Psychologe über traditionelle Rollenbilder
Tradwife-Trend auf Social Media – werden wir 2025 wieder zu Hausfrauen?

Wie feministisch sind wir 2025 wirklich?
Wenn man Social Media traut, wird der „Job” der Hausfrau für viele Frauen immer attraktiver. Ein Leben nach traditionellem Rollenbild. Doch ist das wirklich so oder führt uns das Netz an der Nase rum? Wir haben mit einem Psychologen über das Phänomen Tradwife gesprochen.
2025 oder 1950? Tradwife-Trend auf Social Media immer beliebter – aber auch im wahren Leben?
Im Jahr 2025 hat, zumindest in den meisten westlichen Ländern, die Frau das Recht zu entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten will. Die einen entscheiden sich dabei für ein selbstbestimmtes Leben ohne Kinder (vielleicht sogar ganz ohne Mann), legen den Fokus auf ihre Eigenständigkeit und gehen gerne auf Reisen, die anderen gehen ganz normal arbeiten und teilen sich – so gut es eben geht – ihre Alltagsaufgaben mit dem Partner. Auch wenn das mit der gerechten Aufteilung, zum Beispiel beim heiklen Thema Care-Arbeit, nicht immer gelingt. Doch eine gewisse Grundfairness, eine Beziehung auf Augenhöhe, ist durchaus gegeben.
Andere Frauen wiederum pfeifen auf all das und entscheiden sich für ein Leben wie im Jahr 1950. Nur eben mit mehr Rechten. Sie wollen das Leben einer traditionellen Ehefrau mit konservativen Geschlechterrollen führen und auf eine berufliche Karriere im klassischen Sinne verzichten. Ihr Traum und Verständnis von Selbstverwirklichung: Hausfrau und Mutter zu sein.
Gerade das scheint auf Social Media immer mehr die Runde zu machen. Wir sehen immer mehr Homemaking-Damen, die ihrem Mann stets eine frische und aufwendige Mahlzeit kochen, backen und fleißig Rezepte teilen, die Zuhause bleiben und sich um die Kinder kümmern – und dabei selbstverständlich noch klasse aussehen. Bei vielen gehören blumige Rüschenkleider zum Kleider-Repertoire – wie eben im Jahr 1950. Vielleicht habt ihr ja auch bereits etwas vom Tradwife-Trend („traditional wife”) gehört, Influencer wie Nara Smith und Hannah Neeleman alias @ballerinafarm haben Millionen von Followern und sind im Netz so beliebt wie nie.
Stellt sich nur die Frage: Liegt es an unserem Algorithmus, dass wir vermehrt solche konservativen Inhalte angezeigt bekommen? Oder lässt sich vielleicht sogar im eigenen Umfeld ein Trend in Richtung klassische Rollenbilder erkennen?
Psychologe: Traditionelle Familienbilder rücken in den Vordergrund – aber nicht gesamtgesellschaftlich
Psychologe Michael Thiel erklärt dazu im RTL-Interview, dass da tatsächlich etwas dran sein könnte: „Es gibt Hinweise darauf, dass sich traditionelle Rollenbilder in bestimmten Kreisen wieder mehr etablieren.”
Trotzdem sagt er, dass es sich dabei nicht um einen allgemeinen gesellschaftlichen Trend handele. Denn: „Statistisch gesehen bleibt die Bestrebung nach Gleichstellung in vielen Ländern auf dem Vormarsch: Immer mehr Frauen arbeiten, Männer beteiligen sich stärker an Care-Arbeit, und der Wunsch nach gleichberechtigten Partnerschaften ist weit verbreitet.”
Aber er macht ebenfalls deutlich: „Durch das weltweite Erstarken von rechten Parteien mit traditionellen Familienbildern rückt auch ,Tradwife’ mehr in den Mittelpunkt.” Social Media verstärke solche Trends und Bewegungen, findet dort große Aufmerksamkeit. Also doch kein willkürliches Internet-Phänomen!
Aber eben auch nicht gesamtgesellschaftlich dominierend: „Insgesamt lässt sich sagen: Es gibt eine laute Community und rechte Parteien, die traditionelle Rollenbilder wieder verstärkt propagieren, aber es gibt keine eindeutige Rückkehr dorthin. Vielmehr scheint es ein Nebeneinander unterschiedlicher Lebensmodelle zu geben”, so Thiel.
Und das ist gut so! Denn der springende Punkt ist: „Die individuelle Wahrheit spielt heutzutage eine Rolle. Es gibt Frauen, die sich bewusst für eine traditionelle Rolle entscheiden, ohne sich dabei ,zurückversetzt’ zu fühlen. Das ist aber ein Unterschied zu der gesellschaftlichen Norm vergangener Jahrzehnte, in der Frauen oft keine Wahl hatten.”
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Während Krisenzeiten vermitteln traditionelle Rollenbilder das Gefühl einer klaren Ordnung
Neben gewissen Parteien und der häufig damit verbundenen traditionellen Familienansichten gebe es aber einen weiteren Grund für das Phänomen Tradwife. Denn gerade in Krisenzeiten spielt die Sehnsucht nach klassischen Rollenmustern eine Rolle: „Das ist ein bekanntes Phänomen. In unsicheren Zeiten neigen Menschen dazu, sich in ,bewährte’ Strukturen zurückzuziehen, weil diese Sicherheit und Orientierung geben.”
Der Psychologe ergänzt, dass genau das für psychologische Stabilität sorgt: „Wenn die Welt unsicher erscheint, zum Beispiel durch Pandemien, Wirtschaftskrisen, Kriege oder geopolitische Spannungen, dann suchen Menschen nach Verlässlichkeit. Und traditionelle Rollenbilder vermitteln das Gefühl einer klaren Ordnung.”
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Weitere mögliche Gründe für das Erstarken vom Tradwife-Trend
Ebenfalls spannend: Wir Menschen sind immer auch anfällig für Nostalgie und das Romantisieren der Vergangenheit. Das spiele ebenfalls hier mit rein: „In Krisenzeiten wird oft ein nostalgisches Bild der Vergangenheit gezeichnet – das Ideal der ,klassischen Familie’ erscheint als Stabilitätsanker.”
Außerdem stellt Thiel die These auf, dass die Einkehr der klassischen Rollenbilder in Partnerschaften und Familien auch zum Teil Auswirkungen der Corona-Pandemie sind. Denn: „Gerade während der Pandemie waren Frauen oft einer erhöhten Belastung ausgesetzt, stärker mit Kinderbetreuung und Haushalt beschäftigt, weil Kitas und Schulen ausfielen. Dies könnte bei manchen Paaren dazu geführt haben, dass sich traditionelle Werte wieder eingeschlichen und verstärkt haben.”
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Am Ende gilt selbstverständlich, dass jede(r) sein Leben so gestalten sollte, wie er oder sie es für richtig hält. Der kleine, aber feine Unterschied ist dann allerdings, dass er oder sie es eben SELBST entschieden hat!