcel Gleffe schnappt sich sofort den Schlüssel seines kleinen Bootes, das er gemietet hat, und fährt Richtung Utoya. Mehrere Male – bis die Polizei ihn stoppt, weil es für ihn zu gefährlich werden könnte. Aber da hat der Auswanderer schon mindestens 20 Opfer aus dem Wasser ins Boot gezogen und in Sicherheit gebracht. Für diese Tat erhielt Marcel mehrere Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz.

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Nach dem Attentat in Oslo mordete Anders Behring Breivik auf Utoya weiter

epa03254040 Anders Behring Breivk pictured in court in Oslo, Norway, 08 June 2012. The 33-year-old Breivik has admitted to carried out the bomb attack in Oslo and the shooting on the island of Utoya in which 77 people were killed on 22 July 2011, but pleaded not guilty. EPA/HEIKO JUNGE / POOL NORWAY OUT  +++(c) dpa - Bildfunk+++
Anders Behring Breivik vor Gericht. Im Juli 2011 tötete der Norweger in Oslo und auf Utoya 77 Menschen.

Am Tag des Anschlags schlief Gleffe lange und erfuhr dann vom Attentat in Oslo: Breivik hatte dort eine Autobombe gezündet. "Eine halbe oder eine Stunde später ging das hier auf der Insel schon los", berichtet er. "Von null auf hundert" habe Chaos geherrscht.

Zehn Jahre ist der Massenmord her. Aber die Erinnerungen sind noch ganz frisch. "Mir kommt es vor, als wäre es gestern gewesen. Man erinnert sich an die einzelnen Augenblicke." Unsere Reporterin Anna Hohns fragt, welche Bilder er noch immer vor Augen hat. "Die ganzen Leute im Wasser." Und noch etwas anderes ist weiterhin präsent: "Das schlechte Wetter und der Regen."

Marcel Gleffe hat das Grauen "gut verkraftet"

Marcel Gleffe und RTL-Reporterin Anna Hohns
Marcel Gleffe im Gespräch mit RTL-Reporterin Anna Hohns.
RTL

Wie aber lebt er mit diesen Erinnerungen, belasten sie ihn? Der Auswanderer antwortet, er habe das Grauen gut verkraftet. "Großartig Hilfe hab ich nicht in Anspruch genommen. Ich stehe noch auf beiden Beinen und meine Lebenssituation hat sich verbessert." Aber die Jahrestage wühlen ihn auf. "Wenn sich das Datum nähert, ist es schwer sich abzulenken." Und dann fügt er hinzu: "Ich bin nachdenklicher geworden."

Auswanderer hat keinen Kontakt mehr zu den Geretteten

Kontakt zu den Menschen, die er gerettet hat, hat Marcel Gleffe nicht mehr. Zwar würde er gerne noch "Sachen klären" und mehr darüber erfahren, "wie das Ganze passiert ist". Aber es belastet ihn nicht. "Das ist okay."

Jugendliche versteckten sich in einer Toilette und überlebten

Ragna Sørlundsengen
Ragna Sørlundsengen versteckte sich auf der Toilette vor dem Attentäter.
RTL

Ragna Sørlundsengen (25) hat den Anschlag auf Utoya überlebt, weil sie sich mit fünf anderen Jugendlichen vor dem Attentäter in der Toilette einer Cafeteria versteckte. Sie sprachen nicht miteinander, gaben keinen Mucks von sich, sondern schickten sich SMS auf ihre Handys.

Zweimal war der Massenmörder Breivik in der Cafeteria, insgesamt wohl mehr als zehn Minuten lang. Weshalb er nicht durch die Türen schoss? Die Studentin kann es sich nicht erklären. Sie war wie versteinert, hat nur die Wand angestarrt. Und gehofft und sich darauf konzentriert, nicht ohnmächtig zu werden. Nach zweieinhalb Stunden Todesangst befreite sie die Polizei.

Ragna Sørlundsengen: "Ich bin an dem Verbrechen gewachsen"

Natürlich hat das Massaker auf Utoya auch ihr Leben verändert. "Was dort geschehen ist, wird immer ein Teil von mir sein.“ Und dann sagt Ragna etwas, was verblüfft und zeigt, wie stark sie sein muss: "Aber ich bin auch daran gewachsen." Wenn sie an den 22. Juli 2011 denkt, erinnert sie sich mehr an Gerüche als an Bilder. Vor allem der Geruch des Sommerregens ist bei ihr tief im Gedächtnis verankert.

Alles in allem habe sie den furchtbaren Tag gut überstanden. "Meine Familie hat mich nach Kräften unterstützt." Auch die psychologische Unterstützung sei eine große Hilfe gewesen. Ragna hat Schlimmes erlebt – aber vor allem auch überlebt. Die 25-Jährige fasst es so zusammen: "Ich gehöre sicher zu denjenigen, die mehr Glück hatten als andere."

Im Podcast „heute wichtig“ geht Ragna weiter auf den damaligen Tag ein. Host Michel Abdollahi gegenüber spricht sie über den Moment, als der Terror losbrach. "Ich renne weg, es ist ein komplettes Chaos, die Leute rennen in alle Richtungen, springen aus den Gebäuden. Also renne und verstecke ich mich. Und als ich die Tür zu meinem Versteck schließe, höre ich Schüsse und Schreie," erinnert sie sich. "Wenn du in Oslo aufgewachsen bist, dann kennst du solche Geräusche nicht." (bst)